Von Dagmar Henn
Im Oktober gab es schon einmal einen Anlauf, das Russische Haus in Berlin zur Disposition zu stellen. Eine Gruppe Ukrainer wollte mit der Inszenierung einer Abstimmung Anspruch auf das Gebäude erheben, in dem schon 1984 das Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur saß.
Dass Ukrainer derzeit nicht daran denken, dass solche Versuche einen Preis fordern, erstaunt nicht. Nun warfen aber auch die ersten deutschen Medien die Frage auf, ob das Kulturzentrum nicht unter die EU-Sanktionen fällt. Vermutlich ist darauf aber auf Bundesebene bislang niemand eingegangen. Aus gutem Grund.
Diese Frage gehört nämlich zum Bund und nicht auf den Tisch des Landes Berlin. Und der Grund für die Zurückhaltung ist eine Grundregel der Diplomatie – wie du mir, so ich dir –, die in den letzten Monaten immer wieder vorgeführt wurde. Die EU sperrte ihren Luftraum für russische Flugzeuge, Russland sperrte seinen Luftraum für solche der EU. Aus Berlin wird Personal der Botschaft nach Hause geschickt, daraufhin kommen Mitarbeiter der deutschen Botschaft aus Moskau zurück. Das geht bis hin zu Vorschriften. Wer einmal als Europäer in ein afrikanisches Land reisen wollte, weiß aus eigener Erfahrung, wie hoch die Hürden sind, die Deutschland in Afrika errichtet.
Manchmal ist dieses "Wie du mir, so ich dir" allerdings nicht ganz gleich gewichtet. Beispielsweise wenn Einrichtungen über Verträge miteinander verbunden sind.
Das Russische Haus entstand auf Grundlage eines Vertrags zwischen der DDR und der Sowjetunion vom November 1983. Die DDR schloss noch im Juni 1989 einen Vertrag über ein Kultur- und Informationszentrum in der Sowjetunion ab, und die BRD vier Tage später ebenfalls, gleich über zwei Zentren. Alle drei Verträge wurden im Februar 2011 durch ein neues Abkommen ersetzt; in diesem Abkommen ist nun die Tätigkeit des Russischen Hauses in Berlin mit jener der drei Goethe-Institute in Russland, in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk, verknüpft. Hier liegt der Hund begraben, warum die deutsche Regierung wenig Interesse an der Schließung des Russischen Hauses haben dürfte.
Alle drei Goethe-Institute arbeiten nach wie vor; sie haben allerdings ihre Veranstaltungstätigkeit eingestellt und beschränken sich auf Sprachkurse und die Bibliothek. Im Falle einer Schließung des Russischen Hauses in Berlin wäre aber auch damit Schluss; die Mitarbeiter müssten zurück nach Deutschland. Was der deutschen Regierung unter anderem deshalb ungelegen kommen könnte, weil nicht alle Mitarbeiter eines Goethe-Instituts nur Sprachlehrer sind. Zudem verlöre Russland einen Standort in Berlin, Deutschland aber gleich drei in Russland.
Schon seit mindestens einem Jahrzehnt verhält sich der gesamte Westen im Umgang mit den diplomatischen Spielregeln eigenartig. Denn das, was da inzwischen als Teil von Sanktionspaketen getrieben wird, war früher (und hier reden wir von einem Zeitraum, der mindestens bis zum Wiener Kongress 1815 zurück reicht) nur dann üblich, wenn sich Länder miteinander im Krieg befanden; und meistens wurde selbst dann noch darauf geachtet, dass es auch weiterhin einen gewissen Kontakt gab. Das Streben danach, Kontakte so weit wie möglich zu verringern, ist immer konfliktfördernd. Es braucht eine gewisse Zahl Menschen, die das andere Land wirklich kennen, um die friedensfördernde Arbeit der Diplomatie zu ermöglichen.
Aber es ist unübersehbar, dass der Westen längst meint, auf Diplomaten verzichten zu können.
Die Art und Weise, wie beispielsweise die USA plötzlich den Standort eines russischen Konsulats strichen und einen Tag zur Räumung gaben, ist mit den Spielregeln zu Friedenszeiten gänzlich inkompatibel. Selbst die Botschaft Nazi-Deutschlands bestand in Moskau bis zum 23. Juni 1941, und Gleiches galt für die sowjetische Botschaft in Berlin. Was im Augenblick in Europa stattfindet, ist schon längst kein Frieden mehr. Es ist ein Sich-im Krieg-Befinden – und vor allem ein Sich-im-Krieg-befinden-Wollen –, ohne dies irgendjemandem gegenüber eingestehen zu wollen, und unter Abwälzung sämtlicher Verluste auf die Ukraine. Eine Narrendiplomatie.
Daher ist nicht ganz ausgeschlossen, dass doch noch nach dem Russischen Haus gegriffen wird. Auch wenn der Vertrag festlegt, dass es, wie die Goethe-Institute in Russland auch, eine juristische Person, also ein rechtlich unabhängiger Akteur ist, und nicht eine Niederlassung von wem auch immer. Deshalb steht das Russische Haus auch nicht unter Sanktionen und stand es nie. Im Gegensatz zum Betreiber Rossotrudnitschestwo ist es eine andere juristische Person. Die Begründung, warum es von Sanktionen betroffen sein sollte, ist also nicht ganz so einfach.
Schließlich erwies sich auch der Beschluss, den Luftraum der EU für russische Fluglinien zu sperren, als Eigentor – die europäischen Fluglinien verlieren viel mehr dadurch, Russland umfliegen zu müssen; die Strecke nach Ostasien hat sich gleich um mehrere Stunden Flugzeit verlängert.
Wie man sich in die Ecke manövriert, in eine Lage, in der die Grundlage für Verhandlungen schon zerstört wurde, ehe die Krise ihr Maximum erreicht, das konnten wir zuletzt ausgiebig betrachten. Aus einer solchen Ecke wieder herauszukommen, ist weitaus schwieriger. Inzwischen ist jeder Faden, der noch verbindet, kostbar. Sei er auch noch so dünn. Und seien es vier über einen Vertrag miteinander verbundene Kulturzentren.
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