Warum nur russisches und nicht US-amerikanisches LNG Europa retten kann

Während russisches Pipeline-Erdgas im Fokus steht, kauft die EU heimlich immer mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) auf. Die europäischen Ausgaben für den Import von russischem Flüssiggas sind auf einem Rekordniveau angelangt. Wie kommt es, dass Russland begonnen hat, mehr Flüssiggas nach Europa zu liefern? Und vor allem: Warum sehen die Europäer selbst kein Problem darin?

Von Olga Samofalowa

Bekanntlich hat Brüssel ein Embargo auf Steinkohle verhängt, und in einer Woche wird ein Embargo auf Erdöl folgen. Eine Reihe von Ländern verweigerte die Gaslieferungen über Pipelines, während andere Länder die technischen und bürokratischen Probleme bezüglich Nord Stream nicht beheben wollten, die Aushöhlung ihrer Stränge "übersahen" und nichts unternahmen, um die Ukraine zur Wiederherstellung der Transitvolumen durch ihr Staatsgebiet zu bewegen.

Dabei sind die Ausgaben Europas für russische LNG-Importe laut Bloomberg im Jahr 2022 auf ein Rekordniveau gestiegen. Die EU hat die Beschaffung von LNG aus Russland im Laufe des Jahres um etwa 40 Prozent erhöht. Im Zeitraum von Januar bis September gab die EU einen Rekordbetrag von 12,5 Milliarden Euro (13 Milliarden Dollar) für russisches LNG aus – fünfmal mehr als im Vorjahr. Dies ist eine bittere Pille für viele Länder des Blocks, die harte Sanktionen gegen den Kreml verhängt haben, um diesem die Mittel für die Fortführung der militärischen Spezialoperation in der Ukraine zu entziehen, schreibt die westliche Nachrichtenagentur.

Die Angaben der Schiffs- und Hafenüberwachung zeigen, dass die wachsende Nachfrage aus Ländern wie Frankreich und Belgien dazu beigetragen hat, dass Russland in diesem Jahr der zweitgrößte LNG-Lieferant für Nordwesteuropa wurde. An erster Stelle steht Katar, das traditionell LNG in die europäische Region liefert. Dabei wird in Nordwesteuropa wesentlich mehr russisches als US-amerikanisches LNG abgenommen, obwohl die USA eigentlich versprochen hatten, die Europäer nach dem Wegfall der russischen Pipeline-Lieferungen mit ihrem Erdgas zu versorgen.

Man sollte sich vergegenwärtigen, dass Belgien, die Niederlande und Frankreich russisches LNG abnehmen, dieses aber weiter über ganz Europa verteilt wird. Unter den europäischen Ländern haben nur das Vereinigte Königreich und die baltischen Staaten den Kauf von russischem LNG ganz eingestellt.

Das russische LNG wird weiterhin nach Europa gelangen, und die meisten europäischen Länder drücken gerne ein Auge zu, sagt Anne-Sophie Corbeau, Forscherin am Center on Global Energy Policy der Columbia University. Grund dafür ist, dass in der EU ein echter physischer Mangel an blauem Brennstoff herrscht. Dadurch wird nicht nur die Ressource teuer, sondern die Industrie verliert an Fahrt und folglich sinkt auch die Nachfrage.

Im Nordwesten Russlands gibt es zwei LNG-Anlagen: das Terminal Portowaja und das Terminal Wyssozki. Allerdings handelt es sich um kleine Anlagen. Erstere hat erst in diesem Herbst ihre Arbeit aufgenommen. Hauptsächlich sprechen wir also von Lieferungen des Jamal-LNG der Firma Nowatek. Ursprünglich plante man, das Flüssiggas von Jamal nach Asien zu liefern, vor allem nach China. Und tatsächlich gingen die Hauptmengen bis zum Jahr 2022 dorthin.

Doch warum hat sich die Situation in diesem Jahr so stark verändert? Zunächst einmal ist zum allerersten Mal nicht der asiatische Markt, sondern der europäische Markt zum Premium-Markt für Erdgas geworden. Bis ins Jahr 2022 waren die Gaspreise in Europa immer niedriger als in Asien. Heute ist es umgekehrt, sodass die Zunahme der russischen LNG-Lieferungen auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen ist, sagte Igor Juschkow, führender Experte des Nationalen Fonds für Energiesicherheit und Experte der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation.

Der zweite Punkt betrifft die Eis-Beschränkungen bei den Lieferungen von Jamal-LNG nach Asien. "Sobald die Saison für die Schifffahrt auf der Nordostpassage endet, kann das Flüssiggas nur noch nach Europa verschifft werden. Während der Premium-Markt in Asien war, wurde das Jamal-LNG im Winter häufig einfach in Europa umgeladen, von einem Eisbrecher-Tanker auf einen regulären Tanker, um dann über den Suezkanal nach Asien zu gelangen", so Juschkow. In diesem Jahr ist es aber nicht China, sondern Europa, das das gesamte verfügbare LNG vom Markt "aufsaugt".

"Obwohl also die Möglichkeit bestand, das Jamal-LNG in den Osten zu transportieren, gingen selbst im Sommer aus wirtschaftlichen Gründen die Hauptmengen auf den europäischen Markt", ergänzt Juschkow.

Der dritte Grund ist die allgemeine Kapazitätssteigerung der "Jamal-LNG"-Anlage, bei der in diesem Jahr alle vier Produktionseinheiten voll ausgelastet sind. Die geplante Kapazität beträgt etwa 16,5 Millionen Tonnen, doch Ende des Jahres wird sie unter dem Strich deutlich mehr produzieren – etwa 20 Millionen Tonnen.

Interessanterweise werden fast 16 Millionen Tonnen im Rahmen langfristiger Verträge an bestehende Kunden verkauft und geliefert. Die darüber liegenden Produktionsmengen sind an keine Verträge gebunden und werden auf dem Spotmarkt gehandelt. Nowatek-Chef Leonid Michelson gab an, dass sein Unternehmen an diesen überschüssigen Mengen, die sich auf etwa 4 Millionen Tonnen belaufen, mehr verdient als an den übrigen 16 Millionen Tonnen.

Das ist einfach zu erklären. Die Verträge wurden unterzeichnet, als die LNG-Preise noch deutlich niedriger waren als heute. Die Abnehmer von russischem LNG im Rahmen dieser Verträge befinden sich in einer sehr günstigen Position. Den Überschuss an LNG verkauft Nowatek jedoch zu Spotpreisen, die um ein Vielfaches höher sind.

"Selbst das chinesische Unternehmen CNPC, das einen Vertrag mit Nowatek unterhält, verkauft einen Teil dieses LNG als Händler auf dem europäischen Markt", sagt Juschkow. Der Punkt ist, dass es für das chinesische Unternehmen profitabel ist, Flüssiggas an die Europäer weiterzuverkaufen und eine gewinnbringende Marge auf die Differenz zwischen dem (im Vertrag festgelegten) Einkaufspreis und dem Spotpreis in Europa zu erzielen.

Die Nachfrage nach Erdgas ist in China gesunken, zum einen wegen der anhaltenden Lockdowns in diesem Jahr. Und zweitens aufgrund des erhöhten Kohleverbrauchs, denn die europäische Umwelt-Agenda ist in den Hintergrund gerückt. Die Volksrepublik hat seine eigene Kohleproduktion gesteigert und auch die Kohleimporte aus Russland zu günstigen Preisen erhöht.

So erklärt sich die Zunahme der russischen LNG-Lieferungen nach Europa durch wirtschaftliche Faktoren. Und deshalb erhöht die EU stillschweigend ihre Käufe und betrachtet dies nicht als Problem, während in europäischen politischen Kreisen ständig über Pipeline-Gas aus Russland und die Notwendigkeit, es loszuwerden, gesprochen wird.

Nach Informationen von Bloomberg sank der Anteil des russischen Pipelinegases in der Region von 30 Prozent im Jahr 2021 auf 10 Prozent im Jahr 2022. Der Anteil des russischen LNG beträgt dagegen fast die Hälfte.

"Die Europäer nehmen Flüssiggas nicht als eine Art nationales Erdgas wahr. Sie sind ihm gegenüber nicht so negativ eingestellt wie gegenüber Erdgas aus der Pipeline. Möglicherweise geht es um die Dämonisierung von Gazprom, die schon seit einigen Jahren zu beobachten ist. Denn das Pipeline-Gas kam bisher immer aus Russland und von Gazprom", erklärt Juschkow. Während aber LNG von Anfang an als Rettungs-Gas aus Russland angesehen wurde. Zuallererst haben die USA aktiv für ihr LNG als Europas Rettung geworben. Anders ausgedrückt geht es um kompetente Öffentlichkeitsarbeit und die richtigen Schlagzeilen in den Medien, die zur Wahrnehmung von "gutem" und "schlechtem" Gas beitragen.

Dabei stellt Juschkow fest, dass die Europäer im Prinzip nicht auf russisches Gas verzichtet haben, mit Ausnahme einiger weniger Länder. Obwohl die Politiker von einer Reduktion des Anteils und einem Verzicht darauf in einigen Jahren gesprochen haben. Allerdings sind Probleme aufgetreten, weil dieses Erdgas nicht durch die Rohrleitungen transportiert werden konnte. Die Gründe sind, wie Sie wissen, unterschiedlich.

Die Gasleitung "Jamal-Europa" wurde von den Polen stillgelegt, nachdem man den Anteil von Gazprom an dem Betreiber der Leitung verstaatlicht hatte. Die Ukraine lehnte den Transit von Erdgas über die Pipeline "Sochranowka" ab, sodass lediglich die Pipeline "Sudscha" übrigblieb. Laut Vertrag sollten 109 Millionen Kubikmeter pro Tag durch die Ukraine fließen, es sind aber 2,5-mal weniger – 42 Millionen Kubikmeter. Nord Stream 1 wurde im September aufgrund von Problemen, die sich aus den Sanktionen für die Turbinen ergaben, schrittweise gestoppt, Nord Stream 2 aufgrund der Aussetzung der Zertifizierung durch die EU. Und anschließend wurden diese Rohre sogar gesprengt, obwohl sie sich in den scheinbar sicheren Gewässern Europas vor den Augen der NATO-Truppen befinden. Europa wäre glücklich, russisches Erdgas über die Pipelines zu beziehen, doch es gibt keine Möglichkeit mehr, da die Transportwege abgeschnitten sind, so Juschkow.

Übersetzt aus dem Russischen, zuerst erschienen bei Wsgljad.

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