"Reichsbürger-Razzia" vor geplantem Systemumbruch? Vorhang auf und Action!

Erfolgte am Mittwoch der erfolgreiche Schlag gegen mögliche rechte Konterrevolutionäre in Deutschland? Oder erlebten wir eine durchdachte Werbeveranstaltung kooperierender Beteiligter aus Politik-, Behörden und ausgesuchten Pressekreisen? Das mögliche Ziel könnte lauten: Bürger, fürchtet euch nicht.

Von Bernhard Loyen

Der 7. Dezember 2022 entwickelt sich hinsichtlich der Ereignisse in elf Bundesländern Deutschlands sowie in Österreich (Kitzbühel) und in Italien (Perugia) zu einem auffälligen Tag. Der Generalbundesanwalt beim Gerichtshof informiert in einer Mitteilung bezüglich der behördlichen Aktivitäten in Deutschland:

"Festnahmen von 25 mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern einer terroristischen Vereinigung sowie Durchsuchungsmaßnahmen in elf Bundesländern bei insgesamt 52 Beschuldigten."

Bei Betrachtung der umgehenden, sehr gleichlautenden und auffällig ausführlichen Berichterstattung in den hiesigen Medien (Razzia-Beginn 6:00 Uhr, Spiegel und Bild berichten ab 7:30 Uhr mit Eilmeldungen, die Tagesschau – "exklusiv" – um 8:44 Uhr) ist der spontane Gedanke einer orchestrierten Aktion zwischen Regierungsbehörden und Teilen der Medien nicht völlig von der Hand zu weisen. Böse Zungen nutzen auch das Wort "Regiebuch". Das ARD-Politmagazin Kontraste twitterte um 7:40 Uhr einen Live-Beitrag vom Geheimdienst-SEK-Produktionsset:

"Wir sind vor Ort in Berlin-Wannsee, wo die Polizei gerade das Haus einer Richterin durchsucht. Das Ganze ist Teil eines Terror-Verfahrens gegen Reichsbürger."

Es überrascht und irritiert das sehr detaillierte Informationsniveau der bis dato veröffentlichten, sehr zügig zur Verfügung stehenden Artikel. Sehr viel Hintergrund, kaum Eilmeldungen. Dazu kommentiert der Journalist Stefan Niggemeier:

"Okay, also ungefähr jede größere Redaktion wusste vorab von dieser extrem gefährlichen Razzia und hat eigene Hintergrundstücke, Einordnungen, Exklusivrecherchen vorbereitet? Das ist aus Lesersicht ja ganz praktisch, aber für den Fahndungserfolg vielleicht doch problematisch?"

Nicht nur für den "Fahndungserfolg" problematisch. Es gilt nun, genauer zu betrachten, wie es zu dieser größten koordinierten Aktion in der Geschichte der Bundesrepublik mit rund 3.000 Beteiligten aus Spezialeinheiten aus Bund und Ländern kam. Der Bundesminister der Justiz, Marco Buschmann (FDP), ließ in einem Twitter-Beitrag umgehend wissen:

"Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus dem Reichsbürger-Milieu. Es besteht der Verdacht, dass ein bewaffneter Überfall auf Verfassungsorgane geplant war."

Ein Verdacht? Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, sprach am Vormittag in Berlin von einem anscheinend bereits existierenden Blick in den "Abgrund einer terroristischen Bedrohung". Die observierten beteiligten Personen seien "von gewaltsamen Umsturzfantasien und Verschwörungsideologien" getrieben worden. Sie erklärte weiter:

"Militante Reichsbürger verbindet der Hass auf die Demokratie, auf unseren Staat und auf Menschen, die für unser Gemeinwesen einstehen."

Laut dem ebenfalls sehr ausführlichen Artikel der Welt zum Ereignis – um 9:31 Uhr veröffentlicht – beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz die "Szene der Reichsbürger" offiziell seit 2016. Die Behörde beziffert die vermutete Größe der Anhängerschaft mit rund 21.000. Etwas mehr als tausend von ihnen "gelten zudem als Rechtsextremisten". Nun also Ermittlungen gegen offiziell "52 Beschuldigte". Aber warum waren nun nachweislich bei dieser "Staatsverschwörung im Geheimen" und daraus resultierenden Ermittlungen im Verborgenen dermaßen viele vorab informierte Pressevertreter, zumindest in Berlin, beim Zugriff geladen? Nach dem natürlich rein spekulativen Motto: Schaut zu, bitte nicht stören, macht eure Bilder und berichtet sofort den Bürgern:

Mediale Äußerungen zu bekannten Hintergründen eines möglichen Umsturzes

Der Spiegel-Artikel mutmaßt, dass "nach Erkenntnissen der Ermittler" die Beschuldigten "seit November 2021 einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag sowie die Festnahme von Politikern" planten. Also seit gut einem Jahr. Laut Mitteilung der Generalbundesanwaltschaft, so der Welt-Artikel, sollen die Mitglieder der Gruppe "das Ziel verfolgt haben, 'die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen'". Die Zeit lässt ihre Leser wissen:

"Im Herbst hatte eine Gruppe von Umstürzlern bereits den Besuch des Reichstages geplant, mutmaßlich zum Ausspähen des Parlaments. Das hat bei den Sicherheitsbehörden große Unruhe ausgelöst, die Ermittler hatten bereits die Festnahme der Rechtsextremisten vorbereitet. Doch der Besuch fiel aus."

Der Besuch "fiel aus"? Vielleicht dadurch, weil der im Rahmen der heutigen Ermittlungen festgenommenen ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann bei den konspirativen Treffen einfiel, dass sie gar keinen Zugangsausweis mehr besitzt? Nebensächlich – der Wikipedia-Eintrag der Politikerin zur Festnahme wurde umgehend ab 7:42 Uhr aktualisiert. Der Bundestag informiert im Flyer:

"Die Dachterrasse und die Kuppel des Reichstagsgebäudes sind grundsätzlich täglich von 8 bis 24 Uhr geöffnet (letzter Einlass: 21:45 Uhr). Die Besichtigung ist nur mit vorheriger Anmeldung möglich."

Schwierig. Dabei hätten sich die Verschwörer ja gleich verraten, also mit einer Anmeldung über ihre persönlichen Daten. Bei der im April bekannt gewordenen "geplanten Lauterbach-Entführung" waren laut der Generalstaatsanwaltschaft "fünf Beschuldigte als Kern-Gruppe" bekannt. Der SWR berichtete am 15. April zu diesen Ermittlungen:

"Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz ermittelt insgesamt gegen zwölf Männer und Frauen. Laut Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer wollten sie durch Anschläge auf Umspannwerke und Stromleitungen einen bundesweiten Stromausfall herbeiführen, um bürgerkriegsähnliche Zustände zu verursachen."

Die Beschuldigten der heutigen Ermittlungen planten laut unisono vorliegendem Wissen der Medien, dass "elektromagnetische Impulse in dem Szenario zu einem Stromausfall führen sollen, als eine Art Fanal". Damit sollte die Bevölkerung dazu gebracht werden, "sich dem Aufstand anzuschließen". Kannte man sich?

Am 28. November verriet die Tagesschau, dass in "der im April festgenommenen Gruppe ein verdeckter Ermittler" beteiligt war. "Dank ihm sind neue Details bekannt", freuten sich die Tagesschau-Redaktion und die Behörden. Es stellt sich also wie in allen geheimdienstlichen Erkenntnissen und Ereignissen bei extremen Gruppierungen von außen links bis außen rechts in diesem Land auch am heutigen Tag sehr schnell die Frage: Wurde seitens des Staates eine vermeintliche Entwicklung hinsichtlich einer drohenden "De­le­gi­ti­mie­rung des Staates" rein beobachtet oder wissentlich geduldet und/oder möglicherweise sogar gefördert?

T-Online muss in seinem Artikel unbedingt darauf hinweisen, dass ein heute festgenommener Unteroffizier "in der Bundeswehr bereits als Impfgegner aufgefallen" war. Der Welt-Artikel erklärt den Lesern:

"Die Gruppe soll einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen und Erzählungen der Reichsbürger, sowie der QAnon-Ideologie gefolgt sein. Sie seien davon überzeugt gewesen, dass Deutschland von einem als 'deep state' bezeichneten Geheimbund regiert wird." 

Ein Oberst a. D, ebenfalls heute festgenommen, engagierte sich laut der Zeit "so lautstark im Milieu der Querdenker und Reichsbürger, dass die Bundeswehr laut Medienberichten ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleitete". Fehlt etwas, vielleicht eine Russland-Connection? Der Spiegel bedient sehr gerne mit der Information, dass Teile der Verschwörergruppe "mit Russland außenpolitische Verhandlungen geführt" hätten. Dazu heißt es:

"Wohl zu diesem Zweck nahm Prinz Reuß (der adlige Hauptbeschuldigte) über seine Lebensgefährtin Vitalia B. (eine Russin!) bereits Kontakt zu russischen Stellen auf. Allerdings fanden die Ermittler keine Hinweise darauf, dass diese Stellen auf Prinz Reuß' Avancen eingegangen wären."

Keine Hinweise, möglicherweise, sollten, wollten, war geplant? Viel Theorie, noch mehr Mutmaßungen bei Behörden und Medien, also ein eher mittelmäßiges Drehbuch. Am Vorabend der Dreharbeiten bzw. geheimdienstlichen Ermittlungen informiert Georg Heil, Journalist und Mitarbeiter der "Redaktion des investigativen ARD-Politikmagazins Kontraste" und Bruder des amtierenden Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD), über folgendes Vorwissen:

"Mir schwant, morgen wird es viele 'Exklusiv'-Meldungen geben."

Was fällt nun in der heutigen Erregung medial unter den Tisch? Gerät damit automatisch aus dem Fokus der Wahrnehmung der Bürger? Ja, natürlich auch die Ereignisse des Tötungs-Delikts und Verletzungen in Illerkirchberg und daraus resultierende Diskussionen zu dem Phänomen "Ereignisse mit Messer". Die Welt titelte im Rahmen einer Recherche am 21. November: "Fast 20.000 Messerangriffe in einem Jahr (2020) in Deutschland". Einen Tag vor dem tragischen und brutalen Ereignis in Illerkirchberg titelte T-Online eher medial unbeachtet:

"Rentner mit Rollator unterwegs - Messerangriff beim Spaziergang: Unbekannter verletzt 81-Jährigen schwer"

Darf T-Online das überhaupt so schreiben?: "Er trug den Beamten zufolge schwarze, kurze Haare, war 'etwas korpulent' und hatte einen dunklen Teint." Georg Restle, Redaktionsleiter des ARD-Politmagazins Monitor, twitterte zu dem Illerkirchberg-Drama zwei symptomatische persönliche Wahrnehmungen in dieser erhitzten gesellschaftlichen Diskussion:

Laut der Tagesschau bezeichneten "führende Ermittler den heutigen Einsatz gegen die Gruppe als beispiellos: 'Das sprengt vom Umfang her alle Dimensionen.'" Vom Umfang und den Dimensionen her sorgt das heutige Geheimdienst-Drehbuch, die Ereignisse rund um diese, ja nennen wir es doch inszenierte Aktion, eigentlich nur für die erneute nachdrückliche Bestätigung der Bürger, weiterhin in einer bizarren Gegenwart zu leben. So wie in einem irgendwie falschen Film.

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