Von Seyed Alireza Mousavi
Der US-Präsident Joe Biden hat kürzlich eine "militärische Operation" in Betracht gezogen, um Iran an der Fortsetzung seines Atomprogramms zu hindern. Er erklärte die USA bereit für einen Militärschlag, sollten Sanktionen und Diplomatie nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Das sagte Ende November Robert Malley, der US-Sondergesandte für Iran, in einem Interview mit Foreign Policy.
Die USA haben in letzter Zeit tatsächlich wenig Interesse an der Wiederbelebung des Atomabkommens mit Iran gezeigt – vor allem, nachdem Iran durch eine Welle von Unruhen seit Mitte September erschüttert wurde. Malley hat am Samstag noch einmal nachgelegt und gesagt, dass sich die USA nun auf "iranische Waffenlieferungen an Russland" und auf die "Unterstützung von Demonstranten" im Lande konzentrieren und nicht mehr auf die ins Stocken geratenen Gespräche zur Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens mit Iran.
Die USA setzen offenbar auf eine neue Runde der Unruhestiftung, nachdem die erste Phase der orchestrierten und durch Medien angeheizten Kampagne für Proteste in Iran gescheitert war. Der Westen hatte seit Mitte September – auch mittels Bot- und Fake-Accounts in sozialen Medien sowie durch Fake-News – eine beispiellose Medienkampagne gestartet, um ein falsches Bild über die Reichweite und Form der Proteste in Iran zu vermitteln, nachdem eine 22-jährigen Iranerin – angeblich in Polizeigewahrsam – in Teheran verstorben worden war.
Die westlichen Medien, die den Vorfall seither zu einem "Verbrechen" aufgebauscht hatten, haben seit Sonntag eine neue gemeinsame Kampagne gegen Iran unter dem Stichwort "Auflösung der Sittenpolizei" eingeläutet. Übereinstimmend berichteten westliche Medien am Wochenende, die Sittenpolizei in Iran sei wohl aufgelöst worden. Im Westen wurde diese durch die Leitmedien manipulierte Meldung als ein "Etappensieg für die iranische Protestbewegung" in Iran gefeiert. Die sogenannte Sittenpolizei stand bereits als Auslöser der erwähnten Unruhen in dem Land im Fokus der Berichterstattung.
Meinungsmacher versuchten den neuen Schritt der Regierung in Teheran zur "Auflösung der Sittenpolizei" als ein Zeichen der Schwäche zu interpretieren: "Allein das zeigt, dass das Regime nicht mehr Herr der Lage ist. Die Protestbewegung dagegen hat neue Kraft gewonnen", hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Mit diesem Entgegenkommen wolle Präsident Raisi nur den für Montag angekündigten landesweiten Generalstreik untergraben, hieß es in der Süddeutschen Zeitung (SZ).
Aber worum geht es eigentlich bei dieser aus dem Kontext gerissenen Meldung zur Sittenpolizei in Iran? Der Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri in Teheran erklärte auf eine Frage nach der Suspendierung der "Moralpolizei" in einer Konferenz an diesem Samstag, die "Sittenpolizei" habe nichts mit der Justiz zu tun und sei von derselben Instanz aufgelöst worden, von der sie in der Vergangenheit eingerichtet worden war. Die Sittenpolizei untersteht faktisch der iranischen Polizei, und in den vergangenen Jahren wurde die Bedeutung und Funktion dieser Einrichtung innerhalb der iranischen Regierung immer wieder kontrovers diskutiert. Sie war ursprünglich unter dem vormaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschād eingeführt worden.
Iran hat bereits die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt, der die Gründe für die jüngsten Unruhen im Land klären soll. Aber entgegen den jüngsten Behauptungen von Medien hat Iran in seiner "ideologischen Kernfrage" keine Zugeständnisse gemacht. Die fragwürdigen Strukturen der sogenannten Sittenpolizei hatten sich vielmehr längst als ein Schwachpunkt herausgestellt, und Iran scheint daher dabei zu sein, neue Regelungen zu definieren.
Für den Westen ist die "Diskriminierung der Frauen" nur ein Vorwand, um Unruhe in Iran anzustiften, ebenso wie es die "strengen Corona-Maßnahmen" in China sind. Die Situation der Frauen in Saudi-Arabien ist dagegen genauso irrelevant für westliche Medien, wie es etwa die Corona-Maßnahmen und Impfvorschriften in Kanada sind. Iran scheint derzeit daran zu arbeiten, dem Westen die Chance zu entziehen, das Thema "Frauen" als einen Hebel im Kontext der geopolitischen Spannungen auszunutzen.
Noch einmal zurück zum Thema Atomverhandlungen: Die USA zeigen derzeit kein Interesse an der Wiederbelebung des Atomdeals JCPOA – entweder weil Iran den kritischen Punkt bei seinem Atomprogramm erreichen hat und die Fortschritte Irans in der Nutzung der Atomenergie nicht mehr rückgängig gemacht werden können oder weil die USA nun ihre Hoffnungen darauf gesetzt haben, nach der gescheiterten Politik aus der Trump-Ära des sogenannten "maximalen Druck" auf Iran jetzt durch die Unruhestiftung und "Syrisierung" Irans dem Land ihr Diktat bei den Atomverhandlungen aufzwingen zu können.
Mehr zum Thema - "Syrisierung" Irans: Der Beitrag der deutschen Leitmedien zur US-Strategie