Von Rainer Rupp
Die Behauptung der Ukraine, Russland habe mit zwei Raketen das NATO-Mitglied Polen angegriffen und dabei zwei Menschen getötet, war ein Schock für die Länder des westlichen Bündnisses, sahen sie sich doch plötzlich mit der realen Möglichkeit eines Krieges gegen Russland konfrontiert. Zugleich war die von der US-Nachrichtenagentur AP verbreitete Hiobsbotschaft über den angeblichen russischen Raketenangriff auf Polen ein aufschlussreicher politischer Lackmustest über die tatsächliche Kriegsbereitschaft der NATO-Länder, die ganz offensichtlich im Widerspruch zur viel beschworenen Geschlossenheit und Solidarität steht.
Ob dieser große Schock auch ein echter Weckruf für die meisten NATO-Länder bezüglich ihrer Ukraine-Russland Politik ist, bleibt jedoch unklar. Zwar haben einige europäische Medien den bis dahin als Kriegsheld vergötterten ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij rundheraus als "gefährlich" bezeichnet und ihn beschuldigt, versucht zu haben, die NATO mit seiner "Unwahrheit" in den Dritten Weltkrieg zu lügen. Aber ob das reicht, die politische Kurve zu kriegen und z. B. Washington dazu zu bringen, die gerade versprochenen weiteren zig Milliarden Dollar für die Ukraine zu überdenken, oder ob die EU die vor wenigen Tagen angekündigten 2,5 Milliarden Euro für die Ukraine nochmals auf den Prüfstein stellt, das ist eine andere Frage.
Auch die Bundesregierung müsste angesichts der jüngsten Ereignisse die in Aussicht gestellten weiteren Hunderte von Millionen Euro für den preisgekrönten ukrainischen Pinocchio neu bewerten. Das Geld sollte stattdessen ins Ahrtal geschickt werden, wo die meisten Bürger seit 16 Monaten immer noch auf die versprochene Hilfe warten.
Die Tatsache, dass Präsident Selenskij trotz der Erkenntnisse aller NATO-Experten und Geheimdienste und öffentlicher Erklärungen der Regierungen der NATO-Länder einschließlich der USA stur dabei blieb, dass die Russen die als S300-Raketen auf Polen abgefeuert hätten, hat sogar einige US-amerikanische Medien aus dem Mainstream gezwungen, ihre bisherige Heldenverehrung zu hinterfragen. So hieß es in einem der ersten Absätze eines Artikels des US-Nachrichtenmagazins Newsweek vom 19. November unter dem Titel "Stellt Selenskij Amerikas Geduld auf die Probe?":
"Doch sogar nachdem die Gefahr einer Eskalation aufgrund des Prinzips 'Einer für alle, alle für einen' gesunken war, hat der ukrainische Präsident weiter darauf bestanden, dass er 'keinen Zweifel daran habe, dass es nicht unsere Rakete war'. Als Präsident Biden zu dieser Antwort Selenskijs befragt wurde, sagte er Reportern, dass es 'dafür keinen Beweis gibt'."
Direkt zu Beginn des Artikels äußert der Autor seine große Befürchtung:
"Die Erklärung von Wladimir Selenskij für die tödliche Raketenexplosion in Polen mag im Widerspruch zu der von Joe Biden stehen, aber könnte sie in den USA nicht auch die Glaubhaftigkeit zukünftiger Behauptungen des ukrainischen Präsidenten über die russische Invasion untergraben?"
Entweder ist der Autor dieser Zeilen blöd, oder er hält die Newsweek-Leser, die aus der gebildeten Mittelschicht kommen, für strohdumm. Nein, es geht nicht um die Glaubhaftigkeit zukünftiger Behauptungen des ukrainischen Präsidenten, sondern um all die anderen, oft genauso absurden Lügen, die Selenskij in der Vergangenheit erzählt hatte. Die müssen jetzt hinterfragt worden! Newsweek versucht jedoch wie die meisten anderen Medien im Westen, abzulenken und Selenskijs schwerwiegende Lüge als Bagatelle zu relativieren!
Selenskijs rotzfreches Beharren auf seiner Lüge, obwohl das Gegenteil von Freund und Feind in seltener Einigkeit bestätigt worden war, deutet auf einen krankhaften Lügner hin, der plötzlich die Welt nicht mehr versteht. Bisher war doch immer alles gut gegangen: Er konnte, zusammen mit seiner Regierungsmannschaft, die abwegigsten Dinge behaupten, sie wurden im Westen ungeprüft stets für bare Münze genommen und von den Medien entsprechend verbreitet. Das zeigt ein anderes, irrsinniges Beispiel mit ebenfalls verheerenden potenziellen Folgen. So kann Selenskij gegenüber der UNO und der Internationalen Atomenergiebehörde-Organisation (IAEA) immer wieder behaupten, dass die Russen das Atomkraftwerk Saporoschje seit Monaten mit Artillerie beschießen.
Obwohl international bekannt war und ist, dass dieses AKW – samt des Hinterlands in Richtung Osten – unter russischer Kontrolle steht und von russischem Militär bewacht wird, wird Selenskij dieser Irrsinn im Westen weiterhin geglaubt.
Aktuell wird viel darüber berichtet, dass die Russen in der Ukraine einen Elektrizitätskrieg führen und mit Hochdruck konventionelle Kraftwerke und Trafo-Stationen angreifen, um die Stromversorgung der Ukraine zu zerstören, mit dem Ziel, die militärische Logistik über das elektrifizierte Eisenbahnschienennetz der Ukraine lahmzulegen. Dabei hat niemand von den westlichen "Qualitätsjournalisten" sich die Frage gestellt, warum die Russen bisher keinen einziges der noch funktionierenden ukrainischen Atomkraftwerke angegriffen haben. Stattdessen wird geglaubt, dass die Russen ausgerechnet das AKW von Saporoschje beschießen, das sie selbst besetzt halten und wo russische Soldaten Wache schieben.
Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Irrwitz von vielen westlichen Politikern und Medien weiterhin geglaubt und verbreitet wird. Einige Westmedien scheinen sich allerdings angesichts so viel Dummheit nicht ganz wohlzufühlen und nehmen eine Position der Äquidistanz ein, indem sie – unter Weglassung von Plausibilität und physikalischen Fakten – der russischen und ukrainischen Behauptung gleichermaßen Glaubwürdigkeit beimessen. Leider hat auch die total politisierte IAEA die Position eingenommen, wonach die Ukraine A sagt, die Russen B sagen und man nicht weiß, wem man glauben soll.
Nun, das AKW Saporoschje liegt direkt am Ufer des Dnjepr, und zwar an einer Stelle, wo der Fluss mehrere Kilometer breit ist. Anhand der Flugdaten der Granaten, der Einschlagwinkel und anderer Spuren kann nämlich einwandfrei berechnet werden, aus welcher Richtung die auf das AKW abgeschossenen Granaten kommen, ob von der Landseite, die von Russland besetzt ist, oder von der anderen Seite des Flusses, die unter der Kontrolle der ukrainischen Armee steht. Die Suche nach den Schuldigen wäre schnell geklärt, wenn die vom Westen offensichtlich unterwanderte IAEA das wollte.
Aber der Westen ist an der Aufklärung des Falls Saporoschje nicht interessiert, weil dabei zweifelsfrei herauskäme, dass die gemeingefährlichen Abenteurer in Kiew versuchen, den Russen eine nuklear verseuchte Großregion zu hinterlassen. Zugleich würde der Weltöffentlichkeit Westen klar, dass der kollektive Westen wegschaut, statt die Verbrecher in der Selenskij-Regierung zu stoppen und zu demaskieren.
Deshalb spielen Logik, Plausibilität und physikalische Berechnungen zur Klärung des Sachverhalts der Artillerieangriffe auf das AKW Saporoschje in Politik und "Qualitätsmedien" des Westens keine Rolle. Bei den Öffentlich-Rechtlichen von ARD und ZDF wird es auch beim nächsten Beschuss wieder heißen: Russland beschuldigt die Ukraine, und die Ukraine wirft Russland vor, das AKW unter Feuer genommen zu haben. Und am Ende heißt es dann, dass diese Behauptungen "nicht unabhängig überprüft werden können". Damit aber disqualifizieren sich ARD und ZDF selbst, weil sie eingestehen, dass man bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht mehr den Verstand einschaltet, sondern nur noch die vorgekaute offizielle Propaganda verbreitet.
Wenn derart groteske Lügen Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat unhinterfragt von Politik und Medien im Westen als Wahrheit angenommen werden, ist es kein Wunder, dass Selenskij und sein altes TV-Produktionsteam, das mit ihm in Kiew die Regierung stellt, den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Selenskij offensichtlich nicht verstehen konnte, warum sich seine sonst verlässlichen westlichen Unterstützer wegen einer ganz gewöhnlichen weiteren Lüge plötzlich so aufgeregt haben. Das hatte doch bisher immer gut geklappt. Selbst, wenn mal Zweifel aufgekommen waren, musste er nur stur bei seinen Behauptungen bleiben, und es hatte keine Folgen.
Egal wie dick die Lüge war, aus Gründen des Selbstschutzes wagte kein Politiker im Westen, am Lack des Helden der Ukraine und des Retters der abendländischen Zivilisation vor den barbarischen Horden aus Russland zu kratzen. Ob es um die Inszenierung des "Massakers von Butscha" ging, um angebliche Kriegsverbrechen der Russen an ukrainischen Zivilisten, um Gräuelporno-Berichte über tägliche Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten oder um den angeblich systematischen russischen Beschuss von Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern, Selenskijs Behauptungen wurden im Westen stets Wort für Wort als Wahrheit übernommen und verbreitet.
Inzwischen allerdings werden einige dieser Behauptungen nicht mehr wiederholt, wie z. B. die von den angeblichen "russischen Vergewaltigungen", denn das ukrainische Parlament hat diese Gräuel als frei erfundene Geschichten entlarvt, die von der eigenen, offiziell bestellten "Menschenrechtsbeauftragten" zum Zweck der Sympathiewerbung für die arme Ukraine im Westen verbreitet wurden. Seitdem liest man solche Geschichten in den Westmedien nicht mehr. Auch hat sich inzwischen auch im Westen herumgesprochen, dass vor allem die in die ukrainische Armee integrierten Neonazi-Bataillone bevorzugt Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern benutzen, um dort ihre Gefechtsstände einzurichten. Wenn die Russen dann auf die Gefechtsstände von Asow und Co. zurückgeschossen haben, gab es sofort einen Propaganda-Erfolg, indem Bilder von zerschossenen ukrainischen Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern die Schlagzeilen in den Westmedien bestimmten und die Russen schwerer Kriegsverbrechen beschuldigt wurden. Auch von solchen Nachrichten hört man immer weniger.
Aber zurück zu Polen und Selenskijs Raketen-Lüge. Der ukrainische Präsident hat offensichtlich in seiner realitätsfernen Weltsicht nicht mitbekommen, dass er eine rote Linie der NATO überschritten hatte, die da lautet: keine direkte Konfrontation der NATO mit Russland. Das heißt jedoch nicht, dass die NATO aufhörte, den fanatischen Russenhass der regierenden Eliten in Kiew und der Nazi-Bataillone auszunutzen, um Russland bis zum letzten ukrainischen Soldaten zu schwächen; und zwar in einem Kampf, in dem die Ukraine mittelfristig nicht den Hauch einer Chance hat, zu gewinnen.
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, wie die Elite eines Landes verfasst sein muss, wenn sie zulässt, dass die eigene Bevölkerung als Kanonenfutter für die Zwecke von USA/NATO und EU geopfert wird.
In einem Newsweek-Interview vor sieben Jahren hatte der schon damals in Kiew lebende italienische Militärexperte, Journalist und Doku-Filmemacher Thomas Theiner die Kiewer Eliten treffend beschrieben. Die Newsweek-Ausgabe erschien am 8. Juni 2015, also ein Jahr nach dem von den USA bezahlten und orchestrierten Maidan-Putsch und auch nach dem gescheiterten Versuch der neuen Putschregierung in Kiew, den Widerstand im Russisch sprechenden Donbass mithilfe der ukrainischen Armee und Nazi-Freiwilligenbataillonen blutig niederzuschlagen. In dem Interview hatte Theiner gesagt:
"Letztendlich wird dieser Krieg durch die Unfähigkeit, Korruption und Arroganz der politischen Klasse der Ukraine verloren gehen, die sich bisher weigert, die Nation zu mobilisieren, sich Korruption und Vetternwirtschaft hingibt und immer wieder westliche Ratschläge zur Kriegsführung und zur Bekämpfung der Korruption verschmäht. Weder der Maidan noch ein Krieg mit 10.000 Toten schafften es, die ukrainische Elite dazu zu bringen, ihre kriminellen, korrupten Methoden aufzugeben."
Von dieser Charakterisierung der ukrainischen Eliten im eigenen Nachrichtenmagazin will die Newsweek-Redaktion heute nichts mehr wissen. Stattdessen bemüht sich das Magazin im weiteren Verlauf des oben zitierten aktuellen Artikels um Schadensbegrenzung beim Verlust von Selenskijs Glaubwürdigkeit. Dazu fährt die Redaktion einige US-Persönlichkeiten, Militärs und Akademiker als Leumund auf. Sie alle plädieren für Selenskij, der in einer schwierigen Lage stecke, weshalb man auch Verständnis haben müsse für seine kleine Verfehlung mit den Raketen in Polen.
Die Aussage des von Newsweek zitierten pensionierten Chief Master Sergeant des US Air Force Command Dennis Fritz reflektiert den Tenor der anderen Stellungnahmen in dem Artikel. Fritz sagte: "Ich glaube nicht, dass Selenskijs Image jemals unter so was (die polnische Raketen-Lüge) leiden würde." Die einzige Ausnahme unter den Befragten war der Geschichtsprofessor Michael Kimmage, ehemaliges Mitglied des Planungsstabs des US-Außenministeriums. Der relativierte zwar auch Selenskijs Lügen als nicht so schlimm, sondern eher als eine "Frage der Genauigkeit", also als Kleinigkeiten, die man getrost beiseiteschieben kann angesichts wichtigerer Dinge.
Denn in Bezug auf Selenskijs Zukunft sieht der ehemalige Politikplaner des US-Außenministeriums schwere innenpolitische Probleme aufziehen. Zwar habe der ukrainische Präsident "sich in Kriegszeiten als sehr effektiver Anführer gezeigt", und "niemand zweifelt wohl an der Gerechtigkeit seiner Sache", aber dennoch sieht der Professor die Gefahr einer Götterdämmerung für die ukrainische Heldenfigur. Die bestehe in Selenskijs "Hollywood-Narrativ", nämlich in seinem Versprechen, dass "es schnell zu einem Happy End kommen wird". Ein Happy End stehe jedoch "nicht in den Karten".
Das Problem bestehe nun aber darin, dass "das Ausmaß seiner (Selenskijs) Popularität stark vom Eintreten dieses Hollywood-Narrativ abhängt". Das würde ein "Weitermachen-wie-bisher" aber schwierig machen. Um weitermachen zu können, müsste Selenskij "erst ein anderes Narrativ finden", das von der Bevölkerung mitgetragen wird.
Ein solches Narrativ zu finden, dürfte für Selenskij angesichts der zunehmend prekären Lage der Ukraine schwierig sein. Denn aufgrund der veränderten Kriegsführung Russlands erlebt die Masse der ukrainischen Bevölkerung seit einigen Wochen zum ersten Mal hautnah die Folgen des Krieges. Millionen Familien sind ohne Strom, Gas und Wasser. Vor allem große Städte und die Hochhäuser dort sind betroffen. Die Regierung in Kiew hat inzwischen die Stadtbewohner aufgefordert, für den Winter in kleine Dörfer aufs Land zu ziehen. Aber bei Weitem nicht jeder hat dort Verwandte, bei denen er unterkommen könnte.
Zudem ist es allein aus logistischer Sicht unmöglich, in den ländlichen Regionen in der gegenwärtigen Situation zusätzliche Millionen von Menschen mit Nahrung und Medikamenten zu versorgen. Nur eine rasche und ehrliche Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft der Selenskij-Regierung mit Russland kann die unausweichliche Katastrophe noch verhindern, auf die die Ukraine zusteuert. Zugleich kommt auch eine riesige Flüchtlingswelle aus der Ukraine auf Deutschland zu, das heute wirtschaftlich und politisch viel schlechter dasteht als bei der letzten Flüchtlingswelle im Jahr 2015. Außerdem beherbergt Deutschland bereits eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine, und die Kapazitäten sind vielerorts erschöpft.
Dem Ratschlag von Professor Kimmage folgend, sollten Selenskij und Robert Habeck sich möglichst bald zusammensetzen. Beide brauchen dringend ein neues Narrativ, das von der Bevölkerung mitgetragen wird. Eine Mischung aus Selenskijs Lügen und Habecks Märchen ist vielleicht die Lösung.
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