Von Pierre Lévy
Die Ankündigung hat wie eine Bombe eingeschlagen: Das für den 26. Oktober geplante jährliche gemeinsame Treffen der deutschen und französischen Regierung wurde in letzter Minute "verschoben". Es ist zwar nicht das erste Mal, dass die Beziehungen zwischen Paris und Berlin ins Wanken geraten, aber es ist selten, dass die Auseinandersetzungen auf so spektakuläre Weise zutage treten, zumal die Verschiebung am Vorabend des Europäischen Rates, der am 20. und 21. Oktober stattfand, bekannt gegeben wurde.
Der französische Präsident empfing den deutschen Bundeskanzler am Tag des abgesagten Treffens, um den Schock zu mildern. Bei dieser Gelegenheit konnten jedoch keine Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt werden. Der Élysée-Palast sprach von "wichtigen Themen, die Fragen der Souveränität betreffend" und das Kanzleramt räumte ein, dass es "eine ganze Reihe von Themen gibt, bei denen wir noch nicht zu einer gemeinsamen Position gelangt sind".
Diese Spannungen, die seit Monaten bestehen, brachen vor dem Hintergrund der zunehmenden Widersprüche in der Europäischen Union auf und verstärken diese. Sie betreffen derzeit zwei Schlüsselbereiche.
Das erste Streitobjekt ist die Verteidigung. Als im Februar dieses Jahres russische Panzer in die Ukraine einrückten, sprach der Bundeskanzler von "Zeitenwende". Die jahrzehntelange wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland sollte gemäß dem westlichen Konsens, der sich unter der Führung der USA schnell herausgebildet hatte, beendet werden. Olaf Scholz kündigte zudem eine erhebliche Verstärkung seiner Armee und eine mehrjährige Finanzierung von 100 Milliarden Euro zu diesem Zweck an.
Im Élysée-Palast war man zunächst erfreut. Dies, so dachte man, würde sicherlich die gemeinsamen Rüstungsprogramme der beiden Länder wieder ankurbeln, insbesondere das Jagdflugzeug der Zukunft und sein hypersophistiziertes Zubehör und die nächste Generation von Kampfpanzern.
Der Kanzler dämpfte die französischen Hoffnungen jedoch schnell, als klar wurde, dass seine Priorität auf dem kurzfristigen Kauf von US-amerikanischem Material und Waffen lag. Und als ob das nicht schon genug wäre, bestätigte Berlin seine Beteiligung am Projekt des Raketenabwehrschildes, an dem 14 NATO-Staaten beteiligt sind – nicht aber Frankreich, das sein eigenes Programm hat.
Der andere Bereich ist die Energie, genau der Bereich, in dem sich die 27 nur schwer einigen können. Das Tauziehen dreht sich vor allem um die Deckelung des Preises für importiertes Gas. Frankreich gehört zu den 15 Mitgliedsstaaten, die sich dafür einsetzen. Deutschland ist dagegen, zusammen mit einigen anderen Ländern wie den Niederlanden, Österreich oder Ungarn.
In der Tat sind sich die beiden Lager uneins darüber, wie man mit dem spektakulären Anstieg der Energiepreise in den vergangenen Monaten, insbesondere der Gaspreise, umgehen soll. In vielen Ländern sind die Rechnungen der Haushalte in die Höhe geschnellt, und Hunderttausende kleine und mittlere Unternehmen sind von der Schließung bedroht.
Vor allem will Berlin nicht das Risiko eines Versorgungsengpasses eingehen, der sich aus einer künstlichen Preisobergrenze ergäbe. Denn diese europäische Obergrenze würde die Lieferanten (Norwegen, USA, Golfstaaten …) dazu veranlassen, anderswo zu verkaufen. Deutschland hat die Mittel, sich zu hohen Preisen einzudecken und seine Wirtschaft durch einen "Schutzschild", der Haushalte und Unternehmen schützen soll, massiv zu subventionieren. Der Bundeskanzler kündigte zu diesem Zweck einen Plan im Umfang von 200 Milliarden Euro (über zwei Jahre) an.
Dies löste einen Aufschrei unter vielen seiner europäischen Partner aus, die ihn des Egoismus beschuldigten. Selbst die Europäische Kommission wies auf das Risiko einer Wettbewerbsverzerrung zwischen deutschen Unternehmen, die fürstlich geschützt sind, und Unternehmen aus kleineren Ländern hin, die nicht in der Lage sind, das Gleiche zu tun.
Kurz vor der Eröffnung des Europäischen Rates am 20. Oktober hatte Emmanuel Macron versucht, diese Widerstände zu bündeln, in der Hoffnung, den Partner jenseits des Rheins zum Einlenken zu bewegen: "Es ist weder für Europa noch für Deutschland gut, wenn dieses sich isoliert", hatte der französische Präsident scheinheilig erklärt. Schließlich übertrug der Gipfel der Kommission die Aufgabe, verschiedene Szenarien für eine Deckelung zu untersuchen. Der Widerspruch innerhalb der 27 und zwischen Berlin und Paris ist bis heute also keineswegs ausgeräumt.
Letzter Konflikt: Berlin drängte immer wieder auf den Bau der sogenannten MidCat-Gaspipeline, einem alten Projekt durch die Pyrenäen, mit dem Flüssiggas, das an der spanischen Küste landet, durch Frankreich nach Nordeuropa transportiert werden soll. Schließlich zeigte Emmanuel Macron dem Kanzler die kalte Schulter, indem er die Trasse beerdigte und zusammen mit seinen spanischen und portugiesischen Amtskollegen eine Unterwasserleitung zwischen Barcelona und Marseille ankündigte. Dort soll "grüner" Wasserstoff zirkulieren. Zum jetzigen Zeitpunkt handelt es sich aber eher um eine politische Ankündigung, die die Ressentiments zwischen Paris und Berlin schürt, als um ein ernsthaft durchdachtes und finanziertes Projekt.
Die Streitigkeiten beschränken sich nicht auf die Bereiche Verteidigung und Energie. Auch alte Widersprüche kommen wieder zum Vorschein. So sind sich die beiden Seiten des Rheins uneins über eine künftige Reform der Governance der Eurozone. Zwar wurden die Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden und -defizite im Zuge der Pandemiekrise vorübergehend ausgesetzt, doch Berlin rechnet im Einklang mit den sogenannten "sparsamen" Ländern (Niederlande, Österreich und andere) damit, dass sie wieder in Kraft gesetzt werden, während Paris, unterstützt von den südlichen Ländern, immer wieder für flexiblere Auflagen plädiert.
Ein weiterer Streit taucht wieder auf: Deutschland hatte in den 2000er Jahren der Osterweiterung durch den raschen Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder Vorrang eingeräumt, während Frankreich dafür plädiert hatte, zunächst die "Vertiefung" der Integration zu bevorzugen. Dieser Gegensatz lebt heute mit den Balkanstaaten wieder auf, deren Beitritt Berlin nicht auf die lange Bank schieben möchte, während Paris es nicht eilig hat und eher eine Architektur "mit mehreren Geschwindigkeiten" sehen würde.
Der Beitritt der osteuropäischen Länder hatte vor allem Deutschland wirtschaftlich genutzt, dessen Industrie aufgrund der Nähe und der guten Ausbildung der Arbeitskräfte in erster Linie von den Zulieferern in Tschechien, Polen und Ungarn profitiert hatte. Darüber hinaus stärkte es seinen Machtstatus, indem es den Schwerpunkt der EU nach Osten verlagerte. Diese Bewegung in den Südosten des Kontinents zu vollenden, würde zu einer "Marginalisierung" Frankreichs im Westen des Blocks führen – so zumindest die Befürchtung einiger französischer Politiker.
Das Paradoxe ist, dass sowohl Emmanuel Macron als auch Olaf Scholz behaupten, sie seien Befürworter einer stärker integrierten EU. Dies war der Sinn der "Sorbonne-Rede", die ersterer im September 2017 hielt, ein Plädoyer, das die Bundeskanzlerin Angela Merkel damals unbeachtet ließ.
Fünf Jahre später forderte der neue sozialdemokratische Kanzler in Prag – es war am 29. August dieses Jahres – eine quasi Bundesstaat-EU, wie es seine Dreiparteienkoalition vereinbart hatte. Er wies auch auf militärischer Ebene auf die "schnelle Einsatzfähigkeit" der EU hin, und erinnerte an die fünftausend Mann starke Truppe, die in dem im März dieses Jahres formell verabschiedeten Dokument "Strategischer Kompass" vorgesehen ist und deren Führung Berlin übernehmen sollte.
Olaf Scholz übernahm zwar das von seinem französischen Amtskollegen geprägte Konzept der "europäischen Souveränität", doch wenn es darum geht, vom Konzept zu den Taten überzugehen, drängt sich der Einspruch der Realität auf, angefangen bei dieser Feststellung: Die politischen Kulturen und die wirtschaftlichen, industriellen und energiepolitischen Konfigurationen sind auf beiden Seiten des Rheins grundverschieden.
Hinzu kommt, dass die Zeit für föderalistische Höhenflüge vorbei ist. Mehrere Länder im Osten, insbesondere Ungarn und Polen, lehnen dies im Namen ihrer nationalen Souveränität ausdrücklich ab. Und im Westen entstehen politische Kräfte, die sich auf die nationale Souveränität berufen. Dies war erst kürzlich in Schweden, Italien und Frankreich der Fall. Diese Kräfte haben sich zwar der "europäischen Idee" angeschlossen, doch das wachsende Gewicht ihrer Wählerschaft stellt ein Hindernis für die Integrationspläne dar. Und sie tragen damit zu den Auseinandersetzungen zwischen den politischen Führern bei.
Mehr zum Thema - Es brodelt in Europa: Die Proteste gegen die Kriegs- und Sozialpolitik der Regierungen nehmen zu