Von Gert Ewen Ungar
Mit der als Dokumentation getarnten Propagandasendung "Russlands deutsche Propagandakrieger" läutet das ZDF die nächste Runde im Kampf gegen russische Medien, vor allem aber gegen eine ausgewogene Berichterstattung und Diskussion zum Themenkomplex Ukraine-Konflikt ein. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung einer bereitwilligen Preisgabe grundlegender journalistischer Standards durch den Journalismus selbst. Die Kampagne ist selbstverständlich konzertiert.
Bereits im September veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag mit dem wenig dezenten Titel "Warum stoppt niemand RT DE?", der mit einem manipulativen Vokabular operiert, das die großen deutschen Medien inzwischen gut eingeübt haben. RT betreibe Propaganda, glaubt man nicht nur bei der FAZ zu wissen.
Propaganda ist der Terminus, der die Berichterstattung über russische Medien durchzieht. Russische Medien machen Propaganda, deutsche Medien betreiben dagegen Journalismus, ist die zentrale These, die allerdings nicht bewiesen, sondern bloß behauptet wird. Wer den Unterschied zwischen Propaganda und Journalismus, wie ihn der deutsche Mainstream aktuell gebraucht, verstehen möchte, muss sich mit den Beiträgen auseinandersetzen, denn eine konkrete Definition des Begriffes Propaganda liefert das Qualitäts-Geschwurbel natürlich nicht.
Wer sich durch all die bis ins Detail recht ähnlich lesenden Artikel von der FAZ, über den Tagesspiegel bis hin zum Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und den Beiträgen von Deutschlands oberstem Faktenchecker Correctiv quält, findet genau den Propaganda-Begriff, den auch das ZDF in seiner Dokumentation benutzt. Propaganda, leitet sich aus all den Beiträgen her, ist das, was die Behauptungen der Bundesregierung, der NATO und der Ukraine infrage stellt. So einfach ist das. Das ist in dieser Schlichtheit von extremer Bitterkeit, denn der deutsche Journalismus streckt gegenüber Regierungshandeln jedes kritische Segel und dümpelt im seichten Wasser der Konformität vor sich hin.
Die jeden journalistischen Gedanken preisgebende inhärente These und Leitline der großen deutschen Medienhäuser lautet: Westliche Regierungen und Organisationen lügen nicht. Die russische und auch die chinesische tut das dagegen unentwegt. Der deutsche Journalismus ist damit in einer geistigen Schlichtheit und Primitivität angekommen, die erschreckt. Holzschnittartige Verkürzungen werden den Deutschen als Erklärungsmodelle für hochdynamische geopolitische Prozesse verkauft. Jeder, der es merkt und die deutsche Berichterstattung dafür kritisiert, ist wahlweise ein Agent des Kreml oder ein leichtgläubiges Opfer russischer Propaganda. Auf jeden Fall aber liegt er falsch und muss öffentlich gemaßregelt werden.
Damit leisten die großen deutschen Medien einen wesentlich größeren Beitrag zum Zerfall und zur Spaltung der deutschen Gesellschaft, als es russische Medien je tun könnten. Mit der Verweigerung, Komplexität abzubilden, ein pluralistisches Meinungsspektrum zuzulassen und wiederzugeben, grenzt der deutsche Journalismus einen immer größeren Teil der deutschen Gesellschaft aus und verweigert sowohl die mediale Repräsentation als auch die Teilhabe am Diskurs. Wer aber seine Meinung nicht wiedergegeben sieht und für sie sogar diskriminiert wird, wird sie deshalb noch lange nicht ändern. Zumal in deutschen Medien eben kein stichhaltiges Argument zu finden ist, warum eine russische Sichtweise oder ein aus dem Kreml stammendes Argument automatisch falsch sein sollte. Außer eben derjenigen Erklärung, dass es russisch ist. Die deutsche Argumentation gibt sich ganz offen dem kulturellen Chauvinismus hin.
Es ist schon ziemlich peinlich, wie leichtfertig die deutschen Medien ihren journalistischen Auftrag in die Tonne hauen. Geschichtsvergessen dreist ist es angesichts dieser Tatsache allerdings, dass sie all jene öffentlich an den Pranger stellen, die in die Lücke einspringen, die die journalistische Arbeitsverweigerung der kritischen Befragung von Regierungshandeln hinterlässt. Jeder, der die offizielle Erzählung infrage stellt, steht unmittelbar am medialen Pranger. Je nach persönlicher Reichweite entweder als Einzelperson oder kollektiv als zu beschimpfende Masse. Selbst ehemalige Lieblinge der Medien wie Ulrike Guérot kann es treffen: Sie hat es gewagt, im Rahmen des Ukraine-Konflikts die Verhandlungsoption zu erwähnen.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet seitens der großen deutschen Medien nicht mehr statt. Das ist fatal. Es ist einzig das inhaltliche Argument, das letztlich zählt. Alles andere ist Geschwurbel. Die großen deutschen Medienhäuser haben sich im kollektiven Schwurbeln eingerichtet.
Die benutzten Begriffe unterscheiden sich in den unterschiedlichen Medien nicht. Die Argumentationslinie ebenfalls nicht. Jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den von vermeintlichen Kreml-Argumenten wird übergangen. Wenn Alina Lipp vom Beschuss von Donezk durch die Ukraine mit westlichen Waffen erzählt, dann betreibt sie nach Auffassung von ZDF und Co. russische Propaganda. Dabei ist das, was Lipp erzählt, eine auch in Deutschland recherchierbare Tatsache. Es ist die Verweigerung gegenüber tatsächlichen Ereignissen, ihre Leugnung durch die großen deutschen Medien, die erschrecken muss. Dass man zu einer unterschiedlichen Einordnung von Ereignissen kommt, mag ja angehen, der Streit über unterschiedliche Einordnung von Ereignissen gehört im Gegenteil zu einer gesunden Debattenkultur. Dass man in Deutschland das Zeigen des Buchstabens Z für nicht angemessen hält, ist noch im Rahmen. Dass in Deutschland an jeder Ecke eine Ukraine-Flagge hängt, finden die Russen, die darum wissen, auch ziemlich gaga. Auf die Idee, das Zeigen der ukrainischen Flagge zu verbieten, ist man in Russland aber noch nicht gekommen. In Deutschland, was den Buchstaben Z angeht, dagegen schon. Dass man Ereignisse schlicht leugnet, verweist zudem darauf, dass es diese gesunde Debattenkultur, die eine Demokratie dringen braucht, schlicht nicht mehr gibt.
Die Sanktionen schaden der deutschen Wirtschaft massiv. Die Inflation steigt, die Energiepreise sowieso. All das wurde nicht durch "Putins brutalen Angriffskrieg" ausgelöst, wie die deutsche Politik nicht müde wird, wahrheitswidrig zu behaupten, sondern ist Folge des Sanktionsregimes des Westens. Die großen deutschen Medien übernehmen kritiklos die äußerst dürftige und fragwürdige Argumentation der Bundesregierung, die zudem im Ausland auf heftigen Widerspruch stößt. Die westlichen Regierungen werden für ihr Sanktionsregime auf dem anstehenden G20-Gipfel viel Kritik ernten, weil sich die Mehrheit der Weltgemeinschaft aus guten Gründen der Sicht nicht anschließt, die weltweite Energie- und Wirtschaftskrise sei durch Wladimir Putin ausgelöst. Sie sehen die Schuld beim kollektiven Westen. Diese Sicht wird in Deutschland nicht nur weitgehend verschwiegen, sondern sogar geleugnet.
All dies deutet auf eine umfassende Gleichschaltung der deutschen Redaktionen hin. Diese wurde bisher immer nur gemutmaßt, ist inzwischen aber nachgewiesen und wurde bestätigt. Alarmierend dabei ist das Ausmaß der Gleichschaltung, die sich unter anderem daran ablesen lässt, dass über die brisante Information, die Bundesregierung würde eine Narrativ-Gleichschaltung der Medien und der sozialen Netzwerke anstreben, kein großes Medium der Republik berichtet hat. Die Nachricht fand trotz der Relevanz keinerlei Niederschlag in den deutschen Nachrichten. Das heißt, ein pluraler Journalismus als das Immunsystem der Demokratie funktioniert in Deutschland längst nicht mehr.
Das ist auch daran zu erkennen, dass genau der Journalismus, der sich für Pressefreiheit und mediale Vielfalt einsetzen sollte, Strafen für Desinformation fordert. Der Begriff der Desinformation folgt dabei dem der Propaganda. Desinformation ist jede Information, die aus Russland kommt oder jene, die die Erzählung des kollektiven Westens über sich selbst infrage stellt. Wer diese Information teilt und verbreitet, soll dafür zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden, ist die unverhohlene Forderung deutscher Journalisten. Kritik wird verunmöglicht. Das verdeckt gleichzeitig, wie sehr die großen deutschen Medien selbst zu einer Quelle umfangreicher Desinformation geworden sind.
Die ARD unterhält in Moskau ein eigenes Studio. Die Korrespondenten sind hier vor Ort. Sie sehen jeden Tag wie ich auch, dass die Sanktionen keinen umfassenden Mangel ausgelöst haben. Von Diskussionen über Gasmangellage, unbezahlbare Strom- und Heizkosten ist Russland weit entfernt. Es gibt hier daher auch keine Proteste im Gegensatz zu den Ländern der EU. Das, was die Sanktionen in Russland auslösen sollten, passiert aktuell in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern der EU. Die ARD-Korrespondenten hier vor Ort lassen das unerwähnt, verlieren sich eher in umfassenden Verschwörungstheorien. Man muss es deutlich hervorheben: Trotz all des finanziellen Aufwandes, den die ARD mit ihrem Studio in Moskau betreibt, ist es den Journalisten vor Ort nicht gelungen, tatsächliche Verbindungen zur russischen Politik aufzubauen. Stattdessen kommen in den Beiträgen von Ina Ruck und Kollegen Deutungen auf dem Niveau von Hausfrauenpsychologie zum Zuge und angebliche Kreml-Experten dürfen im Kaffeesatz lesen. Mit Journalismus, der sich um Fakten und Einsichten bemüht, hat all das nichts zu tun. Im Gegenteil wird mit der Präsenz der ARD in Russland dem deutschen Medienkonsumenten ein Zugang zu Russland und zur Politik in Russland vorgetäuscht, der weder existiert noch gewünscht ist. Schon die bloße Wiedergabe der russischen Position fällt unter den Begriff der Desinformation und wird daher für den Zuschauer entsprechend eingeordnet.
Für den deutschen Medienkonsumenten ist wichtig zu verstehen, dass die großen deutschen Medien inklusive der Öffentlich-Rechtlichen vollumfänglich dysfunktional sind. Sie schützen aktuell weder die Demokratie noch informieren sie in einer Weise, dass durch die Breite der Information Risse in der Gesellschaft geschlossen werden können. Die deutschen Medien setzen auf Spaltung und Ausgrenzung, nicht auf die Vermittlung von Verstehen und Bemühen um Verständnis. Stattdessen verkündet der Mainstream aktuell "Wahrheiten", die in der behaupteten Absolutheit natürlich nicht existieren. Er trägt damit zum Zerfall und der Spaltung der deutschen Gesellschaft, zur Demontage der Demokratie weit mehr bei, als es RT je könnte – wenn es denn in überhaupt im RT-Auftrag läge.
Für Deutschland ist zu wünschen, dass der Einfluss des Journalismus der großen Häuser eher früher als später gebrochen wird. Der deutsche Journalismus ist zum Feind des Zusammenhalts der deutschen Gesellschaft geworden und unterminiert grundlegende demokratische Werte. Das ist inzwischen für viele fühlbar geworden.
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