Von Dagmar Henn
Es gibt nichts Neues unter der Sonne, möchte man sagen, wenn wieder einmal ein neues Filmchen zur "russischen Propaganda" durch einen deutschen Sender gejagt wird. Und weitestgehend stimmt das auch für das aktuellste Exemplar, den vom ZDF ausgestrahlten Film "Russlands deutsche Propaganda-Krieger".
Die Grundzutaten sind immer gleich. Es werden einige mehr oder weniger qualifizierte "Experten" herangezogen, die ihre Köpfe in die Kamera halten, die aber nicht argumentieren, sondern nur ohne weitere Belege die Thesen wiederholen, die im Kommentar zuvor bereits aufgebaut wurden; es gibt einige kurze Schnipsel, in denen die "Bösen" gezeigt werden, und dazwischen gibt es viel musikalische Untermalung, die Spannung erzeugen soll. Was auch nötig ist, denn auch wenn das Elaborat optisch aufgemotzt ist und mit allen Tricks arbeitet, die Stimmung erzeugen sollen, ist der eigentliche Inhalt erschreckend öde. Letztlich ist es nur eine bebilderte Variante einer Endlosschleife von "Propaganda, Desinformation, Russland, Propaganda, Desinformation..."
In den 29 Minuten gibt es ein einziges Beispiel, das erwähnt wird, um überhaupt etwas Ähnliches wie einen Beleg zu liefern, und das ist seit Jahren und quer durch alle vergleichbaren Sendungen die gleiche Geschichte: der Fall Lisa aus dem Jahr 2015. Nur dass selbst dieser Fall weit komplexer war, als er erzählt wird, und selbst in diesem Fall der Vorwurf letztlich nicht haltbar ist. Das Mädchen war tatsächlich vergewaltigt worden, es wurden zwei Täter dafür verurteilt, es waren nur andere Täter, als sie ursprünglich angegeben hatte.
Die russischen Medien haben damals, vom allerersten Bericht (eines Privatsenders) abgesehen, durchaus differenziert darüber berichtet; es kam sogar zur Sprache, warum es bei missbrauchten Kindern zu einer Beschuldigung unbeteiligter Personen kommen kann. Die deutsche Presse stürzte sich auf die erste Pressemeldung der Berliner Polizei, in der das Opfer der Lüge bezichtigt wurde (etwas, das im Umgang mit minderjährigen Missbrauchsopfern öfter passiert, aber nicht passieren sollte); vor allem, weil die ursprüngliche Version, in der das Mädchen darüber sprechen konnte, "Südländer" als Täter benannte, und die "Willkommenskultur" unbedingt unbeschädigt bleiben sollte. Die tatsächlichen Missbrauchenden waren türkischer Abstammung.
Während die Tatsache, dass der russische Außenminister Lawrow den deutschen Behörden vorgeworfen hat, sich nicht wirklich um den Fall zu kümmern, bis heute – unter Unterschlagung des wirklichen Verbrechens – als Beispiel für "russische Desinformation" herangezogen wird, ist die Tatsache, dass deutsche Medien sich wie ein Hyänenrudel auf ein Mädchen stürzten und es als Lügnerin attackierten, nur weil sie russischer Abstammung war und auch das gut in den Kram passte, bis heute nicht als das mediale Vergehen wahrgenommen worden, das es war. Das Verhalten der deutschen Presse war buchstäblich ein zweiter Missbrauch, und es zeugt von der Oberflächlichkeit und dem Mangel an moralischen Maßstäben, dass der Fall "Lisa" bis heute als Beispiel für "russische Desinformation" aus der Schublade gezogen wird, statt dass sich irgend jemand endlich dafür entschuldigt.
Aber vermutlich können sie das gar nicht. Denn auf eine falsche Geschichte zurückzugreifen, die schon in den Köpfen steckt, ist weit weniger mühsam, als ein aktuelles Beispiel zu finden, bei dem man die Desinformation tatsächlich belegen müsste. Ein Beleg für Desinformation ist nämlich mühsam; er würde erfordern, dass man die gesamte verfügbare Information zu einem bestimmten Sachverhalt erst einmal offen auf den Tisch legt, um dann beispielsweise anhand der Auswahl aus diesen Informationen oder ihrer Bewertung zu belegen, dass hier fehlerhaft informiert wird.
Wie gesagt, die alte Geschichte von 2015 ist der einzige Moment, der zumindest aus der Sicht des Autors einem Beleg nahe kommt; ansonsten wird schlicht stets dieselbe Behauptung wiederholt. Was eigentlich erstaunen sollte; bei den vielen Stunden Videomaterial der Beschuldigten, die als Propaganda klassifiziert werden, müsste sich doch mühelos etwas finden lassen, mit dem diese Eigenschaft belegbar ist. Aber alles, was gezeigt wird, ist von beinahe erschütternder Harmlosigkeit, und man muss schon von vorneherein der Sicht des Autors zuneigen, um ihr überhaupt zu folgen.
Die drei erwählten Gegner Alina Lipp, Sergei Filbert und Thomas Röper kommen nur mit ein paar Sätzen vor. Abgesehen von der Beweisführung einer Desinformation, die nicht stattfindet (wenn Alina Lipp sagt, die Russen würden in der Ukraine Nazis entwaffnen, müsste man ja zur Frage Nazis in der Ukraine Stellung nehmen), dienen sie vor allem als lebende Bilder, die die unterstellte russische Steuerung belegen sollen. Lipp und Röper wollten mit dem ZDF nicht sprechen; das ist überaus nachvollziehbar. Bereits die Berichterstattung vor einigen Jahren über den Filmemacher Mark Bartalmai, der zwei Filme über den Donbass gedreht hatte, belegte, wie hemmungslos Aussagen zusammengeschnitten und verstümmelt wurden (damals war es auch das ZDF). Bartalmai hatte damals eine eigene vollständige Aufnahme des Interviews ins Netz gestellt und damit die Manipulation belegt.
Man kann sogar noch die alte Folge der "Anstalt" im Internet finden, in der gezeigt wurde, wie manipulativ die Darstellung des Donbass im Sommer 2014 war. Damals war es zumindest in dieser Satiresendung noch möglich, die Schießschartensicht der deutschen Medienlandschaft zu kritisieren, ohne gleich mit dem Etikett versehen zu werden, im Auftrag des Kreml zu arbeiten.
Aber das ist acht Jahre her. Vor acht Jahren war es noch möglich, Position gegen die NATO zu beziehen. In der aktuellen Sendung lautet der Vorwurf gegen Sergei Filbert: "Wir haben hier eine eindeutig kontra-westliche Positionierung."
Später wird dann kurz das Thema Biowaffenforschung der USA gestreift, als handele es sich um eine Erfindung und nicht etwas, das in den Haushaltsplänen der US-Regierung belegt ist. Jedes Schnipselchen Information wird völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ein typisches Merkmal von Propaganda, übrigens.
Mit der immer weiter fortschreitenden Verengung des Zulässigen sollte auch kenntlich werden, dass die Bezeichnung "russische Desinformation" selbst nicht nur auf Zirkelschlüssen beruht, weil es nicht wirklich die Quelle der Information, sondern ihre Abweichung vom Mainstream ist, die mit diesem Etikett versehen wird; sie ist in sich eine Desinformation, weil sie so tut, als ziele sie nach außen, gegen Russland, in Wirklichkeit aber vor allem nach innen zielt. Denn weit mehr als um eine Verschlechterung der Möglichkeiten des russischen Staates, seine Position irgendwie noch in Deutschland zu Gehör zu bringen, geht es bei dieser Bezeichnung darum, Meinungen, die in die innerdeutsche Debatte gehören, gewissermaßen auszubürgern und damit jede Diskussion über deutsche Interessen zu unterbinden. Je weiter sich das konkrete Handeln dieser Regierung von den konkreten Interessen der deutschen Bevölkerung entfernt, desto stärker muss jede Darstellung der realen Zusammenhänge unterbunden werden. Und der Umweg über das Etikett der "russischen Desinformation" ermöglicht es, vor dem weniger informierten Publikum die Entwicklung der Zensur als Abwehr eines äußeren Feindes zu tarnen.
Dieses Exemplar der Erzählung vom bösen russischen Propagandaapparat tut aber noch etwas, was die vorhergehenden nicht taten. Die Auswahl der Protagonisten arbeitet, auf eine ziemlich bösartige Weise, mit rassistischen Klischees. Denn mit Ausnahme von Thomas Röper (der durch seinen Wohnsitz Sankt Petersburg kompromittiert wirkt) und einen AfD-Abgeordneten sind alle anderen Deutschrussen. Gerade bei der – für das ZDF unverzichtbaren – Zutat AfD, die dazu dienen soll, Russland und rechtsextrem gleichzusetzen, wäre es problemlos möglich gewesen, Politiker zu finden, die ohne russischen Akzent sprechen. So, wie die Personen ausgewählt wurden, vermittelt der Film neben der geradezu penetranten Botschaft von der "Kreml-Propaganda" an der Oberfläche unterschwellig noch eine weitere, die besagt, Deutschrussen seien von Natur aus die fünfte Kolonne des Kreml.
"Russland führt seinen Angriff gegen den Westen nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten."
Das ist einer der einleitenden Sätze dieser Dokumentation; darauf folgen Begriffe wie "Drahtzieher", und der Titel "Russlands deutsche Propagandakrieger." Aber die darauf folgende Darstellung verknüpft eine NATO-kritische Position mit einer russischen Abstammung, und sorgt so dafür, dass eine (völlig legitime) politische Einstellung ethnifiziert wird.
Der einzige Grund, warum Deutschrussen, wie auch russischstämmige US-Amerikaner oder Franzosen etc., in den Medien, die eine Position gegen die NATO vertreten, überproportional vertreten sind, ist ein sprachlicher. Es ist für sie schlicht kein besonderer Aufwand, mal eben die NATO-Version mit der russischen zu vergleichen. Und es ist genau diese sprachliche Schwelle, die einen Widerstand im Westen gegen den aktuellsten Krieg der NATO so viel schwieriger macht, als es der gegen den Vietnamkrieg war, in dem größere Teile der westdeutschen Bevölkerung wenn schon nicht die vietnamesischen, so doch die Informationen der US-amerikanischen Vietnamkriegsgegner verstehen konnten.
Ein Eingeständnis, dass die schlichte Zugänglichkeit der russischen Version die Haltung beeinflusst, würde aber bedeuten, dass diese Version gültige Argumente liefert; das kann und darf im deutschen Fernsehen nicht gesagt werden. Wenn aber dieser faktische Hintergrund nicht geliefert wird, wird die Auswahl der "Propagandisten" zu einer rassistischen Zuschreibung.
Selbstverständlich stützen alle Bilder diese Ausrichtung. Es wird Kriegsgerät gezeigt, aber nur von der russischen Seite. Es wird das zerstörte Theater von Mariupol überflogen, selbstverständlich, ohne zu erwähnen, dass es von den Ukrainern gesprengt wurde. Und ebenso selbstverständlich gibt es keine Bilder von den Zerstörungen in Donezk oder Gorlowka, und keine Erwähnung, dass dort seit acht Jahren Krieg herrscht. Nur die Spirale der Propaganda wurde noch ein Stück weiter gedreht. Nicht nur alle NATO-Gegner sind russische Agenten; auch alle Deutschrussen.
Wie heißt es so hübsch im §5 des ZDF-Staatsvertrags? Die Angebote sollen "der Verständigung unter den Völkern dienen und auf ein diskriminierungsfreies Miteinander hinwirken." Wenn es danach ginge, hätte dieser Beitrag nicht gezeigt werden dürfen.
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