Von Wladislaw Sankin
Der ukrainische Ex-Botschafter Andrei Melnyk ist schon seit einem Monat zurück in Kiew, doch nach wie vor in den Schlagzeilen – "Melnyk entsetzt", "Melnyk empört", "Melnyk fordert" ist noch immer hier und da zu lesen. Sein Propaganda-Instrument, den Twitter-Kanal, kann er auch aus der Ukraine ganz gut bedienen. Das Publikum in den Redaktionen der deutschen Journaille hat er ja.
Inzwischen hat aber auch sein Nachfolger den Weg in die Medien gefunden. Mit dem Tagesschau-Gespräch am Freitag gilt die "Wachablösung" für den ukrainischen Karriere-Diplomaten Alexei Makejew als abgeschlossen. Nach dem Rundgang durch alle Medien ist eines klar: Die Ukraine hat für die Deutschen fortan nicht mehr nur einen Polizisten, sondern zwei – einen "bösen" und einen "guten".
Dem "Guten" haben die deutschen Medien pünktlich zu seinem Job-Antritt ein warmes Bad mit Homestorys im Bunte-Stil bereitet. Porträtiert haben sie ihn als einen ganz lieb schmeichelnden Germanophilen, der den deutschen Staat als den besten der Welt bezeichnet und die deutschsprachigen Pop-Stars Nena, Rammstein und Naidoo ganz cool findet. Wie er so "tickt", fragten sich anbiedernd alle, einschließlich Tagesschau, in der Hoffnung, dass der Ukrainer sie nicht enttäuscht und es wie Melnyk in alle großen Polit-Talkshows schafft.
Die Chancen dafür stehen gut, schließlich spricht der neue Botschafter ein ganz passables Deutsch. "Ich will Vertrauen mit den deutschen Politikern aufbauen", pflegt er in jedem Interview zu sagen. Außerdem haben die Journalisten herausgefunden, dass es ausgerechnet Makejew war, der seinem Freund Melnyk das politische Twittern im Jahr 2015 beigebracht hat. Nachdem Caren Miosga von der ARD es ganz entzückend fand, wie die Ukrainer in einem Werbevideo für deutsche Waffen warben, hat er auch ihr versprochen, den Deutschen die moderne Art der "strategischen Kommunikation" beizubringen.
Makejew hat es sowieso bequem. Er kennt das deutsche geschichtliche Minenfeld, das seinen Vorgänger Melnyk im Endeffekt nach einer quasi im Live-Format vorgetragenen Liebeserklärung an den Nationalisten Stepan Bandera aus Berlin wegsprengte. Als Kiewer hat Makejew sicherlich zumindest ein nüchterneres Verhältnis zum westukrainischen Nazi-Kollaborateur und hat es nicht nötig, freudig von dessen Grab in München zu twittern – wie es der Lwower Melnyk tat.
Sein Twitter-Kanal birgt aber andere Anstößigkeiten, die von den deutschen Medien beflissentlich übersehen werden. Bei den Tweets des Diplomaten handelt es sich seit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine fast ausnahmslos um die Wiedergabe ukrainischer Kriegspropaganda. Hassbotschaften und rassistische Andeutungen finden bei ihm noch prominenter Platz als bei Melnyk.
So wird der Leser mit einem angehefteten Post begrüßt, in dem ein Schwein in Gestalt eines russischen Soldaten auftritt. Dieses menschenähnliche Schwein kommt in seinen Tweets immer wieder vor, das Bild bedient die widerlichsten rassistischen Vorurteile, die in den Stuben der Kiewer "Kommunikationsstrategen" reaktiviert werden. Es trägt gleich zwei Kettchen mit dem orthodoxen Kreuz, ist ärmlich und dreckig, hat die Taschen vollgestopft mit Wodkaflaschen, in der Hand eine Tüte mit geplünderten Sachen.
Auch an der verbalen Hetze gegen die Russen als Ethnie darf es nicht fehlen. So hat der Botschafter ausgerechnet am Tag seiner Ernennung unter dem Hashtag "Rogue Nation" ("Schurkenvolk") getwittert:
"Mehr als 200 Tage lang protestierte kein Russe gegen die Entsendung von Truppen zur Tötung von Ukrainern durch seine Regierung. Sie unterstützten einen genozidalen Krieg.
Jetzt protestieren die Russen gegen ihre Regierung, nur weil sie SIE in die Ukraine schickt, um dort getötet zu werden.
Krieg ist immer persönlich.
#RogueNation"
Obwohl die Russen in der Ukraine keine Kriegsgefangenen erschießen, keine Todeslager betreiben, die Städte nicht zwecks Hungerblockade einkesseln, sondern den Zivilisten humanitäre Korridore anbieten, die Bevölkerung nicht mit Flächenbombardements auslöschen, sondern präzise Schläge gegen militärisch relevante Infrastruktur ausführen – sein Vorwurf liegt schon rein rhetorisch ganz klar im deutschen Duktus, der Krieg sei ein brutal-aggressiver Angriffs- und Vernichtungskrieg und die Russen seien mörderische Mörder.
So bezeichnete Makejew in einem Tweet am 17. September das russische Volk als "Killer-Nation", also etwa "Mördervolk". Und auch sonst ist sein Account voller hasserfüllter Botschaften, pauschaler Schuldzuweisungen gegen ein ganzes Volk und – natürlich – voller Forderungen nach weiteren Waffen, Waffen und noch mehr Waffen.
Etwas davon hat es bereits in die deutschen Medien geschafft. So hat er von der Bunderegierung in einem Interview gefordert, allen Russen die Einreise zu verwehren. Die Russen seien in Deutschland ein ernstes "Sicherheitsrisiko".
Damit hat der Entsandte bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nicht nur diplomatische Gepflogenheiten verletzt und gegen Vertreter einer Drittnation gehetzt, sondern auch weiter die Grenzen des Sagbaren um einen Tick breiter gemacht. In jenem Land, das sich selbst besondere "historische Verantwortung" auferlegt!
Einem russischen Kulturschaffenden, der sich sonst auf Facebook politisch eher zurückhaltend gibt, platzte nach der Lektüre des Artikels der Kragen:
"Wir sprechen andauernd in Deutschland über unsere deutsche besondere historische Verantwortung... Und dann sowas in wichtigen Zeitungen der Republik heute. Rassismus pur. Der sippenhafte Hass und die Diskriminierung... Mir geht es um Paradigmenwechsel in Medien in Deutschland, die sowas salonfähig machen".
Und das ist der entscheidende Punkt. Die Deutschen wollen nicht auf Ewigkeit eine besondere historische Verantwortung tragen. Das ist verständlich, weil sie in der Bundesrepublik nicht dem Faschismus als eingeborener Krankheit des Kapitalismus zur Last gelegt wurde, sondern einer angeblich "schuldigen" Ethnie, einer Nation, die einen einmaligen Gewaltausbruch begangen hat.
Deswegen sind die deutschen Eliten heilfroh, endlich eine andere "Schurkennation" zu finden, die man zum historischen Schreckgespenst machen kann. Die US-Amerikaner mit ihrem grausamen Vietnam-Krieg und unzähligen anderen Gewalttaten könnten es wohl nicht sein. Das sind demokratische Freunde.
Die Russen passen aber ganz gut zu dieser Rolle. Man muss dafür einfach in die alte Kiste der antirussischen Hass-Propaganda greifen – mithilfe der Ukraine. Deren Nazis, pardon, Kämpfer gegen russisch-sowjetische Besatzung waren sowieso seit jeher die deutschen Verbündeten. Dass die Rolle der Propagandisten für die Deutschen nun die Ukrainer übernehmen, erweist sich als ganz praktisch – es sei nur zitiert! Damit gehen die deutschen Freunde der Ukraine einer möglichen russischen Schusslinie aus dem Weg. Die Russen dürften sich nicht als unschuldige Opfer wie damals die Juden anstellen – sie seien Täter, die Hetze gegen sie sei verständlicher Zorn.
Da sich nun auch in Deutschland die von den USA seit langem geförderte Lesart durchgesetzt hat, die Stalin-Diktatur sei um keinen Deut besser gewesen als die Hitler-Herrschaft, seien auch die Sowjets keine edlen Befreier vom Faschismus gewesen, sondern eher zufällige Sieger. Der Ukraine-Krieg ist eine gute Gelegenheit, die Russen vom moralischen Thron der Geschichte zu stoßen. Damit wäre auch die historische "Ungerechtigkeit", gegen einen falschen Gegner den Krieg verloren zu haben, zumindest teilweise korrigiert.
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