Von Gert Ewen Ungar
In einer Analyse auf den NachDenkSeiten verdeutlicht Jens Berger das Chaos, das aktuell in der EU im Hinblick auf LNG-Importe herrscht. Nachdem die Preise für Flüssiggas schwindelerregende Höhen erklommen hatten, sind sie jetzt negativ. Wer in die EU Flüssiggas liefern möchte, muss dafür bezahlen. Das bedeutet allerdings keine Entlastung für die Verbraucher. Auf sie werden selbstverständlich jene Preise umgelegt, die bezahlt werden mussten, als die EU-Länder in Panik den Gasmarkt leergekauft und damit die Preise in die Höhe getrieben haben. Das teure Gas ist in den Speichern. Wirtschaftsminister Robert Habeck stellt Entlastungen für das kommende Jahr in Aussicht, zeigt damit aber, dass er die Marktmechanismen nicht verstanden hat. Sind die Speicher leer und müssen gefüllt werden, steigt dadurch die Nachfrage und damit auch der Preis. Verzichtet die EU weiterhin auf russisches Pipeline-Gas und hält so das Angebot künstlich eng, steigen die Preise natürlich deutlicher.
Was Habeck nicht versteht, verstehen die Spekulanten. Jetzt liegt eine große Zahl von LNG-Tankern vor Europas Küsten und wartet auf kälteres Wetter und eine damit einhergehende Steigerung des Verbrauchs sowie der damit verbundenen Preise für Gas.
Der unkoordinierte Aufkauf von LNG hat aber nicht nur die Preise in die Höhe getrieben, sondern zudem für veritable Verwerfungen gesorgt. Der LNG-Markt ist wie alle anderen Märkte für Energieträger eng zugeschnitten. Ähnlich wie beim Rohölmarkt gleichen sich Angebot und Nachfrage aus. Kurzfristige Produktionsausweitungen sind nur bedingt möglich, da die Kapazitäten zur Verflüssigung von Gas begrenzt und aus Effizienzgründen ausgelastet sind. Der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten dauert Jahre und ist lediglich durch eine Absicherung der Investitionen durch langfristige Verträge lohnend. Diese wollen die Länder der EU aber angesichts des geplanten Ausstiegs aus dem Verbrauch fossiler Energieträger nicht eingehen. Bis zum Jahr 2050 will die EU klimaneutral sein. Einer günstigen Versorgung der EU mit Gas stehen gleich mehrere Ideologien der EU im Weg: der erklärte Verzicht auf russisches Pipeline-Gas und das Ziel der Klimaneutralität. Bleibt es dabei, bleibt die Versorgungslage in der EU schwierig. Damit macht sich die EU aber auch international keine Freunde.
Die EU-Länder haben ihre Finanzkraft dazu genutzt, die Länder des Südens vom Zugang zu Flüssiggas abzuschneiden. Mit weitreichenden Auswirkungen für die dortigen Gesellschaften. Stromausfälle und Stillstand der Produktion sind in Ländern wie Pakistan und Bangladesch inzwischen an der Tagesordnung. Sie sind einem Mangel an LNG geschuldet, der durch die erhöhte Nachfrage in der EU ausgelöst wurde. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Länder des Südens gegenüber der EU zunehmend misstrauisch agieren und sich für Kooperationen mit China und Russland offen zeigen. Für das westliche Argument, Russland habe die Ukraine überfallen und müsse daher bestraft werden, hat man in diesen Ländern angesichts der zahllosen völkerrechtswidrigen und bisher ungesühnten Überfälle des kollektiven Westens auf sie selbst kein Verständnis.
Paradox ist zudem, dass während sanktionsbedingt die Lieferung von russischem Pipeline-Gas bis September um 80 Prozent einbrach, der Import von Flüssiggas aus Russland in die EU um 50 Prozent angestiegen ist. Die Sanktionen verhinderten laut russischen Angaben die routinemäßige Reparatur von Verschleißteilen der Pipeline. Deutschland bestand jedoch darauf, dass die Sanktionen in diesem Fall nicht angewandt würden und verwies auf eine Gasturbine, die in Deutschland überholt und abholbereit zur Verfügung stand. Bundeskanzler Scholz ließ sich davor ablichten und versicherte, er habe sich vom ordnungsgemäßen Zustand persönlich überzeugt. Warum die Turbine weder von Deutschland noch vom eigentlich verantwortlichen Konzern Siemens Energy direkt nach Russland geliefert wurde, ist bis heute unklar. Anscheinend wollte keine Seite das Risiko tragen, gegen die Sanktionen zu verstoßen, da mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen gewesen wäre. Mit der Lieferung von Flüssiggas zu deutlich höheren Preisen konnte Russland einen Teil seiner Verluste durch verringerte Gaslieferungen durch Nord Stream 1 ausgleichen. Auch in diesem Zusammenhang wirkt das Agieren der EU amateurhaft.
Die ganze Affäre um die Gasturbine machte das Chaos der Sanktionen klar. Das Sanktionsregime des Westens ist in vielen Bereichen unscharf und kann willkürlich ausgelegt werden. Ein Problem, das auch andere Bereiche wie beispielsweise den Export von Düngemitteln betrifft. Diese sind zwar von den Sanktionen ausgenommen, allerdings schrecken Banken und Versicherer aus Furcht vor möglichen Strafen vor der Finanzierung und Absicherung der Geschäfte mit russischen Düngemitteln zurück. Die Rechtslage sei zu undurchsichtig, heißt es.
Die Steigerung der Nachfrage nach Flüssiggas durch die Länder der EU hat nicht nur die Preise massiv in die Höhe getrieben, sondern auch die Inflation angeheizt. Die EZB reagierte darauf mit mehrfachen Anhebungen des Leitzinses auf inzwischen zwei Prozent. Damit vertieft und verlängert die EZB die Rezession in der EU und in Deutschland, denn durch die Erhöhung des Leitzinses steigt das Angebot an Erdgas nicht, aber es würgt die Konjunktur ab, da es Investitionen verteuert. Die Energiepreise lassen sich mit einer Zinserhöhung aber nicht beeinflussen. Sie sind einer durch das Sanktionsregime künstlichen Verknappung geschuldet und ließen sich daher lediglich durch eine Revision des Sanktionsregimes unter Kontrolle bringen. Auch wenn jetzt die Preise massiv gesunken sind, ist damit das zugrunde liegende Problem eines knappen Angebots von LNG auf dem Weltmarkt nicht beseitigt.
Ob der Plan der EU, die Gas-Einkäufe künftig über die Kommission abzuwickeln, Abhilfe schafft, wird sich zeigen. Die EU kann maximal etwas optimieren, indem sie die Käufe besser koordiniert und zeitlich streckt. Ob das über eine zentrale Steuerung aus Brüssel tatsächlich gelingen kann, ist fraglich. Auch der zentrale Einkauf von Impfstoffen durch die Kommission ist eher schlecht als recht gelungen und wird von mutmaßlichen Korruptionsskandalen der Kommissionspräsidentin überschattet. Dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Beschaffung von LNG ihren Hang zur Intransparenz plötzlich aufgeben sollte, ist unwahrscheinlich. Zudem ist auch ein zentralisierter Einkauf von Gas nicht in der Lage, Einfluss auf das Angebot zu nehmen. Hält die EU an ihrem Vorhaben fest, künftig auf den Bezug von russischen Energieträgern zu verzichten, bleibt die EU-weite Versorgungssituation auf mehrere Jahre kritisch.
Was allerdings zu erwarten ist, ist, dass die Kommission die zentrale Verteilung von Gas als neues Machtinstrument nutzen wird. Schon die Gelder aus dem Corona-Recovery-Fonds, der durch von der Kommission gegebene Anleihen finanziert wird, für die die EU-Länder gemeinsam haften, nutzt die Kommission, um politischen Druck auszuüben. Von der Leyen nutzt ihre Macht, um Länder auf die Linie der Kommission zu zwingen.
Ganz generell ist festzuhalten, will man die Energiekrise in der EU nachhaltig bekämpfen, ist es unabdingbar, das Sanktionsregime zu überdenken und einer Revision zu unterziehen. Dazu finden sich in der EU aber aktuell keine Mehrheiten. Ohne eine Kooperation im Energiebereich mit Russland wird die EU im internationalen Wettbewerb weiter zurückfallen und an Bedeutung verlieren. Das angerichtete Chaos wird darüber hinaus der Welt aber noch eine Weile erhalten bleiben.
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