Von Dr. Anton Friesen
Diese in der Tat sehr wichtigen und komplexen Fragen wurden in der öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages "Systemische Konkurrenz von liberalen Demokratien und autoritär geführten Staaten" am 17. Oktober mit zahlreichen Experten erörtert.
Mit dabei waren Vertreter der transatlantisch orientierten, von EU-Regierungen geförderten Denkfabriken wie ECFR oder des Global Public Policy Institut und des britischen International Institute for Strategic Studies, aber auch der von der AfD benannte Sachverständige Dr. Weiland, Ingar Solty von der LINKEN-nahen Rosa Luxemburg-Stiftung und Prof. Dr. Hanna Pfeifer von der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Wie erwartet äußerten sich Repräsentanten der Erstgenannten wenig differenziert: der neue Kalte Krieg, euphemistisch mit dem von den Angelsachsen übernommenen Begriff "globale Systemkonkurrenz" verbrämt, erfordere eine Entkoppelung von China, das eine wachsende Gefahr für die "regelbasierte multilaterale Weltordnung" darstelle. Im Übrigen würde China sich selbst vom Westen "entkoppeln" und einen aggressiven Nationalismus vertreten.
Dagegen betonten Dr. Weiland, Prof. Pfeifer und Herr Solty, dass die Wirklichkeit doch ein wenig differenzierter sei. Oder, um es mit den Worten des US-amerikanischen Theologen und Publizisten Reinhold Niebuhr zu sagen: "In der Weltpolitik geht es nicht um einen Kampf zwischen Gerechten und Sündern, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen Sündern."
Die sogenannte regelbasierte Weltordnung wurde moniert, ist so regelbasiert nicht.
Es gilt eben nicht gleiches Recht für alle – beim Internationalen Strafgerichtshof sind die Welt- und Großmächte Russland, China und die USA ebenso wenig dabei wie die Türkei oder Israel. Stattdessen werden vornehmlich afrikanische Politiker und Militärs verurteilt, was dem großen Tribunal in Den Haag schon mal den Vorwurf des Antiafrikanismus einbrachte. Hier sei nur an die Tätigkeit der Sondertribunale für das Ex-Jugoslawien erinnert, die vornehmlich Serben verurteilten – und die bosniakischen Halsabschneider weitgehend frei herumlaufen ließen.
Die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der westlichen Werteverbündeten im Kosovo, Irak und der Missbrauch des Völkerrechts und des Sicherheitsrats in Libyen, die Interventionen in den syrischen Bürgerkrieg und in die Ukraine … die Liste der vor allem angelsächsischen Militärinterventionen ließe sich seitenlang fortsetzen (was natürlich den russischen Angriffskrieg in der Ukraine nicht besser macht – ein Rechtsbruch heilt nicht den anderen).
Die Adepten der "globalen Systemkonkurrenz" oder gar des "Systemantagonismus" vergessen auf eine nicht unwesentliche Tatsache einzugehen, die Prof. Pfeifer beim Namen nannte: die Welt ist nicht Schwarz und Weiß – es gibt auch Grautöne. Auf der Welt existieren viele "hybride Regime" zwischen Demokratie und Diktatur. Im Übrigen sind Demokratien gar nicht so friedlich, wie sie sich geben. Gegen Gleichgesinnte zeigen sie, wie flauschig sie sind, und gegen "autoritäre Systeme" werden die Krallen ausgefahren.
Demokratien mögen untereinander keine Kriege führen – gegen Autokratien machen sie es sehr wohl, und zwar in vielen Fällen unprovoziert. Solcherlei "demokratische Kriege" wachsen oft zu regelrechten totalitär anmutenden "Kreuzzügen" für das "Gute" (nämlich das eine "westlich-liberal demokratisch Wahre") aus.
Last but not least sollten diejenigen, die immer nach Internationalen Klimaabkommen zur Verhinderung einer vermeintlichen globalen "Klimakatastrophe" schreien, nicht vergessen, dass solche globalen Fragen nur zusammen mit Russland und China gelöst werden können, die eben keine westlich-liberalen Demokratien sind und auch auf Jahrzehnte hinaus keine werden. Und was ist mit dem islamistischen Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und unkontrollierten Migrationsströmen? Wäre es nicht besser, zusammenzuarbeiten (trotz aller Wertdifferenzen), im Interesse des Friedens und der globalen Stabilität?
Ob Demokratien oder Autokratien – alle Systeme leben nicht nur von Ideen, sondern müssen liefern. Während China sicherlich kein Vorbild ist und auch Russland kein irdisches Paradies darstellt, sollten westliche Staaten zunächst einmal vor der Haustür kehren: die inneren Probleme haben sich einem Berge gleich aufgehäuft und verlangen nach einer schnellen und effektiven Lösung. Energiekrise, Zerstörung des Sozialstaats, wachsende Polarisierung und eine dekadente Gesellschaft erfordern ein lösungsorientiertes politisches Handeln, dem Vertreter des grün-linken Mainstreams kaum gewachsen sind. Ob Diskussionen über den "großen Systemkampf" über das innere Versagen unserer Eliten hinwegtäuschen sollen? Die Regierten und "schon länger hier Lebenden" werden es schon merken …
Dr. Anton Friesen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag und ehemaliger Bundestagsabgeordneter (Auswärtiger Ausschuss sowie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe). Der Autor vertritt im Artikel ausschließlich seine eigene Meinung.
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