Von Timofei Bordatschow
Eine ausgewogenere Weltordnung ist im Interesse Russlands, und das einzige Land mit dem Gewicht, sie voranzutreiben, ist China. Dies wird in Moskau voll und ganz verstanden.
Chinas aktuelle Position in den außenpolitischen Interessen Russlands wird von zwei Faktoren bestimmt. Erstens kann Peking aufgrund seiner geopolitischen Lage, der relativen Knappheit bei den Ressourcen und seiner Außenhandelsstruktur nicht als potenzielle Herausforderung für Moskau angesehen werden – auch nicht auf lange Sicht.
Zweitens ist China Russlands objektiver Verbündeter beim Versuch, das neokoloniale System aufzulösen, das von den westlichen Staaten – angeführt von den USA – nach dem Kalten Krieg aufgebaut wurde, was ihre privilegierte Position in der Weltpolitik sichert. Damit ist eine De-facto-Allianz zwischen Moskau und Peking nun die vertretbarste Strategie. Dabei geht es nicht nur ums Überleben, sondern auch um die Notwendigkeit, Bereiche anzusprechen, in denen Russland seine Position in der internationalen Arena entwickeln und stärken muss.
Die Annäherung zwischen China und Russland hat verschiedene Gründe. Die politische Führung in Peking unterstützt Moskau durchaus aufrichtig – das belegen Beispiele der Zusammenarbeit im neuen Umfeld. Wir sollten aber nicht erwarten, dass sich große chinesische Unternehmen US-Sanktionen aussetzen, um Russland zu unterstützen. Gleichzeitig haben wir jedoch keinen Grund zu befürchten, dass sich Pekings grundsätzliche Herangehensweise an die Bewertung des Vorgehens Moskaus in der Ukraine, sei es aufgrund der Geschehnisse auf dem Schlachtfeld oder aufgrund von amerikanischem Druck oder Bestechung, ändern wird.
In den letzten 50 Jahren ist China unabhängiger von guten Beziehungen zum Westen geworden: Der Prozess der Öffnung der Märkte für seine Waren und der Ankurbelung von Investitionen und Technologie ist abgeschlossen. Die weitere Entwicklung des Landes und die Festigung der Macht der Kommunistischen Partei erfordert daher nun eine schrittweise Trennung der seit Mitte der 1970er Jahre geknüpften Verbindungen und den unabhängigen Auftritt Chinas auf der globalen Bühne als Quelle und Verteiler von Wohlstand. Seine Beziehungen zu den USA sind jetzt antagonistischer Natur, während es keinen offensichtlichen Grund für eine Konfrontation mit Russland gibt.
Geopolitisch ist China das verlässlichste "Rückgrat" der Politik zur Wiederherstellung des Einflusses von Russland in Teilen Osteuropas, im Nahen Osten, im Südkaukasus und in Zentralasien. Außerdem ist Peking für die kleinen und mittelgroßen Staaten Eurasiens inzwischen die einzige alternative Quelle für Entwicklungsgelder geworden, die nicht vom Westen stammen. Dies setzt jedoch die Aufrechterhaltung einer bestimmten politischen Ordnung voraus, die natürlich von den USA und Ländern in ihrem Orbit gestört werden könnte.
Es gibt Grund zu der Annahme, dass die chinesisch-russische Annäherung einer der Faktoren war, die Washington dazu ermutigte, Moskaus Interessen in Europa zunehmend ins Wanken zu bringen, was schließlich zur Ukraine-Krise führte. Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, dass die allmähliche Stärkung der Beziehungen zwischen Peking, Moskau und Berlin ein echter geopolitischer Albtraum für Washington und London gewesen wäre. Diese einst mögliche Aussicht erscheint jedoch aufgrund der Position Deutschlands und der Europäischen Union gegenüber den USA sehr unwahrscheinlich.
Für China selbst bedeutet die Kombination seiner Küsten- und Kontinentalposition auch die Notwendigkeit, seinen Rücken angesichts der ständigen Bedrohung seiner Seeverkehrsstraßen zu stärken. Russland sollte sich keine Sorgen über die Wahrscheinlichkeit machen, dass China einen großen Teil der Finanz-, Transport- und Logistiksysteme der Welt übernehmen kann.
In den kommenden Jahren ist kaum mit wesentlichen Veränderungen in der Struktur der Außenhandelsbeziehungen Russlands zu rechnen. Dies bedeutet, dass China beim Zugang zu den Märkten anderer Länder nicht zu einem Konkurrenten wird. Es ist auch klar, dass die Ausübung eines entscheidenden Einflusses auf internationale Institutionen ein Instrument ist, mit dem Mächte ein günstigeres Umfeld für sich selbst in der globalen Wirtschaft und im politischen System gestalten. China dürfte keine Ausnahme sein, obwohl es einige Anzeichen dafür gibt, dass seine Führung nicht so autoritär sein wird wie die der USA. Auch Washington und seine Verbündeten werden – trotz ihrer innenpolitischen Probleme – ihre Position wahrscheinlich nicht vollständig verlieren.
Mit anderen Worten: Eine verstärkte chinesische Präsenz in internationalen Angelegenheiten schafft aus Sicht Russlands zwar die grundlegenden Voraussetzungen, um das Monopol des Westens zu brechen, droht aber nicht ein neues unipolares Zentrum der Weltwirtschaft und der globalen Politik zu werden. Daher dient der chinesische Faktor jetzt als Hauptargument für die Bildung einer ausgewogeneren internationalen Ordnung, die voll und ganz im Interesse Russlands liegt.
Übersetzt aus dem Englischen
Timofei Bordatschow ist Programmdirektor beim Valdai Club. Als Forscher spezialisiert er sich auf internationale Beziehungen, aktuelle Fragen der Weltpolitik sowie auf die russisch-europäischen Beziehungen.
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