Von Gert Ewen Ungar
Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ist einer der einflussreichsten deutschen Think-Tanks. Sie ist streng transatlantisch ausgerichtet und beeinflusst die deutsche Außenpolitik maßgeblich. Insbesondere unter der grünen Außenministerin Annalena Baerbock konnte der steuerfinanzierte Think-Tank seinen Einfluss auf die deutsche Außenpolitik nochmals deutlich ausweiten. Baerbock, ohne eigene außenpolitische Ideen und Akzentsetzungen, setzt die von der DGAP entwickelten Empfehlungen faktisch eins zu eins um. Das verstärkt den Eindruck, dass die deutsche Außenpolitik eigentlich in Washington gemacht wird, noch einmal.
Dass ein Think-Tank die Politik beeinflusst, wäre im Grunde nicht weiter schlimm, wenn seine Forschung und Ausrichtung unabhängig und neutral wäre. Das behauptet die DGAP zwar von sich; wer sich aber einen Überblick über die von der DGAP veröffentlichten Arbeiten verschafft, merkt schnell deren strikt transatlantische Ausrichtung. Dass die Arbeit der Gesellschaft keineswegs neutral ist, zeigte zuletzt ein Beitrag von Stefan Meister zu Russland. Der Beitrag erschien zunächst in der Neuen Zürcher Zeitung underfüllt alle Kriterien der Desinformation. Ihn als Grundlage für eine außenpolitische Positionierung heranzuziehen, muss zwangsläufig in die Irre führen.
Der Politologe Stefan Meister prognostiziert in dem Artikel das Ende Russlands als Ordnungsmacht und einen Einflussverlust des Landes. Das hat er schon oft getan, eingetreten sind seine Vorhersagen bislang nicht. Im Gegenteil, Russland spielt bei der zunehmenden Integration des eurasischen Raums eine wichtige Rolle. Moskau ist im Gegensatz zur EU oder gar zu Berlin Drehscheibe der Diplomatie. Moskau profitiert dabei unter anderem davon, dass es eben nicht imperial und autoritär agiert, wie meist unterstellt, sondern auf Augenhöhe und diplomatisch. Gemeinsam gefundene Lösungen zu Konflikten ermöglichen in der Regel allen Beteiligten die Gesichtswahrung. Die EU und Deutschland praktizieren das Gegenteil. Sie treten wenig diplomatisch, herablassend und in belehrendem Ton auf.
Die geringe prognostische Kraft der Ausführungen Meisters hat ihre Ursache in einer methodischen Schwäche. Insbesondere in Bezug auf die Entwicklungen der letzten Dekaden auf dem europäischen Kontinent verweigert sich Meister einem systemischen und historischen Zugang. Nach seiner Vorstellung agiert Russland losgelöst von äußeren Einflüssen in einem politischen Vakuum. Diese Annahme ist natürlich unsinnig, ermöglicht es Meister aber, so zu tun, als habe die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent, vor allem die Zuspitzung des Konflikts in der Ukraine, mit den USA, der NATO, der EU und Deutschland nichts zu tun. Dieser ahistorische Blick führt dann zu fehlerhaften Schlussfolgerungen. Dass dem Politologen dies nur aus Versehen passiert ist, scheint unwahrscheinlich; zu gut dient sein Vorgehen der propagandistischen Zuspitzung seiner Kernaussage.
Besonders deutlich wird das an den Ausführungen zur Entstehung der Maidan-Proteste. Er schreibt:
"Es wird hier jedoch evident, wie wenig er (Putin, Anm. d. Red.) die Ukraine grundsätzlich versteht. Es waren eben nicht die USA oder die EU, die den Euromaidan 2013/14 initiierten, sondern es war die ukrainische Gesellschaft, die sich von ihrem sowjetischen Erbe und dem russischen Kolonialismus emanzipieren und in einem freien Land leben wollte. Putins Angst vor einer Demokratisierung des wichtigsten postsowjetischen Nachbarlands war eine wichtige Motivation, um ab 2014 Krieg gegen die Ukraine zu führen."
Dass der Maidan einzig auf den Wunsch der ukrainischen Gesellschaft zur Europäisierung zurückgeht, ist nachweislich falsch. Zahllose Belege sprechen für die vielfältige Einflussnahme des Westens. Diese zu leugnen, wirkt angesichts der überwältigenden Zahl an Belegen unverfroren, die von finanzieller Unterstützung bis hin zur Präsenz ausländischer Diplomaten auf dem Maidan reichen. Es entspricht schlicht nicht den Tatsachen. Wie aber offenkundige Einseitigkeit und propagandistische Zuspitzung schließlich in gute Politikberatung münden soll, bleibt das Geheimnis der DGAP.
Die Ukraine ist eine hart umkämpfte geopolitische Zone, die der Westen zum Zweck der Machterweiterung und der Eindämmung Russlands schon seit über einem Jahrhundert an sich binden will. Dabei geht es nicht um Demokratie, nicht um Menschenrechte, sondern vor allem um die Ukraine selbst. Das EU-Assoziierungsabkommen und seine Geschichte ist für den Versuch der Anbindung ebenso beispielhaft wie die offen ausgesprochene Einladung der NATO an die Ukraine auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest. So zu tun, als hätte es dies alles nicht gegeben und als handele es sich beim Maidan um eine völlig unschuldige Graswurzelbewegung, die sich aus sich selbst speist, ist unterkomplex, entspricht nicht den Fakten und ist daher wissenschaftlich und journalistisch unlauter.
Russland und vor allem Putin agieren nicht aus einem imperialistischem Drang nach der Ausweitung seiner Einflusszone heraus. Diese geopolitischen Motive treten vielmehr bei der EU und der NATO zutage, die eine ganz klassisch imperialistische Erweiterungsstrategie verfolgen. Russland vertritt und verteidigt dagegen seine Sicherheitsinteressen. Diese sieht Russland durch die Expansion von EU und NATO bedroht. Die Reaktion der NATO, der EU und Deutschlands auf die Bitte Russlands um Sicherheitsgarantien war nicht adäquat. Bei dem Konflikt in der Ukraine handelt es sich um einen klassischen Stellvertreterkrieg, den der Westen spätestens seit 2014 aktiv herbeieskaliert hat. In der Ukraine kämpfen nicht die Ukrainer für Demokratie und Unabhängigkeit von Russland, sondern es kämpft dort die NATO gegen Russland um geopolitischen Einfluss. Meister hingegen mutet seinen Lesern mit seiner Geschichte von den nach Freiheit lechzenden Ukrainern Kitsch fernab jeder politischen Realität zu.
Weiter wird in dem Beitrag die schwindende Gestaltungsmacht der EU unterschlagen. Die Sanktionen brechen derzeit der EU, allen voran Deutschland, das ökonomische Rückgrat. Die EU verliert damit ebenso wie Deutschland immer weiter an geopolitischer Bedeutung. Die Sanktionen und schließlich der Anschlag auf Nord Stream markieren den vorläufigen Endpunkt in einem sich schon über eine Dekade hinziehenden ökonomischen Niedergang der EU sowie dem damit verbundenen Einflussverlust. Auch dass die EU im Rahmen des Ukraine-Konflikts ihre Währung politisiert hat, um sie als Druckmittel einzusetzen, hat dem Euro massiv geschadet. Auch diese Entwicklungen klammert Meister aus.
Klar analysiert verfügt die EU überhaupt nicht über die Mittel und die ökonomische Stärke, um der Ukraine das zu bieten, was sie sich von einer Annäherung erhofft: Wachsenden Wohlstand und die Integration in eine funktionierende, stabile Staatengemeinschaft. Die EU strauchelt.
Es ist eine Umkehrung der Verhältnisse, wenn Meister schreibt:
"Verliert es (Russland, Anm. GEU) seinen Einfluss über den eurasischen Kontinent, kann es in der multipolaren Welt kein eigenständiger Pol mehr werden. Stattdessen wird es durch seine technologische Rückständigkeit immer mehr zu einem Anhängsel Europas oder Chinas."
Die sich abzeichnende Entwicklung deutet hingegen in eine ganz andere Richtung. Die EU, strategisch geschwächt, wird Anhängsel des eurasischen Kontinents, auf dem Russland ein Machtzentrum bildet. Aktuell integriert sich der eurasische Kontinent immer weiter, allerdings weitgehend unter Ausschluss der EU. Russland hat dagegen an dieser Integration maßgeblichen Anteil und ist ihr treibender Faktor.
Der Ukraine-Konflikt wird die EU lehren, dass die Beachtung russischer Sicherheitsinteressen für ihr eigenes Wohl unabdingbar ist. Sollten die EU und Deutschland dies weiterhin ignorieren, wird es Russland sein, das Deutschland und der EU die Regeln diktiert. Russland strebt zwar nicht nach imperialer Macht, gewinnt auf dem eurasischen Kontinent jedoch beständig an Einfluss. So zeigt der Ukraine-Konflikt vor allem eins: Wie wenig Gestaltungsmacht die EU auf dem europäischen Kontinent inzwischen hat. Die DGAP sollte so fair sein, diese Fakten gegenüber den Entscheidungsträgern in der deutschen Politik klar zu benennen.
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