Teil I finden Sie hier.
Von Alexander Männer
Trotz großer Erwartungen konnte die antirussische Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Kanadas, der Mitglieder der Europäischen Union sowie anderer Länder nicht bewirken, dass Russland vollständig in Isolation gerät und infolge der Konfrontation mit dem kollektiven Westen einen wirtschaftlichen Niedergang erleidet.
Wie im ersten Teil des Artikels dargelegt, hat Russland diesbezüglich unter anderem seinen Handelspartnern China und Indien zu verdanken, dass es ein weitreichendes Embargo des Westens auf russisches Erdöl verhindern konnte und dass es weiterhin seine lebenswichtigen Einnahmen aus dem Rohstoffexport generiert.
Neben den beiden asiatischen Wirtschaftsgroßmächten zeigen in dieser Frage unter anderem auch das Königreich Saudi-Arabien und die Türkei ein hohes Maß an Pragmatismus. Damit machen sie deutlich, dass globale Schlüsselakteure geopolitisch mehrheitlich unabhängig handeln und dass sie nicht bereit sind, die antirussische Politik des Westens mitzutragen.
Saudi-Arabien lehnt Erdölkrieg ab
Vor allem Saudi-Arabien distanziert sich immer mehr von den USA und hält weiterhin an der Zusammenarbeit mit Russland fest. Das gilt hauptsächlich für den Rohstoffbereich, in dem die Amerikaner bereits vor Monaten einen regelrechten "Erdölkrieg" gegen Moskau entfacht hatten und der nicht zuletzt wegen der Politik Riads scheitert.
Um Russlands Einnahmen aus Erdölverkauf erheblich zu reduzieren, versuchten Washington und seine Partner nach dem Beginn der russischen Militärintervention in der Ukraine nicht nur, ein weltweites Embargo auf russisches Öl durchzusetzen, sondern auch den Barrelpreis signifikant zu senken. Dass der Preis für Europas wichtigste Rohölsorte Brent in diesem Jahr mit durchschnittlich mehr als 100 US-Dollar je Fass extrem hoch bleibt und damit sehr schlechte Voraussetzungen für die antirussische Sanktionspolitik schafft, ist in hohem Maße der von Riad und Moskau im Rahmen der OPEC+ durchgesetzten Erdölförderpolitik geschuldet. Der Umfang der weltweiten Produktion hat nämlich enormen Einfluss auf den Erdölpreis, da das Fördervolumen das Angebot und die Nachfrage in der Welt bestimmt und damit wichtige Rahmenbedingungen für die Ölpreisentwicklung schafft.
Um die Preise irgendwie doch zu senken und den Sanktionen mehr Wirkung zu verleihen, verlangten die USA von Saudi-Arabien und anderen Ölproduzenten, die Förderung zu steigern, während sie selbst zu drastischen Mitteln griffen und große Mengen Rohöl aus der Reserve freigaben. Die Führung in Riad, die stets betont hatte, dass die internationale Politik und die Situation um die Ukraine nicht mit den Vereinbarungen in dem Erdölsektor verknüpft werden sollten, ging auf die Forderung Washingtons nicht ein und hielt damals mit den anderen OPEC-Staaten und Russland an der vereinbarten Erdölproduktion fest.
In dieser Frage kommt es aus Sicht des Westens mittlerweile aber noch viel schlimmer. Am 5. Oktober, also am selben Tag, an dem sich die EU-Länder auf die sogenannte Preisgrenze für russisches Öl geeinigt haben, kündigten Saudi-Arabien, Russland und die anderen Ölproduzenten an, die tägliche Fördermenge um zwei Millionen Barrel zu reduzieren. Diese Entscheidung düpiert Europa, da eine drastische Kürzung der Förderung den Preis hochtreiben und Moskau weiterhin seine Einnahmen aus dem Ölexport ermöglichen wird. Zumal die Wirkung der "Preisgrenze" in diesem Zusammenhang höchst ungewiss ist.
Die westlichen Länder müssen nun dringend Maßnahmen ergreifen, um den Ölmarkt, der bald aus den Fugen geraten könnte, zu stabilisieren. Diesbezüglich könnte die vollständige Aufhebung der Sanktionen im Ölsektor helfen, aber das käme für Brüssel einer Niederlage gleich.
Zudem ist der OPEC-Beschluss ganz klar ein Affront gegen Washington, da die Haltung der Saudis in diesem Zusammenhang anders als eine unverblümte Unterstützung für die Russen im Kampf gegen die westlichen Sanktionen kaum aufzufassen ist. Vor allem, nachdem US-Präsident Joe Biden in Riad persönlich vorstellig wurde und den Kronprinzen und faktischen Herrscher über Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman, vergeblich darum bat, die saudische Ölförderung deutlich zu steigern.
Diese konsequente Haltung lässt sich damit begründen, dass das Königreich im Hinblick auf den Konflikt zwischen dem Westen und Russland sich in einer starken Position befindet – als der größte Ölexporteur der Welt profitiert es von den hohen Preisen und kann zudem zwischen den besagten Akteuren lavieren. Insofern ist das Vorgehen der Saudis nicht unbedingt nur als Unterstützung für Russland zu werten, auch wenn die Politik Riads den Russen im Verlauf dieses Jahres sehr entgegenkam.
Zum Beispiel ignoriert Saudi-Arabien das Embargo auf Erdöl aus Russland auch aus dem Grund, weil der Erwerb dieses Öls aktuell enorme wirtschaftliche Vorteile bietet. Das russische Öl ist dank des Preisnachlasses zurzeit billiger als das saudische Öl, weshalb die Saudis die Russland-Importe zunehmend für den Inlandsverbrauch verwenden. Damit sparen sie nicht nur, sondern können gleichzeitig mehr von der eigenen Sorte exportieren und somit höhere Gewinne erzielen.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters soll Riad seine Ölimporte aus Russland zwischen April und Juni dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt und im Sommer etwa 48.000 Barrel pro Tag gekauft haben. Darüber hinaus habe eine saudi-arabische Holding zwischen Februar und März heimlich mehr als 500 Millionen US-Dollar in die russischen Mineralölunternehmen Gazprom, Rosneft und Lukoil investiert.
Türkei weitet Russlandgeschäft aus
Zu guter Letzt wäre da noch die Türkei, die mit Russland bislang bei diversen Herausforderungen in Syrien oder der Umsetzung des "Getreidekorridors" im Schwarzen Meer kooperiert hat und von Moskau als Partner ungeachtet aller Differenzen hoch geschätzt wird. Die türkische Führung ihrerseits versucht angesichts des Krieges in der Ukraine und des Konfliktes zwischen Russland und dem Westen, einen "ausgewogenen" Ansatz zu verfolgen. Ankara beteiligt sich nicht am Sanktionsregime und weitet stattdessen seine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau aus – trotz Protests aus den USA und der EU.
Insbesondere gilt das für den Energiesektor, wo die Türkei weiterhin sehr aktiv mit Russland kooperiert und die für Moskau strategischen Projekte aufrechterhält. Das erste ist die Arbeit rund um die Gasleitung TurkStream, die erhebliche Mengen Gas aus Russland über die Türkei in die Länder Süd- und Südosteuropas transportiert und die nach dem "Ausschalten" der Nord-Stream-Pipelines Ende September für den russischen Gasexport lebenswichtig ist. Das zweite Großprojekt ist der Bau des Atomkraftwerks Akkuyu an der türkischen Mittelmeerküste durch den russischen Staatskonzern Rosatom. Dieses Megageschäft soll den Russen weitere Milliarden Dollar einbringen und auch den bilateralen Handel ankurbeln.
Der Handel zwischen den beiden Ländern hat seit Beginn des Ukraine-Krieges insgesamt stark zugenommen. Nach Angaben des Magazins Der Spiegel sind die Exporte aus der Türkei nach Russland im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 80 Prozent gestiegen. Dabei profitieren viele russische Branchen auch von dem sogenannten Parallel-Import, der dazu dient, Waren, die auf der Sanktionsliste stehen, über Drittstaaten einzuführen und damit Sanktionen zu umgehen. Dabei werden Produkte aus dem Westen in die Türkei geliefert, dort umgeladen und weiter nach Russland transportiert.
Inwiefern aber die türkischen Lieferungen den Technologiebann des Westens gegen Russland untergraben, ist fraglich. Die EU geht davon aus, dass der Umfang der Exporte so gering ist, dass er die Wirkung der Sanktionen bislang kaum beeinträchtigt. Der Spiegel verweist auf Experten, die in diesem Zusammenhang zwar eine deutliche Ausweitung des Handels zwischen den EU-Staaten und der Türkei unter anderem bei technologisch anspruchsvollen Produkten wie elektronischen Anlagen verzeichnet haben. Allerdings normalisierte sich der Wert der in die Türkei gelieferten Elektro-Exporte nach einer Zeit wieder, heißt es.
Auch das russisch-türkische Luftfrachtgeschäft boomt mehr als je zuvor, nachdem die USA und die EU die Flugverbindungen von und nach Russland unterbrochen hatten. Die Türkei ist für die Russen jetzt eine Art Brücke nach Europa und Amerika: Die russischen Fluggesellschaften führen mehrmals täglich Flüge in die Türkei aus, von wo aus ein Weiterflug mit anderen Airlines in die USA oder die EU-Staaten möglich ist. Und auch aus der Türkei gibt es mehr Flugverbindungen denn je nach Russland.
Bis vor Kurzem gab es auch mehr positive Entwicklungen bei der Partnerschaft im Finanzbereich, indem Ankara lange Zeit dafür gesorgt hat, dass russische Unternehmen, Geschäftsleute oder Touristen trotz Sanktionen auf ihre russischen Konten und damit auf ihre Finanzmittel in dem Land zurückgreifen konnten. Denn bis das US-Finanzministerium Mitte September mit entsprechenden Strafen gedroht hat und die Türken letztendlich eingeknickt sind, kooperierten mehrere große türkische Banken mit der russischen Aktiengesellschaft NSPK, die zugleich das am meist verwendete russische Zahlungskartensystem Mir betreibt.
Der Financial Times zufolge werten die Amerikaner die Zusammenarbeit von ausländischen Finanzorganisationen mit der NSPK sowie die Arbeit mit den russischen Mir-Bankkarten als Versuch, die Sanktionen zu torpedieren, da die Russen solche Systeme wie Visa oder Mastercard derzeit nicht verwenden können. Das US-Finanzministerium erklärte dazu, dass türkische Banken, die das Mir-Zahlungssystem nutzen, "Gefahr laufen, Russlands Bemühungen zu unterstützen, die US-Sanktionen zu umgehen".
Bemerkenswert dabei ist, dass die US-Regierung bislang weder gegen die NSPK noch gegen das russische Zahlungssystem Sanktionen eingeführt hat und ihren Druck stattdessen direkt auf die Türkei richtet und sie mit sekundären Sanktionen gegen das Bankensystem bedroht. Die russische Führung hat diese Strategie immer wieder auf das Schärfste kritisiert, und sie betonte auch in diesem Fall, dass die Entscheidung gegen Mir nicht aus freien Stücken getroffen worden sei.
Ankara und Moskau haben sich davon aber anscheinend nicht entmutigen lassen und führen bereits Gespräche über die Nutzung des türkischen Bezahlsystems Koronapay durch russische Banken. Das bei russischen Touristen beliebte Koronapay ermöglicht unter anderem Auslandsüberweisungen und wird – ähnlich wie Western Union – in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion genutzt.
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