Von Wladislaw Sankin
Als der russische Präsident Wladimir Putin die angekündigten Referenden in den russisch kontrollierten Gebieten der Ukraine und Donbass-Republiken als Akt des bürgerlichen Entscheids gegen das neonazistische Regime Kiews in einer Ansprache begrüßte, läuteten im Westen die Alarmglocken. In Berlin schaltete sich Markus Lanz nach New York und besprach die Neuigkeiten aus Moskau mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Das Gespräch dauerte mehr als 20 Minuten.
Ihre recht abenteuerliche Version der Ereignisse erwies sich in der schon gut bekannten Baerbock-Manier als wahre Zitatengrube für peinliche Patzer. Der Ukraine-Krieg werde anders geführt als im 19. Jahrhundert, erklärte die Ministerin, denn damals kämpfte man "nur mit Panzern". Die Behauptung über die Panzer Napoleons und Bismarcks lassen wir mal unkommentiert so stehen. Schließlich ist fehlende Allgemeinbildung in Geschichtsfragen für die Ministerin eine Nebensächlichkeit, wenn es darum geht, Wladimir Putin zu bekämpfen und auf die Referenden in den historischen Gebieten Neurusslands angemessen zu reagieren.
Wozu Geschichte, wenn wir sofort belehrt werden, dass Referenden, also Volksbefragungen, eine Drohung seien? Außerdem seien dies gar keine Befragungen, sondern Ausdruck des bestialischen Terrors. Baerbock wörtlich:
"Wenn wir das jetzt akzeptieren würden, dass man mit vorgehaltenen Waffe am Kopf der Menschen, so ist es ja bei den Referenden – sie (die abstimmende Bürger) werden erschossen, sie werden vergewaltigt, und dann sollen sie innerhalb von 3 Tagen Kreuze machen, während neben einem ein Soldat mit Kalaschnikow steht!"
Natürlich meinte sie, dass es so nur bei russischen Referenden abläuft. Sie finden grundsätzlich mit Maschinengewehr an der Schläfe statt. Denn Russen seien ihr zufolge das Böse in seiner reinsten Form, schließlich hätten ihre Panzer in der "Ostukraine" nur schlimme Gräueltaten hervorgebracht, nichts anderes. Und ja, dieser wilde Vorwurf völlig ohne Beleg sei keine Propaganda, denn laut Baerbock sei "hybrider Krieg" mit Fake News und Propaganda ebenso eine alleinige russische Erfindung.
Denn wie wir alle wissen – und das sollte zum Wissensstand eines jeden Bürgers gehören –, ist die Gemeinheit der Russen so unermesslich, dass sie auch das von ihnen kontrollierte Atomkraftwerk "massiv beschießen". Ja, auch nach dem IAEA-Besuch im AKW Saporoschje ist Baerbock sich sicher, dass Russen die Anlage mit einem verheerenden Katastrophen-Potenzial ausgerechnet deshalb besetzt haben, um sich ins ukrainisch kontrollierte Territorium unbemerkt einzuschleichen und von dort mit NATO-Munition zu schießen. Was ist das Motiv? Auch da weiß die Kennerin der dunklen russischen Seele genau Bescheid – um die Welt mit Nukleargefahr zu erpressen.
Es war interessant zu beobachten, wie Moderator Markus Lanz und die versammelten Experten auf diese Art von Informationen direkt aus dem UN-Hauptquartier reagierten. Ihre Gesichter zeigten, dass sie sich durchaus etwas dabei gedacht hatten. Denn es ist keine auch nur so wichtige Einzelmeinung, sondern eine aufs letzte Detail abgestimmte Position, die die Grundlage für das politische Handeln im Weltmaßstab bildet.
Der Gesprächsverlauf mit Baerbock und die anschließende Diskussion zeigten jedoch, dass es keinen Meinungsunterschied gab. So geht Markus Lanz grundsätzlich davon aus, dass die Geschichte, die der russische Außenminister Sergei Lawrow Baerbock erzählen wird, eine glatte Lüge sein wird. Seine journalistische Distanz beseitigt er mit einem kleinen Nebensatz. Als er über das geplante, aber von der deutschen Seite schließlich abgesagte Treffen Baerbocks mit Lawrow spricht, sagt er:
"Er wird Ihnen eine ganz andere Geschichte erzählen – er wird sie anlügen mit anderen Worten."
Das ist kein so unbedeutender Nebensatz. Markus Lanz sprach hier stellvertretend für den deutschen sogenannten Qualitätsjournalismus. Dieser hat nun mal offiziell für sich und die deutschen Regierungsvertreter die einzig mögliche Wahrheit beansprucht. Das ist nichts anderes als Glaubensgrundsatz.
Dass der Glaube von einem Mythos und Pathos lebt und starke, fantastische Bilder braucht, um ihn aufrechtzuerhalten, hat der Politberater Gerald Knaus in der anschließenden Diskussion gezeigt.
"Den Winter aushalten, das wird Herausforderung in der EU, aber kein Vergleich, was die Ukrainer derzeit erleben. Wer jetzt in Cherson festsitzt, nahe der Front, von einer feindlichen Besatzungsmacht mit kaum humanitärer Hilfe, der hat in diesem Winter Angst, eine humanitäre Katastrophe zu befürchten. Da könnten Hunderttausende Menschen diesem Winter zu Opfer fallen."
Dass die Russen für die Menschen im Cherson oder Gebiet Saposroschje eine feindliche Besatzungsmacht seien und sie dem Hunger- und Kältetod ausliefern, mussten mindestens 1,5 Millionen Zuschauer einfach nur glauben. Das ist logisch. Wenn der offizielle Vorwurf des Westens ist, Russland führe einen Vernichtungskrieg, dann müsste auch heißen, Russen behandelten die "okkupierte" Gebiete wie die deutschen Besatzer dies auf dem Gebiet der Sowjetunion genauso getan haben: Sie führen Massenexekutionen durch, stehlen, treiben Menschen in KZs oder lassen sie wie im eingekesselten Leningrad aushungern.
Aber wenn die Realität das Gegenteil dessen ist, was in Deutschland tagtäglich propagiert wird? Wenn die erste Handlung der russischen "Besatzer" in den befreiten Gebieten ausgerechnet die Austeilung humanitärer Hilfe und die Auszahlung von Renten war, was dann? Wenn es ausgerechnet die Ukraine war, die versucht hat, die Inanspruchnahme dieser Hilfe mit allen Mitteln zu verhindern? Was, wenn die Meldung, dass alle Gebiete, die aller Wahrscheinlichkeit nach Russland in wenigen Tagen beitreten, im Winter ausreichend mit russischem Gas versorgt werden und niemand frierend wird, doch der Wahrheit entspricht?
Und wenn der andauernde Beschuss der zivilen Infrastruktur und von Massenversammlungsorten vonseiten der Ukraine ausgerechnet das ist, was die Menschen in allen ehemaligen Gebieten des ukrainischen Südostens dazu veranlasst, in diesem Konflikt Russland an der gerechten Seite zu sehen und für es auch bei einem Referendum zu stimmen? Wenn die Alten den Russen sagen – wir haben auf euch all die Jahre der ukrainischen Unabhängigkeit gewartet und die Jungen, Russland sei kein Okkupant, sondern unser neues Zuhause und das Land der Möglichkeiten, was dann? Wenn die Versammelten bei einem Bürgerkongress in Melitopol einstimmig die Hände für die Abhaltung des Referendums heben und ahnend, was Annalena Baerbock am nächsten Tag in New York dazu sagt, scherzen – zeigt uns hier Soldaten mit Kalaschnikows, die uns dazu angeblich zwingen. Wenn es dann aber doch auf den Straßen welche gibt, dann nur dazu, um die Bewohner dieser Orte vor Terror und Sabotage der ukrainischen Geheimdienste zu schützen. Was dann?!
Nichts. Das darf nicht sein, weil es einfach nicht sein darf, wie Markus Lanz und Annalena Baerbock nun ein für alle Male geklärt haben: Die Russen sind Bösewichte, die die Welt noch nicht gesehen hat, ihre Information kann niemals stimmen, weil sie nur lügen. Angesichts der Tatsache, dass der Westen im Krieg gegen Russland wie von der Leyen es formulierte, unbedingt siegen will ("Russland hat Europa angegriffen, Ukrainer kämpfen für uns"), ist Blindheit, mit der diese Formel befolgt wird, eine schlechte Nachricht.
Denn mit dieser Art von Propaganda schaden russophobe Politiker wie Baerbock, von der Leyen und ihre Mediengehilfen nicht den Russen, sondern sich selbst, der eigenen Politik und Gesellschaft. Ja, all das, was über Russen behauptet wird, führt dazu, dass deren Image äußerst schlecht ist. Es wird aber versucht, gegründet auf diese geglaubte Vorstellung auch die Handlungen des Gegners zu berechnen. Das machen Militärs, das machen die Politiker und sonstige Akteure. Die Russen handeln aber nicht so, wie man ihnen unterstellt hat. Das führt nun mal zwangsläufig zu Fehleinschätzungen und birgt damit die Gefahr der eigenen Niederlage. Eine lang ersehnte Befreiung wird nicht zwangsläufig zur einer brutalen Okkupation, nur weil Damen und Herren in der Talk-Show "Markus Lanz" es wollen. Die Welt funktioniert nicht so, wie Frau Baerbock es sich ausgedacht hat. Zum Glück nicht.
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