Von Dagmar Henn
Wenn das Wall Street Journal zu plaudern anfängt, rutschen ihm manchmal Dinge heraus. Der neueste Fall ist ein Artikel, in dem über Hotlines berichtet wird, die angeblich ukrainischen Mechanikern dabei helfen, die NATO-Waffen in Schuss zu halten. Ganze 14 verschlüsselte Chats würden auf einem geheimen Stützpunkt in Polen in der Nähe der ukrainischen Grenze von US-Soldaten bedient, um die ukrainischen Mechaniker zu unterstützen.
Es ist nicht der Satz, die Waffen würden in der Ukraine "weit über die vorgesehene Belastung hinaus" eingesetzt. Militärisches Gerät, das zur Führung von Kolonialkriegen gegen deutlich schwächere Gegner konstruiert wurde, taugt nun einmal nur begrenzt, wenn auch der Gegner über Artillerie verfügt. Wir erinnern uns an die Beschwerden, mit den deutschen Panzerhaubitzen könne man nur 100 Schuss am Tag verschießen, und an die Klagen aus den USA, die Javelins würden viel schneller verbraucht, als sie produziert werden könnten.
Und auch dieser Satz ist eher dazu da, das Publikum in die Irre zu führen – Reparaturlogistik ist immer Teil einer militärischen Planung. "Nach sieben Monaten des Krieges haben die USA und die verbündeten westlichen Nationen, die der Ukraine Waffen und andere Unterstützung liefern, entdeckt, dass es nicht genug ist, Kiew Waffen zu geben. Sie müssen auch Ersatzteile liefern und Zugang zu Experten, die den Ukrainern dabei helfen können, Ausrüstung zu reparieren oder Teile in der Nähe der Frontlinien zu produzieren."
Nein, dieser Satz dient nur der Ablenkung. "Als der Krieg begann, erhielten ukrainische Reparatur- und Wartungsspezialisten eine beschleunigte Ausbildung durch die westlichen Verbündeten und geben jetzt dieses Wissen an ihre Kollegen weiter, fügte Resnikow [der ukrainische Verteidigungsminister] hinzu."
Jetzt kommt der interessante Punkt: Diese Chats sollen inoffiziell begonnen haben, als die ersten neun ausgebildeten Mechaniker in die Ukraine zurückkamen und sich mit Fragen an ihre Ausbilder wandten. Im Juni sollen diese Chats dann zu einer offiziellen Einrichtung geworden sein.
Nur um den Zeitrahmen zu klären – der deutsche Beschluss, HIMARS-Raketenwerfer in die Ukraine zu liefern, erfolgte am 1. Juni. Die US-Ankündigung, dies zu tun, erfolgte einen Tag davor, am 31. Mai. Hätte die Ausbildung entsprechender Mechaniker erst in dem Moment begonnen, zu dem die Lieferungen beschlossen wurden, wären sie heute noch nicht zurück. Ein Mechaniker muss das Gerät bis zur letzten Schraube kennen. Mit absoluter Sicherheit dann, wenn er, wie es Artikel ebenfalls behauptet wird, imstande sein soll, zu improvisieren.
Es gab schon einen solchen Punkt – dabei ging es um die Software für ebendiese HIMARS. Es wurde behauptet, nach der Lieferung seien die unterschiedlichen Systeme der HIMARS aus verschiedenen Lieferländern in zwei Wochen vereinheitlicht worden, durch die tollen ukrainischen ITler. Eine Angabe, die starke Zweifel weckt.
Tatsächlich müssen sowohl die Anpassung der Software als auch die Ausbildung der entsprechenden Mechaniker begonnen haben, ehe die eigentlich zuständigen Parlamente überhaupt die Beschlüsse getroffen haben, diese Waffen zu senden. Militärische Bürokratie ist langsam. Sollte die US-Armee im Juni diese Chats etabliert haben, müssen sie zuvor mindestens zwei weitere Monate in Betrieb gewesen sein. Dann reden wir über ukrainische Mechaniker, die im April zurückgekehrt sind. Wie lange dauert es, einen solchen Mechaniker für ein komplizierteres Waffensystem auszubilden? Mit Sicherheit länger, als es braucht, um die Bedienung eines solchen Waffensystems zu erlernen. Drei Monate? Dann wären wir Ende Januar als Ausbildungsbeginn. Da hatte der russische Militäreinsatz noch nicht einmal begonnen. Sechs Monate?
Übrigens sollen sämtliche westlichen Waffen ohne die zugehörigen Handbücher geliefert worden sein, "teilweise um Herstellerinformationen zu schützen". Noch ein Punkt, der die Ausbildung deutlich verlängern würde.
Also entweder die Lieferung westlicher Waffen folgt einem Programm, das festgelegt wurde, ehe die ersten Kämpfe stattfanden, und es wurden bereits Ausbildungen an Waffen begonnen, deren Lieferung erst Monate später von den Parlamenten beschlossen wurde (was politisch ein ungeheurer Skandal wäre, würden westliche Demokratien noch funktionieren), oder die ganze Geschichte mit den Chats und den ukrainischen Mechanikern ist erlogen, was ebenfalls ein Skandal wäre, weil sie dann dazu diente, zu verschleiern, dass direkt westliches Personal eingesetzt wird.
Die Geschichte mit dem tollen ukrainischen IT-Team wird übrigens ganz nebenbei widerlegt. "Bei einer Feueraufgabe vor Kurzem zeigte der Computer des fortschrittlichen Waffensystems eine Fehlermeldung, die die Ukrainer nicht lösen konnten. Der Armeeleutnant sorgte für einen Videochat mit einem US-Instrukteur, der dann Google-Translate nutzte, um Anweisungen auf Ukrainisch zurückzuschicken."
Hätte es diese tolle ukrainischen Programmierer tatsächlich gegeben, hätten sie gefragt werden können. Es gab sie wohl eher wirklich nicht.
Das bedeutet allerdings, dass all die Debatten, auch die im Bundestag, über die Lieferung schwerer Waffen reines Theater waren, weil diese Lieferungen – von wem auch immer – längst geplant waren und die Parlamente nur dazu dienten, die Ausführung einer Eskalationsplanung abzunicken, deren Vorbereitungen viel weiter zurückreichen. Was wir sehen, ist keine von Russland betriebene Eskalation. Es ist eine Eskalation des Westens, die vor dem 24. Februar begonnen hat. Gut, dass das Wall Street Journal so geschwätzig ist.
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