Von Gert Ewen Ungar
Die Presse in Deutschland beweist heute erneut ihre Gleichschaltung. Die deutsche Presselandschaft steht geschlossen wie ein Mann an der Heimatfront, denn die Meldungen zur Teilmobilmachung in Russland sind nahezu gleichlautend und alle in gleicher Weise wertend. Das Wording sowie das Framing sind identisch, der Spin ebenso.
Selbst der Aufbau der Meldungen ist identisch. Es wird Bezug nicht nur auf die Teilmobilmachung genommen, sondern auch auf die angekündigten Referenden in den Donbasser Volksrepubliken, in Cherson und Saporoschje, die medienübergreifend als "Scheinreferenden" bezeichnet werden.
Schon als die Referenden offiziell angekündigt wurden, konnte man die Schlagzeilen-Genese in den deutschen Medien live mitverfolgen. Der Termin war gerade bekannt gegeben worden, da führten die deutschen Gazetten alle zeitgleich den Begriff des "Scheinreferendums" ein. Allen Redakteuren der Republik fiel im gleichen Moment und völlig unabhängig voneinander die gleiche, kreative Wortschöpfung ein, welche die geplanten Referenden für die Leserschaft als Fake einordnet. Das ist schon sehr erstaunlich. Die etwas wahrscheinlichere Erklärung für dieses Wunder der Inspiration ist allerdings eher, dass dies erneut ein Beleg für die Gleichschaltung deutscher Medien ist.
Auch heute fällt allen Redaktionen der Republik der gleiche Text ein, mit dem sie ihre Leser über die Teilmobilmachung in Russland nicht nur informieren, sondern diese für sie auch gleich einordnen. Dazu sind viele Anführungszeichen notwendig, denn mit ihnen signalisiert der deutsche Qualitätsjournalist, dass die russische Sicht auf die Dinge völlig falsch ist. Es handelt sich um "Referenden" und nicht um Referenden, um die Verteidigung "russischer Gebiete" und nicht um die Verteidigung russischer Gebiete, um die "Befreiung" der Donbasser "Volksrepubliken" und nicht um die Befreiung der Donbasser Volksrepubliken. Man kann auch mit Satzzeichen Propaganda machen.
Egal ob Tagesspiegel, T-Online, N-TV oder FAZ – die deutsche Presselandschaft ist sich in ihrer Einschätzung einig. Das bedeutet nicht, dass sie richtig ist.
Die Teilmobilmachung stellt zweifellos eine Eskalation im Konflikt dar, wie auch die massiven Waffenlieferungen des Westens in Verbindung mit völliger Dialogverweigerung eine Eskalation darstellten. Der Einmarsch Russlands wiederum war eine Eskalation, die auf die Verweigerung des Westens folgte, auf Russlands Forderung nach Sicherheitsgarantien einzugehen. Es gibt, was die Ukraine-Krise angeht, eine Eskalationsspirale, die mindestens bis ins Jahr 2008 zurückreicht, als die NATO der Ukraine die Einladung zur Aufnahme machte.
Deutsche Medien haben diesen Prozess der Eskalation immer einseitig und parteiisch begleitet. Ihrer Aufgabe, umfassend und ausgewogen zu berichten, wurden sie nicht gerecht. Sie haben damit der Eskalation Vorschub geleistet, denn der einseitige Schwarz-Weiß-Journalismus suggerierte dem deutschen Publikum, dass die Verhältnisse ganz einfach sind: hier der freie Westen, dort das autoritäre Russland, das seinen Einflussbereich ausdehnen möchte. So einfach und eingängig die Geschichte ist, die der deutsche Journalismus erzählt, so falsch ist sie.
Wenn jetzt die deutschen Medien von "Scheinreferenden" sprechen, dann mögen sie sich bitte an das Jahr 2014 zurückerinnern. Auch damals gab es ein Referendum in der Ostukraine. Eine überwältigende Mehrheit sprach sich für – jetzt kommt's – mehr Autonomie von Kiew aus. Man wollte damals weder völlige Unabhängigkeit noch die Integration in die Russische Föderation.
Acht Jahre später ist man mehrere Schritte weiter. Jetzt geht es nicht mehr um mehr Autonomie von Kiew, sondern um die Abtrennung von der Ukraine und den Anschluss an Russland. Irgendwas muss in diesen vergangenen acht Jahren ganz grundlegend schief gelaufen sein. Und irgendwie haben die großen deutschen Medien darüber nicht so berichtet, dass die Mediennutzer heute den Zusammenhang zwischen dem Referendum damals und den Referenden heute verstehen.
Schon damals wurde gesagt, das Referendum würde von der EU und den USA nicht anerkannt. Es wurden im Gegenteil Sanktionen gegen Russland verhängt. Die Minsker Vereinbarungen, vor allem Minsk 2, sollten im Osten die territoriale Integrität der Ukraine erhalten, indem dem Donbass mehr Autonomie zugesprochen wurde. Die Ukraine hat dies nie umgesetzt, Deutschland als Garantiemacht hat die Ukraine aus ihrer Verpflichtung entlassen und damit einen Beitrag zur weiteren Eskalation geliefert. Den deutschen Medien war das keine Bemerkung wert.
Der Osten der Ukraine wird im Namen der Regierung in Kiew mit westlichen Waffen beschossen. Es gibt jeden Tag Tote. Für die Menschen, die im Donbass leben, ist die russische Armee eben nicht "Befreier", sondern Befreier – zumindest für die übergroße Mehrheit.
Da westliche Medien über den Beschuss des Donbass und der Donezker Republiken mit den Folgen für die Zivilbevölkerung nicht berichten, ist es für die deutschen Medien leicht, die Referenden jetzt zu diskreditieren. Nach acht Jahren gleichgeschalteter Dauerpropaganda in den deutschen Medien, kann sich vermutlich kaum ein deutscher Zeitungsleser vorstellen, dass ein Referendum in den besagten Regionen eine überwältigende Zustimmung zu einem Beitritt zur Russischen Föderation belegen könnte. Das sagt allerdings mehr über den Zustand der deutschen Medien als über die realen Zustände im Donbass.
Der heutige Pressespiegel zum Thema "Teilmobilmachung in Russland" zeigt die deutsche Presselandschaft in ihrer ganzen Tristesse. Er zeigt auch die Bereitschaft der großen deutschen Medien, weiter tatkräftig beim Drehen der Eskalationsschraube mitzuhelfen.
Es handelt sich weder um Scheinreferenden, noch ist die Sehnsucht nach Frieden und Unabhängigkeit von der Ukraine in den von Russland befreiten Gebieten unverständlich. Würden deutsche Medien ausgewogen berichten, kämen sie nicht umhin, von den Menschenrechtsverletzungen der ukrainischen Armee bei der Rückeroberung von befreiten Gebieten zu schreiben, ebenso von der Bombardierung mit westlichen Waffen. Selenskij stellt heute die Teilnahme am Referendum unter Strafe.
Statt den bisherigen Einsatz als gescheitert zu bewerten, hätten sie die Messages des Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow übermitteln können. Der spricht an die Ukraine gerichtet von eine Strategieänderung. In diesem Rahmen ist wohl auch die Teilmobilmachung zu sehen. Für eine abschließende Bewertung ist es auf jeden Fall viel zu früh.
Dieser Graben aber, der durch die Ukraine gezogen wurde, kann nicht wieder einfach so geschlossen werden. Die Wunden sind tief, das Misstrauen sowieso. Es bleibt nur die Abspaltung. Die Annäherung an die EU und den Westen ist für die Menschen im Osten der Ukraine unvorstellbar. Sie verbinden mit der EU Leid, Unrecht und Tod, denn die EU ist Kriegspartei auf Seiten des Kiewer Regimes. Die deutschen Medien versäumen es, ihre Leser über diese Sicht aufzuklären.
Wenn es den deutschen Medien tatsächlich um Demokratie und die westlichen Werte ginge, würden sie den Menschen im Osten der Ukraine das Selbstbestimmungsrecht nicht absprechen und Politik zum Dialog, zu Verhandlungen und zur Diplomatie ermahnen. Der Schritt der Anerkennung der Donbasser Republiken durch Russland ist im historischen Ablauf verständlich. Mit Schilderung der Abläufe der vergangenen acht Jahre wäre der Wunsch nach Abspaltung verständlich. Deutsche Medien tun nichts dafür, diesen Wunsch den deutschen Medienkonsumenten zu erklären. Sie tun dagegen alles dafür, die Eskalation weiter voranzutreiben. Mit dem heutigen Pressespiegel hat der deutsche Journalismus erneut gezeigt, wie dringend er Konkurrenz und eine breitere Meinungsvielfalt braucht. Dass es ausgerechnet der Journalismus selbst ist, der sich gegen Meinungsvielfalt und Pluralismus wehrt und Zensur begrüßt, zeigt, wie dysfunktional der deutsche Mainstream für das Funktionieren einer Demokratie inzwischen ist. Der Pressespiegel heute zeigt, dass in Deutschland Journalismus fehlt – es gibt nur Propaganda.
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