Sowohl die Linken als auch die Rechten verstehen die Genderdebatte falsch

Der Kulturkampf um das Thema Geschlecht und Gender hat die westlichen Gesellschaften stark polarisiert. Beide Seiten vertreten extreme Positionen und beide Extreme sind falsch. Zeit für eine kräftige Dosis Realität.

Ein Kommentar von Memoree Joelle

Seit Jahren spaltet die Genderdebatte westliche Gesellschaften, wobei diese Spaltung in den vergangenen Monaten über die Skala hinausgeschossen ist. Während es eine Verallgemeinerung wäre zu behaupten, dass die Kluft in der Frage der Geschlechter entlang der politischen Rechts-Links-Linie verläuft, ist es vernünftig, die liberalen Linken als hauptsächlich pro-Transgender und pro-Mehrgeschlechtlichkeit zu beschreiben, während die konservativen Rechten am liebsten nur die beiden seit jeher existierenden Geschlechter beibehalten würden, die die Menschheit schon immer gekannt hat: männlich und weiblich.

Gewöhnlich gibt es bei jedem Thema Extreme auf beiden Seiten. Und obwohl wahrscheinlich nur wenige Menschen die Behauptung, dass man sein Geschlecht nicht ändern kann oder dass es tatsächlich nur zwei davon gibt, es als "extrem" empfinden, laufen die Konservativen auf ihre ganz eigene Weise noch immer an dem Thema vorbei.

Allein der Unterschied zwischen den Begriffen "Geschlecht" und "Gender" hat für viel Verwirrung und Streit gesorgt, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre. Viele Konservative würden es vorziehen, den Begriff "Gender" vollständig abzuschaffen, weil sie meinen, dass dies die Notwendigkeit von Gesprächen über Geschlechter oder Transgenderismus überflüssig machen würde. Ohne das Wort "Gender" bliebe uns nur die krasse materielle Realität des Wortes "Geschlecht". Und in dieser Realität wären wir gezwungen, mit zwei unterschiedlichen biologischen Zuständen zu leben, die – ob zum Guten oder zum Schlechten – unveränderlich bleiben.

Niemand, egal als was sich ein Er oder eine Sie fühlt oder wie viele Medikamente oder Hormone mit im Spiel sind, kann sein Geschlecht vollständig ändern. Bestimmte Geschlechtsmerkmale können so verändert werden, dass sie denen des anderen Geschlechts ähneln oder sie nachahmen, aber ein vollständiger und nahtloser biologischer Übergang ist derzeit unmöglich.

Darüber hinaus ist eine Geschlechtsumwandlung – oder politisch korrekter ausgedrückt: eine Behandlung zur Geschlechtsangleichung – oft mit gesundheitlichen Komplikationen verbunden. Hier trifft das Sprichwort "Fakten sind Gefühle egal" voll ins Schwarze. Ein Neugeborenes wird als männlich oder weiblich geboren, in sehr seltenen Fällen intersexuell, was eine Kombination aus beidem ist. Sein oder ihr Geschlecht wird im Moment der Empfängnis bestimmt. Gehirn und Körper wachsen gleichzeitig, während sich der Fötus entwickelt.

Niemand kann daher "im falschen Körper geboren" sein, denn wir sind unsere Körper. Männliche und weibliche Körper sind sogar auf zellulärer Ebene voneinander unterscheidbar. Die liberalen Linken weigern sich, dies zu akzeptieren, obwohl sie bei anderen Themen eifrig fordern, "der Wissenschaft zu folgen". Viele haben den Standpunkt eingenommen, dass Medikamente und chirurgische Eingriffe das Geschlecht eines Menschen verändern können.

Wenn es auf jede Aktion eine Reaktion gibt, war leicht vorauszusehen, dass angesichts radikaler Konzepte wie Transgenderismus, Mehrgeschlechtlichkeit und desgleichen das gesellschaftliche Pendel irgendwann in die entgegengesetzte Richtung schwingen wird. Deshalb finden wir auf der entgegengesetzten Seite der liberalen Linken die extreme Rechte. Diese Gruppe, wie auch immer man sie nennen möchte, neigt im Allgemeinen dazu, eine strikte Einhaltung traditioneller Geschlechterrollen zu fordern und alles andere als irgendwie unmoralisch zu brandmarken. Als lesbische Frau, die sich nicht an stereotype Gendernormen hält, habe ich das im konservativen Süden der USA erlebt.

Es gibt noch immer Konservative, die maskulin aussehende Frauen als "missraten" betrachten und feminine Männer nicht tolerieren. Man werfe nur einen Blick in die Kommentarbereiche von konservativen Nachrichtenportalen, wenn dort eine Geschichte über eine Lesbe erschienen ist, die zufällig kurze Haare trägt. Man wird eine Menge kindischer Bemerkungen finden wie etwa "Wer ist der Kerl?".

Diese Kommentare, obwohl sie meist harmlos sind, offenbaren eine zunehmende Gegenreaktion zur woken Genderideologie. Das war zu erwarten, aber das gesellschaftliche Pendel zu weit zurückschwingen zu lassen, wird der Gesellschaft nicht guttun. Ein Vorantreiben der Vorstellungen der Konservativen, wie eine Frau auszusehen oder sich zu verhalten hat, wird die Gesellschaft nicht weiterbringen. Dies wäre eine oberflächliche, unproduktive Haltung und in diesen Fragen müssen wir souveräner sein. Wir müssen Unterschiede akzeptieren und wir müssen Ausnahmen gelten lassen, so wie in der Natur Ausnahmen auch vorkommen.

Daher schlage ich in aller Bescheidenheit eine kräftige Dosis Realität vor, von der ich hoffe, dass beide Seiten sie akzeptieren können. Während das Geschlecht nicht geändert werden kann, kann der Geschlechtsausdruck – nicht das Geschlecht selbst, sondern wie es ausgedrückt wird! – variieren. Dies führt dazu, dass eine Minderheit von Männern eher weibliche Züge und eine Minderheit von Frauen eher männliche Züge aufweisen. Daran ist wirklich nichts Überraschendes oder Einzigartiges. Es gab schon immer Jungs, die lieber tanzten und sich verkleideten, als Fußball zu spielen. Und wer von uns kannte in der Schule nicht mindestens einen Wildfang?

Im Erwachsenenalter werden diese atypischen Geschlechtsausdrücke oft mit Homosexualität in Verbindung gebracht und ich denke nicht, dass dies eine falsche Annahme ist. Viele kennen Dragqueens und Butch-Lesben. Bezeichnungen, welche die lesbische Community einst bereitwillig angenommen hat, bevor diese Lesben anfingen zu glauben, sie könnten echte Männer werden. Lange Zeit hatten wir das kollektive Verständnis, dass sie einfach so existieren, wie sie sind. Sie mögen in Aussehen oder Kleidungswahl nicht typisch für ihr Geschlecht sein, aber bis vor kurzem haben wir nie an ihrer Biologie gezweifelt.

Können wir also bitte in diese vernünftige, auf Realität basierende Welt zurückkehren und die Menschen so aussehen, kleiden und handeln lassen, wie es ihnen gefällt? Ich bin sicher, dass wir alle irgendwann Seite an Seite leben können, ohne uns gegenseitig unsere extremen Ideologien oder unsere persönliche Ästhetik aufzudrängen. Zumindest könnten wir es versuchen. Aber lassen wir dabei die Kinder aus dem Spiel. Diese stehen nicht zur Debatte.

Aus dem Englischen.

Memoree Joelle ist Schriftstellerin und Verfechterin des konstitutionellen Konservatismus. Sie lebt Los Angeles.

Mehr zum Thema - Da gehen, wehen und kämpfen sie – die woken Ideologien