Von Gert Ewen Ungar
Ende August antwortet die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, Sören Pellmann. Aus der Antwort, die der dpa vorliegt, geht hervor, dass die Bundesregierung aufgrund der Sanktionen einen Einbruch der russischen Wirtschaft um bis zu 15 Prozent erwartet.
Die Antwort des Ministeriums lautet unter anderem:
"Die Sanktionen treffen die russische Wirtschaft empfindlich und werden weitere Wirkung entfalten. Seriöse Berechnungen prognostizieren eine Rezession in Russland, das heißt eine Reduktion des russischen Bruttoinlandsprodukts in einer Spanne von 6 bis 15 Prozent für das Jahr 2022."
Und in der dpa-Meldung heißt es dann weiter:
"Der Rat der EU geht von einem Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts um 'mehr als elf Prozent' aus."
Der Ostbeauftragte der Linksfraktion Pellmann hält die Antwort der Bundesregierung für "abwegig". Er fordert eine ehrliche Bestandsaufnahme. Pellmanns Zweifel an den Ausführungen des Wirtschaftsministeriums sind dabei durchaus berechtigt. Denn in seiner Antwort verweist das Ministerium auf Zahlen, die der Rat der EU bereitstellt, unter Verweis auf eine Quelle der Weltbank. Deren Zahlen wiederum stammen vom April. Sie sind also veraltet. Die Berechnung ist zwar tatsächlich "seriös", aber die Daten sind nicht aktuell. Dadurch wird die Antwort der Bundesregierung insgesamt unseriös. Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung verhalten sich nicht wie Wein. Sie werden mit der Zeit der Lagerung nicht besser. Das sollte man im Wirtschaftsministerium eigentlich verstanden haben.
Dass die Zahlen veraltet sind, hätte ohne Zweifel auch dem Wirtschaftsministerium auffallen können. Die Inflationsrate für Russland wird in der Info-Grafik des Rats der EU für das laufende Jahr mit 22 Prozent angegeben. Das mag für den März und April eine aktuelle Prognose gewesen sein. Ende August ist sie allerdings hoffnungslos daneben. Es ist peinlich, dass das Wirtschaftsministerium nicht in der Lage ist, Zahlen auf ihre Aktualität zu prüfen. Geschweige denn, sie mit der Realität abzugleichen.
Tatsächlich gab auch das russische Wirtschaftsministerium Modellierungen in Auftrag, die zeigen sollten, was mit der russischen Wirtschaft passiert wäre, wenn man keine Gegenmaßnahmen ergriffen hätte. Das russische Wirtschaftsministerium kommt dabei zu ähnlichen Ergebnissen wie die Weltbank: Ein scharfer Wirtschaftseinbruch von -11,9 Prozent des BIP hätte sich im ungünstigsten Szenario ergeben – das voraussetzt, dass sich die Staaten der Welt in ihrer überwiegenden Mehrheit den Russland-Sanktionen anschließen. Das aber ist nicht passiert. Im Gegenteil, immer mehr Staaten scheren aus dem Sanktionsregime aus – selbst in der EU.
Russland hat zudem früh kluge und weitsichtige Maßnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen der westlichen Sanktionen ergriffen. Eine davon war die Abwicklung von Gaskäufen mit nicht befreundeten Staaten in Rubel, was zu einer sofortigen Stabilisierung der russischen Währung und einem Rückgang der Inflation geführt hat.
Das Habeck-Ministerium handelt fahrlässig und verantwortungslos, indem es diese Tatsachen einfach ignoriert und seine Prognosen über die Wirksamkeit der Maßnahmen auf veraltete Zahlen stützt. Und all das nur, um damit ein Sanktionsregime aufrechtzuerhalten, das sich inzwischen vor allem gegen die Bürger Deutschlands richtet.
Aktuelle Zahlen gehen von ganz anderen Entwicklungen aus. Bei dem Östlichen Wirtschaftsforum bezifferte Russlands Präsident Putin den wirtschaftlichen Einbruch in diesem Jahr auf etwa zwei Prozent – "vielleicht ein bisschen darüber". Der russische Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow erwartet in einer aktuellen Schätzung vom 6. September einen Rückgang von 2,9 Prozent für dieses und von 0,9 Prozent für das kommende Jahr. Diese Zahlen unterscheiden sich grundlegend von denen, die Habecks Ministerium vorgelegt hat. Sie würden zwar die Wirksamkeit der Sanktionen nicht grundlegend infrage stellen. Aber die mit diesen Sanktionen verbundenen Erwartungen und Ziele lassen sich so nicht erreichen. Der wirtschaftliche Einbruch in Russland während der COVID-19-Pandemie war im Vergleich deutlich tiefer.
Nun mag man in grünen Kreisen aufgrund einer intensiv kultivierten Russophobie diesen Informationen grundlegend misstrauen. Sie stammen schließlich aus dem Epizentrum russischer Desinformation – dem Kreml selbst. Zumal man in kaum einem anderen Ministerium den antirussischen Rassismus so zu pflegen scheint wie im Wirtschafts- und Außenministerium. Da ist jeder Widerspruch und jede Kritik Hinweis auf russische Einflussnahme, russische Trolle, und wurzelt in russischer Desinformation. Kurz: Alles, was über offizielle Kanäle aus Russland kommt, gilt Habeck, Baerbock und Co. als unwahr und gelogen.
Nun verbreitet allerdings ausgerechnet das deutsche Wirtschaftsministerium mit seinen Zahlen zur Entwicklung in Russland nachweislich Desinformation. Selbst wenn man den russischen Angaben keinen Glauben schenken möchte, sollte sich doch nach über sechs Monaten Sanktionen, verpackt in sieben Sanktionspakete, langsam erste überprüfbare Ergebnisse einstellen.
Der Krieg in der Ukraine geht jedoch mit unverminderter Kraft weiter. Die Zustimmungsraten zu Putin sind nicht nur unverändert hoch, sondern sogar noch gestiegen. Von breiten Protesten gegen den Krieg ist in Russland weit und breit nichts zu sehen. Im Gegenteil: Der Rückhalt für die militärischen Maßnahmen ist in der russischen Gesellschaft nach wie vor hoch. Er nimmt mit jedem Beschuss von ziviler Infrastruktur in Donezk durch ukrainische Truppen zu. Die Zustimmung erhöht sich mit jedem Zivilisten, der vom ukrainischen Militär mit westlichen Waffen getötet wird. Jedes Massaker durch ukrainische Truppen an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine sorgt für wachsenden Rückhalt in der russischen Bevölkerung im Hinblick auf die militärische Unterstützung der Volksrepubliken. Die Zeugnisse von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind in den russischen Medien zahlreich. Den deutschen Medienkonsumenten werden diese Meldungen allerdings vorenthalten. Schließlich könnten sie die Zuschauer verunsichern. Die Unterstützung für deutsche Waffenlieferungen und Kredite zur Finanzierung der ukrainischen Kriegshandlungen würden sofort bröckeln.
In Russland gibt es keine Proteste gegen die Regierung. In Deutschland und anderen Ländern der EU dagegen schon. Deutschland steht vor einer Rezession zu einem Zeitpunkt, da das Land die letzte Rezession bedingt durch die Corona-Maßnahmen kaum hinter sich gelassen hat.
Auf sinkenden Wohlstand hat Wirtschaftsminister Habeck die Deutschen bereits eingestimmt. Hohe Inflation, eine bevorstehende Rezession, ausgelöst von Maßnahmen, die in der Lage sind, die deutsche Wirtschaft dauerhaft und irreparabel zu schädigen. Das ist, was Deutschland in den nächsten Monaten bevorsteht. Das ist, was die Sanktionen mit Deutschland machen. Und nein, das ist nicht Putins Werk. Es ist das Werk der Bundsregierung. Sie hat die Sanktionen verhängt, die jetzt die deutsche Wirtschaft schädigen, die jetzt zu Wohlstandsverlust führen. Sie trägt Sanktionen mit, die sich gegen ihre eigenen Interessen richten. Beispielsweise die, dass Technologie, die zum Betreiben von Gas-Pipelines benötigt wird, unter die Beschränkungen fällt. Es ist zwar richtig, dass der Kauf von Gas von den Sanktionen ausgenommen wurde. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die zum Betreiben der Infrastruktur notwendige Technik fällt sehr wohl unter die Beschränkungen. Die Bundesregierung hält an Sanktionen fest, die ihr ursprüngliches Ziel nicht erreichen und nur Deutschland schädigen. Das ist Irrsinn.
Die Situation in Russland ist dagegen grundlegend anders. Die Sanktionen sind kaum zu spüren. Einschränkungen beim Reisen sind die wohl signifikantesten Auswirkungen im Alltag. Die Inflation ist zwar noch zweistellig, sinkt aber kontinuierlich, während sie im Euroraum und in Deutschland steigt. Die Regale russischer Shopping-Malls sind voll, die Einkaufszentren gut besucht. Diskussionen über breite Wohlstandsverluste, Einschränkungen bei der Körperhygiene und ein Absenken der Raumtemperatur werden in Russland nicht geführt. Die Tatsache, dass drei Viertel der Staaten der Welt die westlichen Sanktionen nicht mittragen, ermöglicht Russland auch den Import von sanktionierten Gütern. Transnationale Kooperationen im Bankensektor lassen zudem das Abschneiden Russlands vom SWIFT-System weitgehend verpuffen. Dagegen haben die Sanktionen den Euro schwer beschädigt.
Die Sanktionen wirken – allerdings vor allem in der EU, und dort vor allem in Deutschland. Dass das Wirtschaftsminsiterium sich dieser Erkenntnis verweigert, Habeck auf Beibehaltung der Sanktionen besteht, ist angesichts der faktischen Entwicklung fahrlässig. Das Ziel war, Wohlstandsverluste in der russischen Bevölkerung auszulösen, die idealerweise zu Massenprotesten führen sollten, worüber dann die Regierung weggeputscht werden sollte. Das Szenario aber, zu dessen Umsetzung die Sanktionen in Russland nicht in der Lage waren, wird nun für Deutschland immer wahrscheinlicher. Der gesellschaftliche Frieden in Deutschland ist durch Regierungshandeln massiv bedroht.
Es wäre auch für ein grün geführtes Wirtschaftsministerium von Vorteil Fakten zur Kenntnis zu nehmen und sich daran zu orientieren, statt in bloßem Wunschdenken einen eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, der in den Untergang führt. Fakt aber ist: Die Sanktionen sind gescheitert.
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