Von Mirko Lehmann
Was wurde nicht während der letzten Tage auf den olivgrünen Vizekanzler eingedroschen. Dabei wäre Mitleid mit ihm angebracht, kann der gestresste Minister doch nicht einmal in Ruhe frühstücken, so sehr fordert ihn das Amt.
Alle Kommentare, die an Habecks Qualifikation für das Schlüsselressort zweifeln, sind unangebracht. Da wird gehöhnt, er sei nur Philologe oder ein Philosoph (was streng genommen nicht mal stimmt) oder eben Schriftsteller – wenn auch bloß ein Kinderbuchautor. (Nur kein Hochmut gegenüber guter Kinderliteratur und ihren Verfassern, ist man da geneigt einzuwerfen …)
Da ist die Rede davon, Habeck absolviere zurzeit ein "Trainee"-Programm in dem von ihm geführten Hause (Friedrich Merz) und probiere mal hier, mal dort ein wenig herum, ruiniere dabei das Land (Alice Weidel) – wie kann man denn nur darauf kommen? Fachkräftemangel herrsche gar in der Politik. Alles eine einzige üble Nachrede! Und von einem drohenden Super-GAU (Sahra Wagenknecht) für die Wirtschaft wird gemunkelt. Genauso Unsinn und unnötige Panikmache. Die Opposition von rechts bis links verkennt das Genie, das im Minister steckt.
Zwar hatte er in früheren Jahren schon die Pendlerpauschale nicht so recht erklären können und war zuletzt verbal nicht ganz bei Kasse, als er zu den drohenden Insolvenzen befragt wurde. Aber auch andere Spitzenpolitiker hatten schon Schwierigkeiten, brutto und netto auseinanderzuhalten. Kann ja mal passieren, wenn die Steuererklärung nicht mehr auf einen Bierdeckel passt.
Dabei prädestiniert Habeck gerade die Schriftstellerei für seine verantwortungsvolle Aufgabe, an der er täglich wächst, wie wir alle miterleben dürfen. Jene, die immerzu an dem Obergrünen herummäkeln, haben bloß noch nicht seine gesammelten Werke durchgearbeitet.
Denn von Habeck und seiner Ehefrau Andrea Paluch liegen seit 2020/21 zwei Bände mit Kindergeschichten vor, die genau in die heutige Zeit passen: "Kleine Helden, große Abenteuer". Es handelt sich dabei laut Untertitel um "Vorlesegeschichten für jeden Tag". Im Klappentext für Band zwei ("Neue Vorlesegeschichten", im Mai 2021 erschienen, noch bevor der Autor im Dezember desselben Jahres Vizekanzler wurde) heißt es, der "Fantasie" würden vom Autorenpaar – einem "Erfolgsgespann" – "keine Grenzen gesetzt". Jede der Geschichten habe – oh, wie neudeutsch – "einen besonderen Twist". Wie auch immer das zu verstehen ist. Jedenfalls heißt es dann weiter, in einer der Geschichten erfahre die kleine Emily
"aus erster Hand, wie aufregend ein nächtlicher Stromausfall sein kann".
Wenn das mal keine vollwertige Qualifikationsarbeit für das Wirtschaftsministerium ist! Zumindest ein rechtzeitig eingereichtes Bewerbungsschreiben für die neue Position. Denn mit den "außergewöhnlichen Geschichten" des "vierfarbig illustrierten Vorlesebuch(s)" würden "selbst alltägliche Situationen zu kleinen Abenteuern".
Wenn im kommenden Winter nicht nur die kleinen Emilys, sondern auch die erwachsenen Deutschen beim flackernden Schein eines Kienspans in Habecks zeitgeistig-postmodernen Kinderbüchern mit klammen Fingern blättern (wobei von den farbigen Illustrationen kaum noch was zu erkennen sein dürfte), werden sie sicher dankbar sein, rechtzeitig vom Minister auf so spaßig-korrekte Weise und moralisch gestärkt in der Kälte zu sitzen. Das wird man in Schwedt, Piesteritz und anderen Orten (also fast überall in Deutschland), die kein russisches Öl, Gas oder Kohle mehr importieren und nutzen dürfen, sicher schätzen. Als ob das kein besonderer Twist wäre!
Waren die ministeriellen Versprechungen von neuen Bezugsquellen auch nichts als heiße Luft, so haben sie doch zum Klimawandel beigetragen, allerdings einem politischen. Und sage niemand, Habeck hätte nicht die Spannung erhöht – zwar nicht im überlasteten Stromnetz, aber doch in der Gesellschaft. Hauptsache, es geht voran beim großen Neustart der CO₂-freien Ökonomie …
Wer weiß, vielleicht ergeht es dem Klimaminister im stürmischen Herbst wie dem fliegenden Robert aus dem "Struwwelpeter", einem ganz und gar nicht politisch korrekten Kinderbuch:
"Hui, wie pfeift der Sturm und keucht,
Daß der Baum sich niederbeugt!
Seht! den Schirm erfaßt der Wind,
Und der Robert fliegt geschwind
Durch die Luft so hoch, so weit;
Niemand hört ihn, wenn er schreit.
An die Wolken stößt er schon,
Und der Hut fliegt auch davon. […]
Wo der Wind sie hingetragen,
Ja! das weiß kein Mensch zu sagen."
Nun, wie heißt es doch: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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