Von Seyed Alireza Mousavi
Die Organisation Erdöl exportierender Staaten und ihre Verbündeten OPEC+ haben am Montag für Oktober zum ersten Mal seit einem Jahr eine Drosselung ihrer Fördermenge angekündigt. Konkret werden sie ihre weltweiten Fördermengen um 100.000 Barrel pro Tag drosseln. Angesichts der beschlossenen Angebotskürzung stiegen die Ölpreise am selben Tag. Als der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman vergangene Woche Förderkürzungen erstmals ins Spiel brachte, machte Riad deutlich klar, dass Saudi-Arabien nicht mehr Rohöl zwecks Senkung der weltweiten Ölpreise in den Markt pumpen will. Mit dem neuen Beschluss der rund 20 Staaten der OPEC+ schwindet nun die Hoffnung der Ölimporteure in Europa angesichts steigender Gaspreise zumindest beim Rohöl entlastet zu werden.
Das mächtigste OPEC-Mitglied Saudi-Arabien und das wichtigste Mitglied der erweiterten OPEC-plus-Allianz, Russland, befürworten eine Förderpolitik, die das Ölangebot aus verschiedenen Gründen knapp hält. Gleichzeitig profitieren die USA und Iran derzeit von den aktiven Verzögerungen bei der Wiederbelebung des Atomdeals.
Saudi-Arabien zielt darauf ab, US-Präsident Joe Biden unter Druck zu setzen, das Abkommen mit Iran nicht zu unterzeichnen. Zunächst würde ein neues Atomabkommen Iran ermöglichen, 50 Millionen Barrel Öl von geschätzten 60 bis 80 Millionen Barrel, die auf Tankern und an verschiedenen Standorten in Asien gelagert werden, auf den Markt zu bringen. Das wäre ein düsteres Szenario für saudische Ölgeschäfte, da die Wiederbelebung des Atomdeals mit Iran in erster Phase einen deutlichen Rückgang der Ölpreise verursachen dürfte.
Russland wird zugleich alles daran setzen, um eine Erhöhung der Ölfördermenge auf dem Markt zu verhindern, und das weiß auch das Weiße Haus. Die USA werden nur dann als Sieger aus der Ukraine-Krise hervorgehen können, wenn die explodierenden Öl- und Gaspreise eingedämmt werden können. Die hohen Preise auf den Rohstoffmärkten im Verlaufe des Ukraine-Krieges haben dazu geführt, dass Russland trotz geringerer Ausfuhrmengen höhere Gewinne als zuvor erzielen konnte. Währenddessen sorgen steigende Preise und die Angst vor einer Hyperinflation für wachsende Verunsicherung unter den Bevölkerungen in Europa.
Die Bemühungen um die Wiederbelebung des Atomabkommens mit Iran aus dem Jahr 2015 standen kürzlich erneut vor dem Scheitern, nachdem die USA den neuen Vorschlag Irans zur Beilegung des Atomstreits als "nicht konstruktiv" bezeichnet hatten. Die jüngsten Bemühungen zur Erzielung eines möglichen Atomkompromisses sind aber in der Tat Scheinversuche, sowohl vonseiten Irans und als auch der USA. Mit anderen Worten, nicht nur Iran, sondern auch die USA spielen im Atomstreit auf Zeit. Die Führung in Teheran ist sich dessen bewusst, dass Iran von der Wiederbelebung des Atomdeals zu diesem Zeitpunkt nicht profitieren kann. Wenn im Winter Gas und Öl wirklich knapp werden sollten, versetzt dies Iran in die Lage, dem Westen mehr Zugeständnisse abzupressen.
Zugleich befindet sich US-Präsident Joe Biden in einem Dilemma: Ihm ist Kritik im US-Kongress sicher, wenn es zu einem Durchbruch bei den Atomverhandlungen mit Iran kommt. Die mögliche Atomvereinbarung könnte sich negativ auf die Zwischenwahlen für den US-Kongress im November auswirken, denn ein neues Abkommen dürfte schlechtere Konditionen als das erste aus dem Jahr 2015 aufweisen. Insofern spielt auch Biden auf Zeit, wobei die USA auch nicht abhängig von Öl- und Gasimporten aus Asien sind – im Gegensatz zu wie Europa. Biden spricht mittlerweile nicht mehr von Fristen und Deadlines für den Atomdeal.
Während Iran, Saudi-Arabien, Russland und die USA im Verlauf der Entwicklungen von Ölpreis und Atomdeal ihre jeweiligen Interessen gegenseitig ausgleichen, tritt Europa als Vasall der USA auf und schafft es nicht, souverän seine eigenen Interessen auf geopolitischer Ebene zu vertreten. Die EU legte inmitten des Ukraine-Krieges einen endgültigen Text für eine Vereinbarung zur Rückkehr zum Atomabkommen von 2015 vor, um bei der Energiebeschaffung entlastet zu werden. Iran könnte dann in relativ kurzer Zeit ein bis zwei Millionen Barrel Rohöl pro Tag zusätzlich in den Markt pumpen, um die Energiekrise in Europa zu entschärfen. Die jüngste Drosselung der Fördermengen durch die Ölallianz OPEC+ und die Verzögerungen bei der Wiederbelebung des Atomdeals bringen Europa in Schwierigkeiten, während die USA, Russland, Saudi-Arabien und Iran in der aktuellen Lage alles daran setzen, strategisch vorzugehen.
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