Von Bernhard Loyen
Im September des Vorjahres erfuhr ich von einer Veranstaltung, die mein umgehendes Interesse weckte. Im Herzen Berlins, unweit der Charité, fand sich eine größere Menge von relevanten politischen und wissenschaftlichen Entscheidern in der Corona-Krise ein. Anwesend waren unter anderem Ex-Kanzlerin Angela Merkel, der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn, WHO Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sowie der damalige Berliner Bürgermeister Michael Müller. Einerseits traf man sich, um einander im Rahmen gegenseitiger Wertschätzung zu beklatschen und zu belohnen, wie auch andererseits, um den Startschuss für den Bau eines "Pandemie-Frühwarnzentrum der WHO" in der Hauptstadt zu verkünden.
Nach einem schnell vergangenen Jahr teilte die Welt nun in einem Recherche-Artikel mit, dass anscheinend außer den begeisterten Ankündigungen noch nicht sehr viel passiert ist. So heißt es in dem Beitrag:
"WHO-HUB in Berlin – Vom Prestigeprojekt zur 'Briefkastenfirma'. Im Herbst 2021 eröffnete Angela Merkel ein futuristisches WHO-Zentrum in Berlin. Ein Jahr später ist das Projekt weit hinter Plan. Ist der 90-Millionen-Euro-Hub mehr PR-Aktion als Bastion gegen die nächste Seuche?"
Auf der damaligen Veranstaltung – nicht an der Adresse des geplanten Standortes in der Kreuzberger Prinzessinnenstraße – versuchte ich, Kontakt zu einem zuständigen Pressevertreter des Events zu erhalten. Diese waren aber alle vermeintlich mit der anwesenden Prominenz beschäftigt, die Veranstaltung werde online übertragen.
Der Welt-Artikel erläutert die ursprünglichen Pläne des Millionen-Projekts:
"Vorerst 90 Millionen Euro will die Bundesregierung unter Leitung des Bundesgesundheitsministeriums der WHO bereitstellen, damit dort bis Ende 2022 60 und ab 2023 bis zu 120 Mitarbeiter Datenströme zu Zoonosen und auffälligen Krankheitsmustern bündeln."
Nach gut einem Jahr interessierte die Kollegen der Welt-Redaktion, wie es voranging mit dem prestigeträchtigen "WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence". Es folgt die Überraschung:
"Statt einer vibrierenden Wissenschaftsdrehschreibe steht dort im August 2022, angeschraubt an eine rostbraune Brandmauer: ein Sperrholzbrett, daran montiert zwei blechgraue Briefkästen. Auf dem oberen heißt es: 'Weltgesundheitsorganisation'. Die Tür steht offen – und führt auf eine nahezu menschenleere Baustelle. Erst im dritten Stock sitzen eine Handvoll Mitarbeiter an vereinzelten Schreibtischen."
Ein kurzer Rückblick in den September 2021
In einem Artikel aus dem Vorjahr beschrieb ich einerseits die Ereignisse der Online-Übertragung der Veranstaltung vom 1. September 2021, andererseits aber auch die Vorgeschichte der nun nachweislich schleppenden Realisierung des Profilierungs-Objekts. Zu meiner Verwunderung bezeichnete und begrüßte Ghebreyesus damals Spahn mit den Worten "good friend and brother" (guter Freund und Bruder). Ein Bruder im Geiste? Nach einem prominent besetzten und an Merkel gerichteten Grußwort-Video erhielt diese im Anschluss durch Ghebreyesus den "WHO Global Leadership Award" überreicht, als "Anerkennung ihrer Leistungen für die globale Gesundheit". Oder als, wie es Melinda Gates im Grußwort-Video formulierte, "eine führende Verfechterin der globalen Gesundheit".
Erstmalig benannt wurden die Pläne eines geplanten Zentrums im Mai 2021. So informierte die Seite der Vereinten Nationen: "Pandemie-Frühwarnzentrum der WHO kommt nach Berlin". Der aktuelle Welt-Artikel informiert zu mittlerweile bekannt gewordenen Hintergründen:
"Unterlagen aus dem Kanzleramt, die WELT AM SONNTAG vorliegen, zeigen: Die Einrichtung des Hubs lief überstürzt ab und wurde entgegen interner Warnungen vorangetrieben."
Der damalig zuständige Kanzleramtsmitarbeiter Martin Weiland warnte demnach in einer Mail an die zuständige Abteilungsleiterin für Gesundheit davor, voreilige Details im Rahmen einer Veranstaltung zu verkünden. So heißt es in der Mail aus dem Kanzleramt:
"Aus unserer Sicht sind die Pläne noch sehr allgemein und nicht fundiert. Zudem ist die Idee auch nicht auf internationaler Bühne informatorisch begleitet worden. Vor diesem Hintergrund möchten wir dringend abraten, mit dem WHO Berlin Hub überstürzt nach außen zu gehen."
Mit den Erkenntnissen der zurückliegenden zwei Jahre zeigt sich auch an diesem Beispiel, dass weder die damalige Große Koalition noch die amtierende Ampelkoalition wirklich Wert auf fundierte und kritische Empfehlungen von außen legten bzw. legen. Exemplarisch für die Ignoranz und Willkür des politischen Berlins berichtet die Welt:
"Dem zum Trotz machten Bundesgesundheitsministerium und Kanzleramt am 5. Mai 2021 die Hub-Pläne öffentlich – inklusive Merkel-Videobotschaft. Nun musste es schnell gehen: Dokumente aus dem Bundesgesundheitsministerium zeigen, dass (Thomas) Steffen (damaliger Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium) Ende Mai beim Finanzministerium kurzfristig Geld erbat. ... Einen Tag später sagte das Finanzministerium das Geld zu."
Merkel betonte in der Videobotschaft, dass ein "weltweit einzigartiger Standort zur Pandemie- und Gesundheitsforschung" entstehen werde, unter tatkräftiger Unterstützung, also auch entsprechender finanzieller Förderung "bedeutender Akteure aus Gesundheit und Digitalisierung". Genannt wurden von ihr die Charité, das Robert Koch-Institut und das Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering. Merkel im September 2021 zum Thema forcierte Digitalisierung der Gesellschaft:
"Eine wesentliche Grundlage für den Kampf gegen zukünftige Pandemien sind Daten. Daten, die, wenn sie mit den richtigen Analysewerkzeugen gebündelt und verarbeitet werden, Erkenntnisse liefern, die wir niemals alleine oder zumindest nicht so schnell entdecken könnten."
Bemühungen der Welt, Genaueres zu existierenden Zentrumsplänen zu erfahren, gestalteten sich demnach schwierig:
"Nicht einmal die Adresse des Hubs war ohne Weiteres zu erfahren: Die Berliner Charité, ein Gründungspartner, konnte anfangs nicht einmal eine Ansprechperson nennen. Noch Ende März scherzte eine Charité-Sprecherin am Telefon: Der Hub erinnere an eine "Briefkastenfirma".
Chikwe Ihekweazu, nigerianischer Epidemiologe und designierter Direktor des im Bau befindlichen WHO-Hubs, ließ den Welt-Journalisten auf Anfrage mitteilen, dass "bislang nur 21 Mitarbeiter beschäftigt waren, ab November sollen es 23 sein". Die Fertigstellung des Gebäudes sei "von Lieferengpässen betroffen gewesen", so die Erklärung von Ihekweazu. Zudem werde das Projekt, anders als auf der Internetseite der Bundesregierung nachzulesen, "ausdrücklich kein Frühwarnzentrum, an dem im großen Stil globale Daten erhoben werden, sondern stattdessen solle der Hub weltweit Kollaboration befördern". Und dafür ist eine Personalstärke von "bis zu 120 Mitarbeitern" nötig?
Hinsichtlich der Millionenunterstützung der bisherigen 21 Mitarbeiter seien demnach bisher "ein Planspiel ('Leopard-Pocken') anlässlich der G-7-Gesundheitsministerkonferenz; zwei (!) Vortragsreihen und eine Datensammlung zu Affenpocken" vorzuweisen – beeindruckend. Der Berliner Sender rbb24 wusste im Mai 2021 zu berichten, dass eine "Anschubfinanzierung in Höhe von 30 Millionen Euro von der Bundesregierung" eingeplant ist. Also von den Steuerzahlern finanziert wurde. Damit haben die geplanten 23 Mitarbeiter vorerst einen beruhigenden Planungspuffer in der Hinterhand.
Für die Steuerzahler sind nun eventuell Kostenexplosionen bei der weiteren Zentrumsplanung zu befürchten, wie bei der aktuellen Erweiterung des Bundeskanzleramts in Berlin (inzwischen mit bis zu 640 Millionen Euro beziffert). Vielleicht kommt es aber auch zum klammheimlichen Rückbau, wie beim Corona-Notfallkrankenhaus, das der Berliner Senat 2020 für rund 31 Millionen Euro hatte errichten lassen. Dort war nachweislich kein einziger Patient behandelt worden, dann erfolgte für Millionen Euro Steuergelder die Demontage.
Der zuständige Koordinator des Auf- und Abbaus der Notfallklinik erhielt für seine begleitende Tätigkeit übrigens den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland (1. Klasse). Ob zeitnahe Belobigungen oder Auszeichnungen für die weiterhin unermüdliche und geduldige Einsatzbereitschaft des vorläufigen HUB-Direktors Ihekweazu vorgesehen sind, ist bis dato nicht angekündigt. Was aus der Differenz von 37 Planstellen für 2022 "und ab 2023 bis zu 120 Mitarbeiter" werden wird, ist ebenfalls nicht bekannt.
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