Von Tom J. Wellbrock
In einer (fast) perfekten Welt wären Deutschlands Journalisten glatt aus den Latschen gekippt, als sie diese Passage von Annalena Baerbock lasen oder hörten:
"Wenn ich den Menschen in der Ukraine sage: 'Wir stehen bei euch, so lange, wie ihr uns braucht', dann möchte ich auch liefern. Egal, was meine deutschen Wähler denken: Ich möchte den Menschen der Ukraine beistehen. (…) Und das bedeutet, dass alle Maßnahmen, die ich ergreife, Bestand haben müssen, solange die Ukraine mich braucht. (…) Im Winter werden wir als demokratische Politiker herausgefordert werden. Die Menschen werden auf die Straße gehen und sagen, ich kann meine Energiekosten nicht mehr bezahlen. Und ich sage, ja ich weiß, wir helfen euch mit sozialen Maßnahmen. Aber ich möchte nicht sagen: Okay, dann stoppen wir die Sanktionen gegen Russland. Wir stehen an der Seite der Ukraine. Und das bedeutet, die Sanktionen werden bestehen bleiben – auch im Winter, und auch, wenn das wirklich hart für Politiker werden sollte."
Immerhin wechselte die Außenministerin Deutschlands hier mal eben Teile des Volkes aus, dem sie dienen und zum Wohle verhelfen will. "Jetzt geht sie zu weit", sollte man als kluger Journalist denken und prompt eine kritische Analyse von Baerbocks Worten folgen lassen. Kann ja schließlich nicht sein, dass die noch immer fast ofenfrisch gewählte Politikerin ihren Wählern gleichzeitig vors Schienbein und ins Gesicht tritt.
Doch der deutsche Blätterwald ist bekanntlich etwas eigenwillig aufgestellt, wenn es um unsere Regierungsvertreter geht. Und so kam es, wie es kommen musste.
Total falsch verstanden
Das ZDF befragte den Beauftragten für strategische Kommunikation des Amts, Peter Ptassek, der befand, das Video mit Baerbock sei
"geboostert von pro-russischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange".
Ähnlich sah es laut ZDF die stellvertretende CDU-Chefin Karin Prien, die auf Twitter kundtat, es handele sich um eine Desinformationskampagne von extremen Rechten und Linken gegen Baerbock. Für Prien sei das "unterirdisch", und Baerbock genieße ihre "volle Solidarität".
Auch ein "Faktenfuchs" darf nicht fehlen. Der nahm sich im Auftrag des Bayerischen Rundfunks der Sache an. Und siehe da, er stieß auf einen gravierenden Fehler. Die Welt hatte zuvor folgendermaßen getitelt:
"Regierung stehe an der Seite der Ukraine, 'egal, was die deutschen Wähler denken', sagte Baerbock."
Dabei war es doch ganz anders:
"Regierung stehe an der Seite der Ukraine, 'egal, was meine deutschen Wähler denken', sagte Baerbock."
Das reduziert die Gruppe der Menschen, die Baerbock egal sind, tatsächlich um einen spürbaren Faktor. Es ist ihr nicht egal, was der Wähler insgesamt so denkt, sondern nur, was der Wähler denkt, der ihr seine Stimme gegeben hat. Danke, "Faktenfuchs", wir können Entwarnung geben.
Die beste Erklärung hat aber das Auswärtige Amt, das von einem "Cyber-Instant-Gericht" ausgeht, natürlich initiiert durch prorussische Desinformation. SPD-Politikerin Sawsan Chebli hatte auch etwas zu sagen. Wie es ihrem fröhlichen Naturell entspricht, wählte sie ihre Worte mit Bedacht und Pathos:
Und überhaupt: Folgt man deutschen Medien, sind es sowieso nur ganz linke und ganz rechte Gruppen, die Baerbock nun kritisieren. Eine Art Offenbarungseid aber leistete sich t-online mit dieser Einordnung:
"Und auch Baerbock wollte wohl mit ihrer Aussage nicht ausdrücken, dass die Bundesregierung nicht im Interesse der deutschen Bevölkerung handelt. Sondern die Außenministerin tritt vielmehr dafür ein, dass Deutschland seinen Kurs im Winter beibehält, die Menschen in der Ukraine unterstützt und die russische Aggression weiterhin entschlossen verurteilt."
Baerbock "wollte wohl mit ihrer Aussage nicht ausdrücken"? Damit wird das Problem deutscher Medien auf den Punkt gebracht.
Alles in Ordnung!
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Baerbocks Aussage, dass ihr der Wille deutscher Wähler (welche genau gemeint sind, weiß nur sie selbst) egal ist, ist ein Fakt, der auch mit zahlreichen ergänzenden Sätzen nicht in einen neuen Zusammenhang gebracht werden kann. Die Außenministerin hat gesagt, was sie gesagt hat.
Die Aufgabe eines unabhängigen Journalismus wäre nun, diese Aussage kritisch einzuordnen, nachzuhaken, auf Erklärungen zu drängen. Stattdessen betätigen sich die meisten Medien als eine Art Ministersprecher, die Baerbocks Aussage relativieren und verharmlosen. In diesem konkreten Zusammenhang von "Desinformation" linker, rechter oder prorussischer Gruppen zu sprechen, schlägt dem Fass den Boden aus. Die Bundesregierung dürfte gegen all das nichts haben, sie hält es nicht einmal für nötig, auf ihrer Webseite Baerbocks Aussage zu erklären oder gar selbstkritisch zu kommentieren. Wieso auch? Das erledigen ja die Medien ganz selbstverständlich für sie, nur eben nicht selbstkritisch.
Wieder einmal fallen Masken
Wir gehen einem Herbst mit Maskenpflicht entgegen, doch Politik und Medien lassen erneut ihre Hüllen fallen. Baerbocks Aussage lässt sich nur mit einem zutiefst ideologischen Weltbild erklären, gepaart mit der fast schon kindlichen Ahnungslosigkeit ob ihrer Wirkung.
Diese Außenministerin – und das ist so offensichtlich, dass nur aktive Verweigerung erklären kann, dies zu leugnen – ist intellektuell nicht ansatzweise geeignet, geopolitische Zusammenhänge zu verstehen, was beispielsweise an ihren Aussagen zu Taiwan deutlich wurde.
Ebenso deutlich ist längst ihre diplomatische Unfähigkeit. Zu Taiwan sagte Baerbock, losgelöst von historischen Fakten und angehäuft durch Unwissen:
"Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China, gerade in diesen Tagen."
Dieses Unwissen ist gefährlich, weil es auf ständige Provokation und Eskalation setzt. Baerbock hat ganz offenkundig den Sinn und Zweck der Diplomatie nicht verstanden oder will ihn nicht verstehen. Das so oft erwähnte Zitat bezüglich der (oder: ihrer) deutschen Wähler erhöht die Brisanz, weil die Außenministerin zwar Konflikte mit der Bevölkerung kommen sieht, aber nicht bereit ist, dagegen etwas zu unternehmen.
Vielmehr vergeht kaum ein Tag, an dem Baerbock nicht von russischen Niederlagen, dem Wunsch des Ruins des Landes oder dem Anspruch des strategischen Scheiterns spricht. Man muss sie eine Anti-Diplomatin nennen, die ihre Aufgabe auf Provokationen und Eskalation beschränkt. Damit ist sie als Ministerin für Außenpolitik eine glatte Fehlbesetzung, die nicht nur das Amt schwer beschädigt, sondern die geopolitische und innenpolitische Lage bewusst zuspitzt.
All das herauszuarbeiten und zu thematisieren, wäre Aufgabe einer aufgeklärten und unabhängigen Presse. Doch stattdessen spricht sie diese gefährliche Politikerin willfährig von nahezu jeder Verantwortung frei. Einer Außenministerin mit den Defiziten einer Annalena Baerbock müsste man – auch im Sinne der eigenen Leser- und Zuschauerschaft – kritisch auf die Finger schauen. Man müsste sie mit ihrer Aggressivität konfrontieren und sie auf ihre Feindseligkeit stoßen. Man müsste sie fragen, warum sie nicht willens oder in der Lage ist, vermittelnd und deeskalierend tätig zu werden.
Nichts davon leisten unsere Medien. Stattdessen stellen sie sich schützend vor eine Außenministerin, die jegliches Gespür für Diplomatie vermissen lässt und dabei ist mitzuhelfen, weltweite Konflikte zu schüren.
Letztlich hat Baerbock in Prag bewiesen, wie ihre Agenda aussieht. Die Hilfe für die Ukraine (die längst nicht mehr greifbar und zu einem hohlen Begriff geworden ist, der weder Wirkung noch Aussagekraft hat) ist ihre Priorität, die Fortführung des Krieges alternativlos.
Kritik muss sie dabei nicht befürchten, sie kann voll auf die Presse setzen, die ihr den Weg freimacht und Hindernisse beiseite räumt, die Baerbock in ihrer grenzenlosen Inkompetenz mal wieder hat liegen lassen.
Inkompetenz und genau durchdachte Maßnahmen schließen sich übrigens nicht aus. Der Auftragsempfänger muss nicht klug oder kompetent sein. Es reicht, wenn er macht, was ihm aufgetragen wird.
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