Causa über den Wolken – Politiker und Journalisten bei Kanadaflug ohne Masken

Alle sind gleich, aber manche sind gleicher. Auf dem Flug der Regierungsspitze mit ausgesuchten Journalisten und Wirtschaftsvertretern nach Kanada zeigt ein Foto die Reisenden ohne jeden Mund-Nasenschutz. Dabei herrscht auf innerdeutschen Flügen sowie auf Flügen, die in Deutschland starten oder ankommen, Maskenpflicht.

Von Bernhard Loyen

Eine größere Delegation in einer Regierungsmaschine sorgt aktuell für Irritationen, Hohn und Spott bis hin zu Wut und Unverständnis bei den Bürgern. Der Grund findet sich in der abgehobenen Unachtsamkeit der begleitenden, Bericht erstattenden Medien. Ein komplettes Flugzeug, laut der Deutschen Presse Agentur (dpa) "mehr als 80 Passagiere, darunter 25 Medienvertreter", ohne den laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) weiterhin vorgeschriebenen Mund-Nasenschutz, bewirkt erregte Diskussionen im dritten Corona-Spätsommer. 

Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sowie jeweilige Regierungsmitarbeiter fliegen für drei Tage nach Kanada. Begleitet werden sie dabei von einer größeren Wirtschaftsdelegation und einer Gruppe ausgesuchter Journalisten. So weit, so unspektakuläre Routine im politischen Berlin. Die Gründe der Reise für den aktuellen Vorfall eher zweitrangig. Scholz wie Habeck wollen durch diesen Schulterschluss simulierenden Kanada-Trip den Versuch unternehmen, ihre desaströse Regierungspolitik der zurückliegenden Wochen durch internationalen Aktionismus zu kaschieren. 

Routiniert berichteten seit Start der Regierungsmaschine in Berlin die öffentlich-rechtlichen Medien nun von einem Ereignis, dass den Bürgern vordergründig vermitteln sollte: Wir, eure Bundesregierungsspitze, sind Kümmerer. Wir sorgen dafür, dass es den Menschen in Deutschland im Herbst und Winter 2022 warm wird im Herzen und in der Wohnstube. Und die kooperierenden Journalisten tragen parallel begleitend, pflichtbewusst Bericht erstattend, ihren Anteil dazu bei. Doch schon vor der Landung in Montreal, in der kanadischen Provinz Quebec, kommt es zum medialen Super-Gau. Das ARD-Mittagsmagazin vom 21. August lieferte Bilder, die einem stetig wachsenden Anteil in der Bevölkerung auf den ersten Blick nur eine Tatsache vermittelt: Abgehobene Randgruppen der Gesellschaft bestimmen und kolportieren Alltagsvorgaben und Pflichten, die für sie selbst anscheinend nicht zu gelten haben.

Das vom politischen Berlin weiterhin wegweisende Infektionsschutzgesetz (IfSG) schreibt für "Normalbürger" weiterhin über §28b vor:

"Die Verkehrsmittel des Luftverkehrs und des öffentlichen Personenfernverkehrs dürfen von Fahr- oder Fluggästen sowie dem Kontroll- und Servicepersonal und Fahr- und Steuerpersonal, soweit tätigkeitsbedingt physische Kontakte zu anderen Personen bestehen, nur benutzt werden, wenn diese Personen während der Beförderung eine Atemschutzmaske (FFP2 oder vergleichbar) oder eine medizinische Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Schutz) tragen." 

Es folgt im Rahmen des Ereignisses die Erklärung eines Politmagazins, also der Versuch eines sich Erklärens, ausgehend von einem Spiegel-Artikel, dessen Mitarbeiterkollegen sich ebenfalls an Bord der Regierungsmaschine befanden. So heißt es in dem Beitrag relativierend, eher belustigt:

"Aber nun überschattet ein kleiner Skandal die Reise. Plötzlich fragen wir uns nicht mehr, ob es den deutschen Regierungsvertretern gelingen wird, Lieferverträge über Flüssiggas abzuschließen, über grünen Wasserstoff oder wenigstens über kanadischen Ahornsirup."

Die verräterischen Bilder des ARD-Mittagsmagazins hätten einen vollkommen falschen Eindruck vermittelt, denn der Vorgang sei doch eher nebensächlich, kleinkarierter Killefit in der Wahrnehmung nerviger Nörgler:

"Nein, spannend ist nur noch die Tatsache, dass im Regierungsflieger niemand Maske trug. Ein Kamerateam schwenkte im Flugzeug über die dicht an dicht sitzenden Medienleute, und über Robert Habeck, der eindringlich in der Hocke auf eine Journalistin einredete – und keine Maske weit und breit. Ups!"

"Ups!" bedeutet: Mein Gott, anscheinend hat das Fußvolk keine anderen Sorgen. Die realexistierende Parallelwelt hat natürlich auch eine Erklärung parat. So heißt es laut der dpa aus Regierungskreisen (an Bord der Regierungsmaschine waren demnach auch zwei dpa-Journalisten):

"Für Flüge der Luftwaffe, die den Kanzler transportiert, gelte keine Maskenpflicht. Alle Teilnehmer der Reise müssen vor Antritt einen aktuellen negativen PCR-Test vorlegen. Damit ist ein hohes Schutzniveau gewährleistet."

Zumindest wurde nicht mit dem Impfstatus der Anwesenden argumentiert, daher also "nur" vermeintliche Sonderrechte? Nun, zumindest wird die Causa "Über den Wolken" sehr wohl wahrgenommen, und zwar nicht nur vom pöbelnden Kleinbürger. Die Fluggesellschaft Lufthansa twitterte:

"Ein negativer PCR Test befreit nicht vom Tragen einer Maske. Bitte informiere dich online über die Maskentragepflicht bzw. über die Ausnahmeregelung."

Dieser Hinweis bezieht sich auf einen Twitter-Beitrag der an Bord anwesenden T-Online-Journalistin und "Chefreporterin im Hauptstadtbüro", Miriam Hollstein. Diese meinte zuvor kommentieren zu müssen:

"Fun Fact für alle Trolle: Für diesen Flug mussten alle Mitreisenden einen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 24 Stunden war."

In einem weiteren Tweet bestätigt sie selbst ihre Anwesenheit im Regierungsflieger:

Zu dieser Gesamtthematik informierte dann der Spiegel ergänzend und überraschend aufklärend, je nach Blickwinkel irritierend oder erkenntnisreich:

"Allerdings trug offenbar auch auf dem Weiterflug der Delegation nach Toronto gestern, als die PCR-Tests schon mehr als 48 Stunden alt waren, niemand Maske." 

Irgendwie glänzt dieser Vorfall, dieser Kanada-Trip, mit vermeintlichen "Fun Facts" (lustigen Fakten). Tina Hassel, begleitende Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, ließ ihre Twitter-Follower wissen, vor lauter Lachen das Spalier gleich mit zwei L schreibend:

"Ehrenspallier für Kanzler Scholz in Kanada. Kleiner FunFact: auf den Bajonetten steht 'Made in Germany'."

"Ein Regierungsflug ist lustig, ein Regierungsflug ist schön", heißt es etwas adaptiert in einem alten Volkslied. Vor allem, wenn der Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, beim "kleinen Fun Fact" nicht auffallen wollte, dass die ausführenden Menschen des Ehrenspaliers dazu gezwungen wurden, dabei eine Maske, einen Mund-Nasenschutz zu tragen. Nicht, dass die Ehrengäste aus Deutschland, Scholz und Habeck, sich noch Corona einfangen und nach Heimkehr mit Paxlovid behandelt werden müssten. Das "Ereignis" sorgt für Unruhe im Land.

Die Menschen, der individuelle Bürger, sie fühlen sich zunehmend volkstümlich "verarscht". Politiker und Medien fühlen sich hingegen immer häufiger missverstanden. Der einzelne Journalist ist genervt von aufmerksamen Bürgern, die auch noch kritisieren und einfordern. So echauffiert sich ein Herr Blome vom Spiegel in seinem jüngsten Artikel unter dem Titel "Solche Bürger sind nicht besorgt, sondern bescheuert":

"'Bürger' ist kein geschützter Begriff, das ist mir klar. Jeder kann sich 'Bürger' nennen, auch wenn er mit einem schiedlich-friedlichen Gemeinwesen, Toleranz, Mehrheitsfindung oder sonstigen Gepflogenheiten einer bürgerlich-zivilen Gesellschaft absolut nichts am Aluhut hat. Aber es gibt eben auch eine Grenze, jenseits derer sind bestimmte Bürger nicht mehr besorgt, sondern bescheuert, und es wäre an der Zeit, das einmal laut auszusprechen."

Und wie reagieren die Verantwortlichen? Die dpa informiert, dass die Politik auf die Kritik, die Wahrnehmung hinsichtlich der Bilder aus der Regierungsmaschine, umgehend reagiert hat. So heißt es:

"Bei Flügen in den Regierungsmaschinen der Luftwaffe ist den auf Corona getesteten Passagieren das Tragen einer Maske freigestellt...Das Tragen einer Maske wird nur noch empfohlen."

Beeindruckend. Das nennt man schlicht Eigenverantwortung des Einzelnen, eine Selbstverständlichkeit, die mündigen Bürgern jedoch seit dem Herbst 2020 über das IfSG nachweislich aberkannt und verweigert wird. Zweierlei Maß oder politische Realität? Ein weiterer Grund "bescheuert" zu sein, zu hinterfragen und zu kritisieren? Der Liedermacher Reinhard Mey wusste schon im Jahre 1974, dass "über den Wolken, die Freiheit wohl grenzenlos sein" muss. Dass "alle Ängste, alle Sorgen
darunter verborgen" bleiben. Das jenes, "was uns groß und wichtig erscheint (das IfSG, die Verantwortung und die eigenen Pflichten gegenüber den Menschen im Land) "plötzlich nichtig und klein".

Der FDP-Politiker Kubicki stellt auf Facebook in einem Beitrag fest, dass dieses Ereignis "leider ein sehr ungünstiges Licht auf die mitreisenden Vertreter der Bundesregierung und auf führende Hauptstadtjournalisten wirft." Kubicki stellt klar, auch in Bezug auf die anstehenden Beratungen über ergänzende oder abändernde Nachträge des IfSG:

"Insbesondere mit Blick auf die anstehenden Beratungen über die IfSG-Novelle sollte spätestens jetzt aber allen klar sein: Nach diesen Bildern darf es keine Maskenpflicht im Flugzeug oder in Zügen der Deutschen Bahn mehr geben. Wir sind in Europa alleine unterwegs."

Der amtierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schweigt derweil und hat die Causa "Über den Wolken" (die sozialen Medien nennen den Vorfall #Doppelmoral) bisher noch nicht kommentiert.

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