Von Gert Ewen Ungar
Der deutsche Journalismus ist in einem schlechten Zustand. Er hat eine seiner wichtigsten Aufgaben, Regierungshandeln kritisch zu begleiten und zu hinterfragen, längst aufgegeben. Begonnen hat diese Entwicklung schon vor zwanzig Jahren – mit der "Agenda 2010" der SPD und den "Reformen" genannten sozialen Einschnitten für die Mehrheit der Bevölkerung: mit faktischen Lohnsenkungen, Kürzungen im Rentensystem und Kahlschlägen in den sozialen Sicherungssystemen.
Unter Schlagworten für Deutschland wie "demographischer Wandel", "kranker Mann Europas", "Globalisierung" und "Verkrustungen aufbrechen" haben die großen deutschen Medien den forcierten Umbau der deutschen Gesellschaft nicht nur einfach hingenommen. Die Wortwahl machte vielmehr deutlich, dass sich die großen Medien als Vermittler eines angeblich alternativlosen Umgestaltungsprozesses verstanden. Sie missverstanden ihre Aufgabe als die der Kommunikation und Erläuterung von Regierungshandeln. Die "Agenda 2010" wurde den Bürgern medial als notwendig und alternativlos vermittelt – sie war es nie.
In den darauffolgenden Krisen hat sich diese Preisgabe des journalistischen Auftrags noch ausgeweitet. Die aktuelle Berichterstattung ist inzwischen völlig in der Propaganda und Desinformation angekommen.
Wer die Meldungen und Einordnungen zum Ukraine-Krieg verfolgt, reibt sich verwundert die Augen: "Das soll Journalismus sein?" Nein, das, was die großen Blätter da von sich geben, hat in seiner Einseitigkeit und mit all seinen Auslassungen mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Ein Mangel an Wissen lag dem nicht zugrunde, denn natürlich verfolgen auch deutsche Journalisten russische Quellen und Medien, und sie lesen auch auf jenen Telegram-Kanälen mit, vor deren Lektüre sie ihre Leser warnen. Der Grund dafür ist weniger, dass es sich dabei um russische Propaganda handelt, sondern dass nach der eigenen Lektüre solcher russischen Nachrichten relativ schnell der Eindruck entsteht, mit der deutschen Berichterstattung und der dort etablierten Schwarz-Weiß-Malerei könne etwas ganz grundsätzlich nicht stimmen.
All diese Zeugnisse über den Beschuss ziviler Infrastruktur durch die Ukraine mittels westlicher Waffen in Donezk und Lugansk können nicht erfunden sein. Es handelt sich dabei um Kriegsverbrechen der Ukraine. Dass all die Berichte angeblich von russischen Journalisten vor Ort inszeniert sein sollen, ist schlicht undenkbar. In den deutschen Medien werden diese Informationen ins Gegenteil verkehrt oder einfach weggelassen. Sie passen nicht ins Bild, sie stören das Narrativ.
Deutsche Journalisten kennen diese Quellen und verschweigen sie ihrem Publikum dennoch. Das ist hoch manipulativ und deutet zudem auf eine Form der berüchtigten "Gleichschaltung", denn kein großes deutsches Medium nimmt solche authentischen Berichte auf. Wie schon zu Zeiten der "Agenda 2010" beteiligt sich der deutsche Mainstream an einer politischen Kampagne. Diesmal richtet sie sich nicht nur gegen die Interessen der Bürger Deutschlands, sondern auch gegen Russland.
Würden deutsche Medien auch russische Berichte einbeziehen, entstünde für die Medienkonsumenten ein gänzlich anderes Bild. Die Ukraine würde unmittelbar ihre "Aura der Unschuld" verlieren, denn das ukrainische Militär begeht schwerste Kriegsverbrechen – mutmaßlich muss man aktuell noch hinzufügen, denn die fortlaufenden Untersuchungen und Ermittlungen dauern an. Aber auch die sind ein Thema, das der deutsche Mainstream seinen Lesern verschweigt: Die Verfolgung und Aufarbeitung von Kriegsgräueln durch die Ermittlungskomitees der Volksrepubliken und Russlands.
Auch die Zeugnisse davon, dass die russische Armee in Mariupol und anderen Orten des Donbass tatsächlich als Befreier begrüßt wurde, unterschlägt der deutsche Mainstream – oder er diffamiert sie einfach als angebliche russische Propaganda. Gewiss stehen nicht alle Einwohner des Donbass hinter dem Einsatz Russlands in der Ukraine. Aber ein unübersehbarer und damit nennenswerter Teil eben schon.
Bilder vom Wiederaufbau in Mariupol schaffen es ebenfalls nicht bis in die deutsche Presselandschaft. Den bezahlt nämlich – laut Andrei Turtschak, Generalsekretär der Partei Einiges Russland und stellvertretender Vorsitzender des Föderationsrates – die russische Föderation. Die Meldungen des Mainstreams über Mariupol brachen genau an der Stelle ab, als vermeldet wurde, es sei dort nun eine humanitäre Katastrophe zu erwarten. Sie trat nicht ein, und folglich wurde es still um Mariupol in den deutschen Medien.
Auch über die angeblichen wie auch die tatsächlichen Ereignisse von Butscha wird inzwischen ein Mantel des Schweigens ausgebreitet. Butscha wurde in westlichen Medien zum Symbol für die Grausamkeit der russischen Armee inszeniert. Westliche Politiker unternahmen regelrechte Pilgerfahrten nach Butscha, um sich von der angeblichen Barbarei der Russen persönlich zu überzeugen sowie ihre im Vorfeld schon auswendig gelernten Texte der Empörung in die bereitstehenden Kameras zu sprechen. Gab es jemals eine offizielle und vor allem eine unabhängige Untersuchung? Die Frage lässt sich leicht beantworten: Nein.
Die Ukraine stellt eigene Ermittlungen an, die freilich nicht unabhängig genannt werden können. Westliche Organisationen – beispielsweise die von westlichen Thinktanks wie dem "National Endowment for Democracy" und den "Open Society Foundations" unterstützten Hobby-Forensiker von Bellingcat – versuchten sich im Nachweis der russischen Schuld. Auch das ist alles andere als unabhängig. Im Sande dagegen verliefen Forderungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen António Guterres nach einer internationalen und unabhängigen Untersuchungskommission.
So werden die Bilder von Butscha immer mal wieder ausgegraben, wenn es in den propagandistischen Kram passt. Mit kritischem Journalismus hat aber auch das nichts zu tun. Der würde – wenn auch spät – irgendwann einmal nach Beweisen fragen und eine unabhängige Untersuchung anmahnen, statt fortgesetzt die Behauptungen der ukrainischen Seite affirmativ zu wiederholen.
All das hat Folgen. Die schlechte Qualität der Breite des deutschen Journalismus hat gesellschaftliche Auswirkungen. Würde das Metier seine Aufgaben erfüllen, sich um Aufklärung und Objektivierung zu bemühen, könnte in Deutschland auch offen über den Zustand der Ukraine, den Zweck von Waffenlieferungen dorthin und den Sinn und die Möglichkeiten von Friedensgesprächen diskutiert werden. In der aktuellen Situation geht das aber nicht. Diese Freiheit fehlt in Deutschland heute – und die deutschen Medien haben daran Anteil.
In ihrer Einseitigkeit treiben die großen deutschen Medien vielmehr noch die Politiker und die ganze Gesellschaft vor sich her. Angesichts der mangelnden Differenzierung und der Unterschlagung von Information in den deutschen Nachrichten erscheinen somit – aufgrund der angeblichen Brutalität der russischen Armee – sogar Waffenlieferungen in ein akutes Krisengebiet als legitimes Mittel. Das Problem ist aber, dass die Informationen, auf denen diese Argumentation aufbaut, höchst fragwürdig sind.
Da Russland sich einfach einen Teil der Ukraine einverleiben wolle, sei die Unterstützung der Ukraine geboten. Sollte aber tatsächlich ein relevanter Prozentsatz der Einwohner des Donbass die russische Armee nicht als Besatzer, sondern als Befreier sehen, gerät diese Argumentation ebenfalls ins Wanken.
Würden zudem Zeugnisse im deutschen Mainstream zugelassen, die darauf hindeuten, dass vom Westen gelieferte Waffen zur Ausübung schwerster Kriegsverbrechen verwendet werden, würden deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet wie die Ukraine sicherlich anders eingeordnet und Diskussion darüber offener geführt werden.
Es ließen sich noch viele Beispiele finden, an denen der Gedanke weiter ausgeführt werden könnte. Die offene Lynchjustiz in der Ukraine beispielsweise, die Strafandrohung gegenüber jenen Ukrainern, die bereit sind, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder sich aus den umkämpften Gebieten nicht in Richtung Kiew, sondern in Richtung jener Territorien aufmachen, die von Russland und den Alliierten Kräften eingenommen wurden. Man könnte auch "befreit" sagen.
All diese Zeugnisse lassen sich nicht einfach als russische Propaganda und Desinformation abtun. Dessen ungeachtet hält der deutsche Mainstream entweder an dieser Einordnung fest oder verschweigt sie einfach gänzlich. Damit bewirkt er noch ein zweites Versagen. Jeder, der für einen etwas differenzierten Blick auf die Ereignisse in der Ukraine wirbt, wird mit Hinweis auf die vermeintlich objektive und um Objektivierung bemühte deutsche Berichterstattung diffamiert und diskriminiert. Es sind paradoxerweise die deutschen Medien, die für eine zunehmende Verengung des geduldeten Meinungskorridors sorgen und aktiv jede andere Sichtweise als "russische Propaganda" verunglimpfen. Dabei wissen die entsprechenden Redakteure und Journalisten, wie schon ausgeführt, um den Wahrheitsgehalt der russischen Quellen, denn sie lesen dort mit – und die Aussagen lassen sich vielfach überprüfen.
Mit anderen Worten: In Deutschland fördert der aktuelle Journalismus ein System der Repression. Abweichende Meinungen werden "gecancelt" und unterdrückt. Deutsche Medien beteiligen sich nicht nur an Diffamierungskampagnen, sondern initiieren sie auch selbst. Inzwischen fordert der deutsche Mainstream sogar die Strafverfolgung von Journalisten, die nicht die von Staats wegen veröffentlichte Meinung teilen und anderes berichten. Mit seiner eigenen Verengung in Richtung Propaganda trägt der deutsche Mainstream aktiv zur Erosion der Meinungs- und Pressefreiheit bei. Er ist damit im Gegenteil von seiner grundgesetzlich verankerten Rolle angekommen und eine Gefahr für Freiheit und Demokratie.
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