von Dagmar Henn
Journalisten sind eitel. Daher muss ich sagen: Wenn die Tagesschau nach all den Sperrungen, die gegen abweichende Medien verhängt werden, immer noch schreibt, "die Bundesregierung tut sich schwer im Kampf gegen Moskaus Lügen", dann ist die erste Reaktion Befriedigung. Schließlich ist Sinn und Zweck dieser Tätigkeit, ein Publikum zu erreichen. Und auch, wenn die Klassifizierung als "Moskaus Lügen" so lächerlich wie wahrheitsfern ist – man hört es gern, dass man nicht ins Leere schreibt.
Das zweite Gefühl ist dann, dass es langsam schwierig wird, sich vorzustellen, was künftig in Deutschland überhaupt noch gesagt werden darf. Dazu ein etwas längeres Zitat:
"Denn in den Sicherheitsbehörden geht man davon aus, dass die Kreml-Propaganda in den kommenden Monaten noch weiter zunehmen wird und sich der Fokus dabei verlagert: Vom Krieg in der Ukraine zur drohenden Energiekrise und deren Folgen für die Bevölkerung. Moskaus Propagandisten, darunter staatliche und nicht-staatliche Akteure, setzen dabei offenbar auf bestimmte Narrative, etwa jene, dass die verhängten Wirtschaftssanktionen dem Westen mehr schaden würden als Russland. Oder dass die westlichen Sanktionen verantwortlich seien für die Lebensmittelknappheit in vielen armen Regionen der Welt, insbesondere in Afrika."
Wäre die Weltsicht des Tagesschau-Autors Florian Flade noch unvoreingenommen, würde er erkennen, dass die meisten Autoren, die auf Deutsch gegen die vom Mainstream verbreitete Sicht anschreiben, Deutsche sind und dass sie dies durchaus aus Sorge um ihr Land tun. Er erkennt es nicht.
Verblüffend ist jedoch, was ganz beiläufig zur Unwahrheit erklärt wird – "dass die verhängten Wirtschaftssanktionen dem Westen mehr schaden würden als Russland". Das ist immerhin eine Aussage, die sich selbst in Zeitschriften wie The Hill findet, oder im Handelsblatt. Was schlicht damit zu tun hat, dass es sich dabei um Fakten handelt. Und die Deutschen selbst waren schließlich dabei, als sich diese Krise entwickelte; sie waren nicht ein halbes Jahr außer Landes, sodass man ihnen jetzt Märchen vorsetzen kann.
Natürlich kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr sicher sagen, dass die Krise tatsächlich vorüber wäre, würde sich die Bundesregierung Russland gegenüber wieder wie die Vertretung einer zivilisierten Nation benehmen; mag schon sein, dass da das Vertrauen gewissermaßen angeknackst ist gegenüber einem Land, dessen Außenministerin offen erklärt, sie wolle "Russland ruinieren". Und es ist nicht so, dass es keine anderen Abnehmer für russisches Erdgas gäbe; auch das ist ein Punkt, auf den intelligentere Menschen schon früh hingewiesen haben – wenn man lange genug wartet, könnte es schlicht nichts mehr zu kaufen geben.
Aber um zu dem Schluss zu kommen, dass die Sanktionspakete und die Probleme mit der Gasversorgung nicht nur zufällig zeitlich korrelieren, sondern dass da ein kausaler Zusammenhang besteht, dafür muss man bei Gott kein Genie sein. Wie also will nun die Tagesschau, wie wollen die "Sicherheitsbehörden" nun den Deutschen klarmachen, dass da zwar ein Apfel unter einem Apfelbaum liegt, die beiden aber rein gar nichts miteinander zu tun haben?
Nun, die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt klar, wie dieser Versuch aussehen wird. Es wird kontinuierlich weitergelogen werden. Seitens der Tagesschau wie auch seitens der Bundesregierung (ist jemandem aufgefallen, dass Robert Habeck mit dem Erdgas aus Katar blank gelogen hatte?). Die Ukraine siegt, Selenskij ist ein Musterdemokrat, die russischen Truppen beschießen sich selbst in einem Kernkraftwerk, weil Russen eben Masochisten sind, und der Winter wird warm und sicher.
Aber dann wird es spannend. Oder vielmehr bösartig. Antidemokratisch. Denn nach der Feststellung, dass sich das Sendeverbot für RT "als mäßig erfolgreich" erwiesen hätte, folgt eine Ankündigung.
"So gibt es auch Stimmen innerhalb der Behörden, die ein härteres, gezieltes Vorgehen gegen die Kreml-Propagandisten fordern und auf die Möglichkeiten der Strafverfolgung verweisen."
Ich habe mich schon mehrmals dazu ausgelassen, dass die Strafverfolgung von Meinungsäußerungen mit einer auch nur irgendwie demokratisch verfassten Gesellschaft nur sehr begrenzt vereinbar ist. Und darauf hingewiesen, dass die Verfolgung von Meinung, nicht Handlung, ein charakteristisches Merkmal der NS-Justiz war. Auch, dass die Art und Weise, wie momentan in Deutschland von der "Billigung einer Straftat" die Rede ist, sobald jemand wagt, die Gründe für den russischen Militäreinsatz zu benennen, den Paragrafen bis über die Schmerzgrenze überdehnt. Strafverfahren wegen eines Buchstabens, das ist so absurd und lächerlich, dass das hier in Moskau niemand glauben will.
Flade – und damit die Tagesschau – ist aber unempfindlich und kommt zu einem ganz anderen Schluss. Er befürwortet eine stärkere Strafverfolgung. Als Beispiel wird ein Hamburger angeführt, der wegen seines "prorussischen" Telegram-Kanals festgenommen wurde.
"Bislang waren die Behörden zurückhaltend bei der Verfolgung von Kriegsbefürwortern. Daher könnte der Fall nun zu einem Präzedenzfall werden. Bis zu drei Jahre Gefängnis drohen dem festgenommenen Hamburger bei einer Verurteilung."
Das ist kein Kommentar in einer Provinzzeitung, in der sich ein frustrierter Jurist austobt. Diese Bemerkung wird auf dem Portal der Tagesschau gemacht. Und sie enthält zwei implizite Aussagen. Die erste: In diesem Medium ist das keine Anmerkung, kein Wunsch, sondern eine Ankündigung. So, als hätte man in den Straßen Plakate mit der Aufschrift "Hört keine Feindsender" aufgehängt und würde dazu aufrufen, Nachbarn zu melden, die dies tun. Und der junge Kerl, der wegen dieses Telegram-Kanals festgenommen wurde, soll nun als Opferlamm dienen.
Aber da ist noch mehr. Gleichzeitig wird dem Gericht, vor dem dieser Fall verhandelt werden wird, signalisiert, dass man die Höchststrafe wünscht. Der Abschreckung halber. Und sei es, damit niemand in Deutschland auch nur noch zu denken wagt, dass die Sanktionen und das ökonomische Elend irgendetwas miteinander zu tun haben.
Ehrlich gesagt, mir wäre es lieber, die Entwicklung in Deutschland verliefe so, dass ich das Land grundlos verlassen hätte. Aber je größere Schäden das transatlantisch angerührte Chaos anrichtet, desto fester werden Augenbinde und Knebel um den Kopf des gemeinen Volkes gezurrt. Die Spanne dessen, was diesem Text zu Folge verfolgt werden sollte, reicht bis zur Feststellung, dass die Sanktionen schuld sind an den Energiepreisen.
Nachdem also auf vielen Ebenen bereits die Erzählung vorbereitet wurde, dass jeder, der gegen zu hohe Energiepreise demonstriert, ein Nazi ist (die Sanktionen zu streichen darf man vermutlich bald nicht einmal mehr fordern), wird nun öffentlich eine Welle der Verfolgung angekündigt und die Bevölkerung gleichzeitig dahingehend eingeschüchtert, dass selbst das Offensichtliche nicht mehr gesagt werden darf. Ähnlichkeiten mit vergangenen Epochen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Unverkennbar soll hier neue Angst geschürt werden. Sie ist das alles beherrschende Gefühl der letzten Jahre: Angst vor Corona, Angst vor dem Klimawandel; Angst vor dem Blackout; Angst, etwas Falsches zu sagen oder nur zu denken (seltsamerweise steht Angst vor einer Eskalation in der Ukraine nicht auf dem Menü, dann ist man schon Putintroll). Nun, das kann man machen. Einschüchterung und Angst sind bewährte Herrschaftsmethoden.
Sie funktionieren, weil sie auf unangenehmen Gefühlen basieren, die man zu vermeiden sucht. Und weil viele auf beängstigende Situationen reagieren, indem sie eine starke Schulter suchen. Einschüchterung und Angstmache sind ein gutes Vorspiel, wenn man dann einen "starken Mann" präsentieren will, der Sicherheit verspricht.
Aber genau da ist der Haken an der Sache. Dafür, dass Deutschland sich den Sanktionen angeschlossen hat, unter denen es jetzt leidet, sind nur drei Gründe denkbar:
- Dummheit, sprich, die Folgen wurden nicht bedacht;
- Rückgratlosigkeit, sprich, die Unterwürfigkeit gegenüber dem transatlantischen Boss ist stärker als jede Verantwortung den Deutschen gegenüber;
- oder Rücksichtslosigkeit, weil ein irrwitziges grünes Projekt wichtiger ist als das Wohl der Menschen. Alle drei Erklärungen sind möglich.
Aber weder Dummheit noch Unterwürfigkeit noch Rücksichtslosigkeit der Bevölkerung gegenüber sind Eigenschaften, die Erlösung von der verbreiteten Angst versprechen. Von Effizienz wollen wir gar nicht erst reden. Eine Verwaltung und eine Infrastruktur, die dabei sind zusammenzubrechen, vermitteln nicht wirklich den Eindruck der Stärke.
Natürlich ist der Griff nach solchen Methoden selbst ein Eingeständnis von Schwäche. Ginge es den Deutschen wirklich gut, handelte die Regierung wirklich in ihrem Interesse, dann gäbe es keinen Bedarf, ihnen Angst einzujagen oder sie einzuschüchtern. Das ist der unübersehbare logische Fehler in dem Gerede von der "Destabilisierung des Staates", dass letztlich die Wirklichkeit den Rahmen setzt. Ein Staat, der all jene Aufgaben, die nicht in den Bereich Repression gehören, mustergültig erfüllt, wäre mit der besten Propaganda nicht zu "delegitimieren"; bei einem, der dies nicht tut, bedarf es ihrer nicht.
Wie aber reagieren Menschen, denen man ununterbrochen Angst gemacht hat, wenn sie erkennen, dass die vermeintlichen Retter schwach, dumm und unfähig sind? Dass diese sie in ihrer Not allein lassen und bestenfalls noch einige zynische Sprüche hinzufügen ("Das kriegst du nicht, Alter!")? Dass sie getäuscht und verraten wurden?
Das ist der Augenblick, der wirklich gefährlich wird. Denn die Angst, die so sorgfältig aufgebaut wurde, kann – wie die Depression über die Zustände – in Zorn umschlagen, und dieser Zorn ist chaotisch und ungelenkt. Nichts steht fest außer seinem Zielobjekt: jene, die vorgaben, stark zu sein, es aber nicht sind.
Das, was die Berliner Politik und ihr Anhang treiben, ist ein riskantes Spiel. Dass sie die ökonomische Zukunft des Landes für ein paar Streicheleinheiten aus Washington riskieren, ist das eine. Dass sie sich auf Angst und Verfolgungsmaßnahmen stützen, ist das andere. In Kombination mit einer Verwaltung, die zwar gut ist im Erlassen von Verboten, aber mehr als schwach im Lösen von Problemen, und mit einer Lage, die viele in ganz konkrete materielle Nöte stürzen wird, ist das eine explosive Mischung.
Man wünscht sich, dass sie mit ihrer Verschwörungstheorie recht hätten, die hinter jedem berechtigten Unmut einen bösen Feind mit einem Plan wittert. Dann gäbe es zumindest eine Perspektive, wenn diese toxische Mischung explodiert. Leider ist es in Wirklichkeit aber so, dass niemand da sein wird, der aus dem Chaos, das aus diesem Unfug resultiert, wieder eine lebensfähige Ordnung machen kann. Und auch wenn jetzt noch möglich wäre, etwa durch Aufhebung der Sanktionen und ein Ende dieser paranoiden Politik, das drohende Unheil abzuwenden und das Land auf ein halbwegs normales Gleis zurückzulenken – es ist niemand in Sicht, der den Verstand und das Rückgrat besitzt, das zu tun.
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