von Anton Gentzen
Ostalgie-Produkte sind seit vielen Jahren Verkaufsschlager in Ostdeutschland. Nachdem die früheren DDR-Bürger ihren Konsumhunger nach zuvor unzugänglichen Marken gestillt hatten, setzte eine Rückbesinnung auf Bewährtes und Altbekanntes ein. So manches erlangte gar Kultstatus.
Gestört hat es bislang niemanden, doch je größer der zeitliche Abstand zur DDR wird, desto abstrusere Formen nimmt ihre Bekämpfung an: Von irgend etwas müssen die professionellen "Geschichtsaufarbeiter" ja leben.
Bundesstiftung mit Selbsterhaltungstrieb
Die "Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur" ist so ein bürokratischer Organismus, dessen Existenzberechtigung man mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung hinterfragen muss. Die DDR hat vierzig Jahre existiert, dreißig Jahre wird sie nun schon "aufgearbeitet", noch ein paar Jahre und die "Aufarbeitung" wird länger gedauert haben als die Existenz.
Mittlerweile nähert sich eine Generation dem Rentenalter, die 1989 zu jung war um "Täter" gewesen zu sein. Und auch das "erlittene Unrecht", dessen sich Möchtegern-"Opfer" rühmen, wird immer infantiler: Beim kollektiven Töpfchensitzen im Kindergarten sind wir da schon angekommen. Von Leuten, die heute zwischen dreißig und vierzig sind, zu hören, sie hätten "40 Jahre unter der SED gelitten", ist ohnehin lächerlich.
Doch hinter solch einer bürokratischen Struktur wie der "Bundesstiftung" stehen konkrete Interessen konkreter Personen. Beamte und Angestellte, "Experten" und "Berater", die weiter Monat für Monat üppige Gehälter und Besoldungen, Aufwandsentschädigungen und Spesen kassieren und in den bequemen Sesseln in der Berliner Kronenstraße alt werden wollen. Ohne irgendwas Neues lernen zu müssen. Und im Fall der "Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur" ist das gegenwärtige Bürokraten-Dasein besonders bequem: Man bekommt dort Geld, seien wir ehrlich, im Grunde fürs Nichtstun.
Jede bürokratische Neugründung entwickelt rasch ein Eigenleben. Und einen Selbsterhaltungstrieb. Das Beispiel NATO zeigt: Man wird sie nie mehr los. Je nach eigenen Möglichkeiten, sind diejenigen, die sich auf den diversen Stufen der Karriereleiter in der jeweiligen Struktur befinden, zu allem bereit, nur um ihre Büros und Gehälter in alle Ewigkeit zu erhalten. Selbst vor der Vernichtung der Menschheit würden sie nicht zurückschrecken, um "ihren" Futtertrog vor Reform und gar Abschaffung zu bewahren.
Die Möglichkeiten der "Bundesstiftung" sind da zum Glück etwas bescheidener. Sie kann nur Wind machen.
Suppendosen mit Staatssymbolen
Die Handelskette Rewe wollte die Ostalgie-Welle reiten und ließ sich etwas Besonderes einfallen. Man bietet den Kunden dort aktuell nicht einfach nur Feldsuppe und Soljanka, sondern "NVA-Feldsuppe" und "Schulküchen-Soljanka" an. Und nicht nur das: Damit kein Ostalgiker sie in den Regalen übersieht, ziert die Suppendosen bei Rewe das DDR-Wappen. So ganz stilecht ist dies nicht, denn in den DDR-Kaufhallen waren weder Suppen noch Schokolade mit Staatswappen versehen. Auch Alkohol, Zigaretten, Wurstverpackungen und Speisequark kamen ganz ohne Staatssymbole über die Ladentheke.
Wohl zufällig, zumindest hat es so der Berliner Tagesspiegel in Erfahrung gebracht, stieß nun die besagte um die Rechtfertigung ihrer Weiterexistenz ringende "Bundesstiftung" auf das Rewe-Angebot. Und witterte das Bürokratenleben rettende, "öffentlichkeitswirksame" Schlagzeilen:
"Vor wenigen Tagen entdeckten Mitarbeitende der Stiftung gleich drei Produkte mit diesem Hintergrund in einem Rewe-Markt am Ostbahnhof in Friedrichshain. Wie sich das mit dem Firmen-Leitbild einer besonderen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft vertrage, wollte daraufhin die Direktorin der Stiftung, Anna Kaminsky, von der Kölner Konzernleitung wissen."
Die Antwort der Rewe-Region Ost - nachdem der Rewe-Konzern die Bürokraten der Bundesstiftung zur Gaudi aller Interessierten etwas in dem eigenen bürokratischen Zuständigkeitsgewirr strampeln ließ - laut Tagesspiegel: Die Märkte listeten solche Produkte "auf Wunsch der Kundschaft". "Verpackung und Produktaufmachung" lägen "im Verantwortungsbereich des Inverkehrbringers". Die Bundesstiftung möge sich daher an die Lieferanten wenden oder gleich an die Justiz, wenn sie einen Rechtsverstoß in den Produkten sehe.
Dem Tagesspiegel gegenüber bestätigte Rewe-Sprecher Thomas Bonrath den Sachverhalt im Wesentlichen. Man habe die Stiftung darauf hingewiesen, dass Rewe-Märkte in Berlin und den östlichen Bundesländern verschiedene Produkte "der Lieferanten MHV GmbH und Kelles Klädener Suppenmanufaktur GmbH" als optionale, regionale Sortimentsbausteine führten. Zudem seien die genannten Konserven auch bei Wettbewerbern erhältlich. Der Rewe-Sprecher laut Tagesspiegel:
"Vor der Mail der Bundesstiftung haben uns zu den Produkten auch noch nie kritische Stimmen erreicht."
DDR vs. "Bestes Deutschland aller Zeiten"
In sozialen Netzwerken sind die Stimmen dann auch tendenziell eher ostalgisch. So veranlasste die absurde Beanstandung der "Bundesstiftung" den in der DDR geborenen Autor und Kommunikationsexperten Markus Gelau gar zu einem längeren Text über den Stellenwert der Schulspeisung in der DDR und den für das heutige Deutschland ganz und gar nicht schmeichelhaften Vergleich zu heute:
"Im Jahr 1989 bekamen ganz offiziell über 85 Prozent aller Schüler in der DDR täglich ein warmes Mittagessen. Das bestand aus Hauptspeise mit Nachschlag, Dessert oder Obst und Milch. Und: Das war übrigens fast gratis."
Den Wechsel in den Westen hat Gelau da als Schockerlebnis in Erinnerung:
"Als ich als DDR-Knirps 1993 im Kraichgau landete, hat mich tatsächlich vieles geschockt: Das Frauenbild in den Familien meiner Klassenkameraden (...), der fehlende Breitensport (die erste und einzige frage, die mir als Leichtathlet und Kreismeister anfangs gestellt wurde, war "kannscht bolze?"), der Wert von Markenkleidung, das massive Gefälle zwischen Arm und Reich. Und auch das Gymnasium, das ich besuchen musste, schien mir aus einer anderen Zeit gefallen. Neben vielen Dingen fehlte mir vor allem: die Schulspeisung. Die "Versorgung" der ca. 700 Schüler dieser Schule bestand aus einem 4qm-Kiosk, den der Hausmeister in den großen Pausen öffnete. Dort verkaufte er Coca Cola, Nussecken und belegte Brötchen für stolze Preise, die sich kein Arbeiterkind leisten konnte. So etwas wie "Schulspeisung" war den schätzungsweise über 1.500 Schülern, die täglich aus allen Dörfern in meine Kraichgau-Kleinstadt und nachmittags hungrig wieder zurück gondelten, völlig fremd."
Der Text von Gelau streift noch zahlreiche andere Themen, in denen die DDR einfach besser war, und gipfelt in einem flammenden Appell an andere Ostdeutsche, sich "unsere Kultur, unsere Biografie, unsere eigene Geschichte" nicht nehmen zu lassen und nicht "einer völlig irren politischen Cancel Culture zu opfern".
Der Reitschuster, Boris...
Ein westdeutscher Journalist, Russlandhasser und Teil des antirussischen Propagandakartells der Mainstreammedien, ist einer der wenigen, die in sozialen Netzwerken Rewe für die Ostalgie-Produkte angriffen. Und das wird nur diejenigen wundern, die seine kritische Corona-Berichterstattung als Wendung vom Saulus zu Paulus missverstanden und dachten, er werde nun auch andere westdeutsche Propaganda-Narrative kritisch hinterfragen. Boris Reitschuster ist gemeint.
Auf seinem Twitter schrieb Reitschuster:
"Offen für Linksaußen: Hammer und Zirkel bei Rewe. Von Soljanka bis Jagdwurst kann man bei dem Handelsriesen jetzt Konserven mit Hammer und Zirkel kaufen. Dass sich SED-Opfer beklagen versteht man in der sonst so woken Konzernzentrale nicht."
Es reicht eben für kritisches Denken nur bei einem Thema. Vielleicht verrät uns Reitschuster wenigstens, wo er in der "Bundesstiftung" "SED-Opfer" gesehen hat.
Sachsen-Anhalts Wäldern fehlen Harvester
Nicht immer ist es westdeutsche Arroganz. Die Direktorin der "Bundesstiftung", Anna Kaminsky, ist DDR-Kind und Jahrgang 1962, war somit zur "Wende" 27 Jahre alt. Als SED-Opfer taugt sie schon mal gar nicht: Sie hat in der DDR studieren dürfen, Romanistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, bekam eine Promotionsstelle. Man muss und sollte der Philologin nicht abnehmen, dass sie alles, was sie nun beruflich schreibt und sagt, ehrlich meint. Dazu steht das Geschriebene und das Gesagte doch zu sehr im Widerspruch zu den Realitäten der DDR. Sieben Jahre hat sie noch bis zur Rente und da werden wir noch so manches Theaterstück erleben, das sie uns aufführt.
Besser wäre es allerdings, wenn man sie und ihre "Mitarbeitenden" sofort nützlicher Arbeit, zum Beispiel in den Wäldern Sachsen-Anhalts, wo derzeit finnische Subunternehmer das Baumfällen übernehmen müssen, zuführt. Um es in Abwandlung einer bekannten Forderung aus dem Herbst 1989 zu formulieren:
"Bundesstiftung in die Produktion!"
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