Von Anton Gentzen
Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) überraschte die Hörer seines Nachrichtenradios mdr aktuell letzte Woche mit einem Beitrag, der tief in die Zustände in der sächsischen Provinz blicken lässt. Der Beitrag "Bewusst verwilderte Hochbeete in Leipzig. Ist das Gartenkunst oder sollte das besser wieder weg?" ist noch bis zum kommenden Mittwoch in der Audiothek des Senders nachzuhören.
So beschreibt die Reporterin Sylvia Stadler den Anblick, der sich Leipzigern und ihren Gästen fast im Zentrum der Stadt derzeit bietet:
"Rosenstöcke, die in den Hochbeeten gegenüber dem Bayerischen Bahnhof überlebt haben, sind überwuchert von Wilder Möhre und Gemeiner Wegwarte und zum Teil auch nur von vertrocknetem Gras."
Wir überprüften die Informationen des Senders und suchten am Freitag den Bayrischen Platz in Leipzig auf. Und ja, es ist ein unschöner Anblick, den der Platz und die Hochbeete derzeit bieten. Gut, Schönheit ist Ansichtssache, der Leser mag es selbst anhand der nachfolgenden Aufnahmen beurteilen.
Die Reporterin befragt die Stadtverwaltung. Hier deren Antwort:
"Die Beete werden von einem Gartenkünstler betreut, teilt die Stadt auf Nachfrage mit. Der habe 2013 erstmals eine Wildblumenmischung gesät."
Wie der MDR herausfand, ist es aber auch kein (schräges) Schönheitsverständnis, das die Verantwortlichen der Stadt bewog, inmitten der Stadt kasachische Steppen nachzuahmen. Der Grund ist banal: Geldmangel. Rosenstöcke sind "zu kostspielig" in der Anschaffung und "zu anspruchsvoll" in der Pflege. Darum beschloss das Grünflächenamt, die noch zu DDR-Zeiten angelegten Rosenbeete zu einem "ökologischen Naturblumenbeet" umzufunktionieren.
Angeblich sollen "naturbelassene" Beete Bienen anlocken. In den 40 Minuten, die wir zum Fotografieren vor Ort waren, konnten wir dort jedoch keine einzige Biene oder Hummel feststellen.
Das Ganze nennt sich im Beamtendeutsch: "Aufwertung". Die Stadt schreibt in einer schriftlichen Antwort an den MDR:
"Die Aufwertung der Rosenbeete sollte mit sehr kleinem Budget erfolgen und gleichzeitig einen besonderen ökologischen Wert mit sich bringen."
Den "Gartenkünstler" hat der MDR auch befragt. Dieser erklärte dem Sender, Teil seines Experiments sei es, nicht zu wässern. Er säe im Frühjahr, schneide auch mal die Rosenstöcke. Mehr nicht.
Viele Rosenstöcke, berichtet der "Gartenkünstler", seien bereits infolge von Alterserscheinungen eingegangen, und der Ersatz sei zu teuer. Die Stadt konnte sich neue Rosen nicht leisten, sagt er dem MDR, und dann habe er die Untersaat mit "dieser Leipziger Mischung" vorgeschlagen. "Und seitdem machen wir das auch in dieser experimentellen Weise."
Dabei waren die Leipziger stets gepflegte und bunt bepflanzte Blumenbeete in ihrer Stadt gewohnt. In der DDR mag manches Mangelware gewesen sein, die Grünflächen in der Messestadt aber waren nicht nur in der Innenstadt gepflegt und aufwendig. Der Preis der Blumen spielte damals kaum eine Rolle.
Hier der heute längst zugebaute Sachsenplatz in seiner Blumenpracht Mitte der Achtzigerjahre:
Wie viel die Stadt für die "Gartenkunst" zahlt, wollte sie dem MDR wohl auch auf ausdrückliche Nachfrage nicht verraten. Fest steht aber, dass das "Experiment" demnächst ausgeweitet wird. Nun soll es Blumenbeete auch im Leipziger Stadtteil Schönefeld treffen.
So, wie Leipzig heute aussieht, nicht nur bei Blumenbeeten, fragt man sich als Alteingesessener tatsächlich: "Ist das noch Kunst, oder sollte es lieber schnellstens weg?" Das kommt davon, wenn die Provinz das Rathaus erobert.
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