von Dagmar Henn
Es geht gar nicht um die Ukraine. Das ist bezogen auf die geopolitische Lage bereits klar, aber es gilt ganz besonders für Frankreich. Und wenn der französische Präsident Emanuel Macron darüber empört ist, dass sich die Vertreter afrikanischer Staaten mit Lawrow treffen, dann hat das einen ganz handfesten ökonomischen Hintergrund.
Die ehemaligen französischen Kolonien sind nämlich bei Weitem nicht so ehemalig, wie es aussieht, sondern durch den Pacte Colonial (Kolonialvertrag) und den CFA-Franc bis heute an Frankreich gebunden, oder vielmehr, an Frankreich gekettet.
Dass der CFA-Franc, die an den Euro gebundene Währung, die diese Länder nach diesem Vertrag aus dem Jahr 1960 beibehalten müssen, für afrikanische Länder nicht günstig ist, ist schnell zu erkennen. Sie haben unter diesen Bedingungen schlicht keine Möglichkeit, ihre Produkte abzusetzen – außer in Frankreich, natürlich. Auch wenn sie dort immer noch teuer sind.
Aber der Kolonialpakt geht weiter. Die Länder sind verpflichtet, mindestens 65 Prozent ihrer Devisenreserven bei der Bank von Frankreich zu halten, die dieses Geld anlegen kann, wie sie will, ohne dafür rechenschaftspflichtig zu sein. Wollen die Länder darauf zugreifen, brauchen sie die Zustimmung der französischen Zentralbank. Eine eigenständige Geldpolitik ist damit unmöglich. Außerdem fließen 80 Prozent der Staatseinnahmen nach Frankreich (weil die Kolonialherren so viel Infrastruktur hinterlassen haben), und Kreditaufnahmen sind nur bis zur Höhe von 20 Prozent der Einnahmen des Vorjahres gestattet.
Das französische Militär darf Truppen stationieren, Frankreich hat das Recht, strategische Rohstoffe auszubeuten; mehr noch, Frankreich erklärt den Ländern einfach, was es haben will. Importe müssen vor allem aus Frankreich erfolgen. Raum für eine eigenständige Politik bleibt damit nicht mehr.
Kein Wunder, dass die ehemaligen französischen Kolonien zu den ärmsten Ländern der Welt zählen. Bis heute stellt das System aus CFA-Franc und Kolonialpakt sicher, dass eventuelle Überschüsse in Frankreich landen und nicht im Land verbleiben.
Diese Scheinunabhängigkeit hat inzwischen 60 Jahre gehalten. Auf französischer Seite wird dieser Zustand von einer Gruppe gesteuert, die "afrikanische Zelle" heißt und unmittelbar beim französischen Präsidenten angesiedelt ist. Selbst das französische Parlament hat keinen Einfluss auf die Afrikapolitik Frankreichs. Weshalb sowohl der Kolonialpakt selbst als auch die Höhe der daraus gezogenen Erträge vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben.
Vor nicht allzu langer Zeit mussten die französischen Truppen aus Mali abziehen, auch eines der Länder im CFA-System. Sie waren unter anderem deshalb in Mali, weil dort das Uran für die französischen Kernkraftwerke gefördert wird, das, wie es der Kolonialpakt vorsieht, als strategische Ressource dem französischen Anspruch verfällt und unter Weltmarktpreis beschafft werden kann. Wenn man sieht, dass heute von 56 französischen Anlagen nur die Hälfte in Betrieb ist, könnte man sich fragen, ob sich dahinter nicht ein Mangel an Brennstoff verbirgt, der durch die Probleme in Mali ausgelöst wurde.
Wenn sich nun die Regierungschefs frankophoner afrikanischer Länder mit Lawrow treffen und den französischen Anweisungen, sich auf die Seite des Westens zu stellen, nicht folgen, dann mag das in einem französischen Präsidenten, der fast als Einziger weiß, wie wichtig die Ausbeute des Kolonialpakts für die Ökonomie seines Landes ist, Panik auslösen. Denn was, wenn diese vierzehn Länder in West- und Zentralafrika auf die Idee kämen, sich für wirklich unabhängig zu erklären? Die Rohstoffvorkommen zu verstaatlichen und auf dem Weltmarkt zu verkaufen?
Anzeichen dafür, dass das Verhältnis zwischen dem Westen und dem, was Pepe Escobar den "globalen Süden" nennt, gerade im Umbruch ist, gab es in letzter Zeit mehr als genug. Die freundliche Begrüßung für den russischen Außenminister ist da nur eines der kleineren. Die Furcht Macrons, dass der Kolonialpakt brechen könnte, ist berechtigt, weil die gesamten kolonialen Verhältnisse gerade zusammenbrechen. Wenn sich vierzehn afrikanische Länder vom CFA-Franc befreien, wird das Frankreich wirtschaftlich schwächen und den Euro gleich mit. Aber vierzehn Länder und über hundert Millionen Afrikaner können sich endlich auf den Weg aus der Armut machen.
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