von Elem Raznochintsky
Das ganze Theater über die an Russland gerichteten Sanktionspakete bricht langsam ein. Das jüngste, siebte Paket ist gefüllt mit Brüsseler Lippenbekenntnissen und lauwarmer Luft.
Existenzielle Probleme in der Energieversorgung der EU und Deutschlands kündigen sich nun auch für den bisher von kognitiver Flüchtigkeit gezeichneten Laien klar und deutlich an. Nicht zuletzt, weil die gewählten Volksvertreter mittlerweile offen eingestehen, was die Nationen der EU in wenigen Monaten hoher Wahrscheinlichkeit nach an dramatischen Defiziten und Mängeln erwartet.
Die Rede ist sogar davon, ob die Deutschen sich für Aufstand, oder dann doch nochmal für passive Unterwerfung entscheiden werden. Spekulationen, die von den jüngsten Aussagen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock zugespitzt wurden. Mit der dreisten Hoffnung auf Letzteres pokert die "Berliner Ampel" ausgesprochen hoch. Und dieser trotzig hohe Einsatz erscheint noch viel törichter, wenn man bedenkt, was im Hintergrund passiert. Dazu sofort mehr.
Die Italiener jedenfalls sind diesbezüglich zivilisatorisch schon weiter, wenn man die jüngsten Revolten und den dortigen Unmut innerhalb der Bevölkerung betrachtet. Die Ungarn haben es gar nicht erst so weit kommen lassen. Die Polen hingegen sind mit ihrem vom Stockholm-Syndrom getriebenen Amerikanismus und ihrer von irrationaler Russophobie verseuchten Ratio noch ein besonderer, politischer Pflegefall.
Pragmatischer, monetärer Hintergrund: Was passiert mit den US-Staatsanleihen?
Während sich die Teilnehmer des jetzigen Rattenrennens in Politik und Medien gegenseitig ankeifen, gibt es im Hintergrund tüchtige Eichhörnchen, die ihre Nüsse bereits klug umverlegen: Allem empirischen Anschein nach entledigt man sich im Ausland der US-Staatsanleihen in präzedenzlosem Tempo, nie dagewesener Frequenz und unerhörtem Umfang. Darunter auch stolze und vermeintlich überzeugte US-Partner, wie Japan und einige EU-Länder. Diese "Staatsanleihen" können auch als Schuldverschreibungen des US-Staates bezeichnet werden.
Durch den Kauf einer US-Staatsanleihe haben diese Länder den USA für einen festgelegten Zeitraum langfristig Geld geliehen. Über viele Jahrzehnte hinweg galt der Ankauf von US-Staatsanleihen als attraktive Investitionsmöglichkeit für Regierungen auf der ganzen Welt. Dafür, dass diese Nationen de facto die Staatsverschuldung der USA für vertraglich festgelegte Zeiträume auf sich nahmen, wurden sie wiederum mit regelmäßigen Zinsen aus Washington vergütet. Von diesen Nationen waren am prominentesten Japan und China beteiligt – ohnehin bekannt als historisch größte US-Staatsanleihen-Inhaber.
Wenn man den Angaben des US-amerikanischen Finanzministeriums für den Zeitraum vom 28. Februar 2022 bis 31. Mai 2022 Glauben schenkt, sind beide Länder damit beschäftigt gewesen, US-Staatsanleihen im Wert von jeweils 93,5 Milliarden und 74 Milliarden US-Dollar zu verkaufen. Die EU-Länder kommen gebündelt auf 51,7 Milliarden US-Dollar. Insgesamt wurden auf der Welt US-Anleihen im Wert von knapp 300 Milliarden US-Dollar verkauft. Das übersteigt die Verkäufe im Mai 2020 (247 Milliarden US-Dollar) und November 2016 (240 Milliarden US-Dollar). In den Vorjahren waren die Gründe dafür aber ganz andere: Im Jahr 2020 versuchten die Regierungen, Haushaltsdefizite zu kompensieren, die von der Coronakrise verursacht wurden. Und 2016 verließ westliches Kapital die Entwicklungsländer, und Nationen wie China mussten aus der Not heraus auf den Verkauf von US-Staatsanleihen zurückgreifen. Das Phänomen im Jahr 2022 aber ist in dem Sinne besonders: Die Hauptgründe sind diesmal weder eigene abzufedernde Haushaltsdefizite noch der Kampf mit westlicher Kapitalflucht. Im Gegenteil, die Verkäufe finden proaktiv und freiwillig auf westlichen Märkten statt.
Ein weiteres wichtiges Detail
Inhaber von US-Staatsanleihen sind tatsächlich berechtigt, diese vor Ende der vertraglichen Laufzeit wieder zu verkaufen. So bekommen sie zwar ihr Geld zurück, aber halt zu dem aktuell herrschenden, weltweiten Kurs. In der jetzigen, inflationsgeplagten Lage der Weltwirtschaft liegt dieser Kurs mit großer Sicherheit unter dem Wert, der herrschte, als die US-Staatsanleihen erstmals von dem jeweiligen Land akquiriert wurden.
Und dennoch fanden und finden diese Verkäufe jetzt statt! Man nimmt also einen relativ hohen, aber erträglichen Verlust in Kauf, um einem noch viel höheren, desaströseren in der nicht allzu weit entfernten Zukunft zu entgehen.
In dem Zeitraum seit Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine fanden sich bestimmt noch andere Drittländer, die dankend und naiv diese US-Staatsanleihen von Japan, China und Konsorten übernahmen. Aber diese Liste muss notgedrungen kürzer und kürzer werden. Irgendwann werden diese Anleihen mit Wucht an die Quelle zurückgeführt werden: das Finanzministerium der Vereinigten Staaten von Amerika, mit Sitz in Washington D.C.
Boom!
Wenn man es nochmal mit einer Metapher illustriert sehen möchte: Die US-Staatsanleihen werden in rasanter Geschwindigkeit in "heiße Kohlen" oder "monetäre Zeitbomben" verwandelt, die mit wachsender Frequenz und dabei fallendem Wert auf dem weltweiten Markt hin und her geworfen werden. Die ersten Hände, die sich daran wohl verbrennen – oder in die Luft gejagt werden –, folgen schon sehr bald. Wie bei dem Spiel "Reise nach Jerusalem" wird es am Ende eine kleine Gruppe von bedauernswerten Ländern geben, die mit den vollkommen wertlos gewordenen US-Staatsanleihen zurückbleiben, und die Konsequenzen werden tragen müssen.
Wie man es auch mit der allerbesten Propaganda dreht und wendet, diese Prozesse sind ziemlich aussagekräftig für ein rasant fallendes institutionelles Vertrauen in den US-Dollar als historische Weltreserve-Währung. Diese Vorgänge werden zu einer weiter bröckelnden US-Währung führen. Dass bei all dem der Euro sogar im globalen Marktvergleich gegenüber dem US-Dollar noch stärker an Wert verliert, deutet auf noch größere Inkompetenz oder böswillige Vorsätzlichkeit innerhalb der EZB – mit Christine Lagarde an der Spitze – hin.
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