von Pierre Levy
Die globalisierten europäischen Eliten hatten es nicht geschafft, Sparmaßnahmen über Einschränkungen bei fossilen Brennstoffen im Namen der Ideologie der angekündigten Klimakatastrophe durchzusetzen; sie hoffen immer noch, die "Sparsamkeit" im Namen der Notwendigkeit, "Russland zu bestrafen", rechtfertigen zu können. Russland bestrafen? Das erinnert immer mehr an das bekannte Sprichwort: "Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein".
Schon lange vor dem Krieg in der Ukraine hatten viele europäische Regierungen das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 im Visier, das geplant war, um den derzeitigen Transport russischen Gases durch die Ostsee nach Deutschland zu verdoppeln. Die Inbetriebnahme wurde im Zuge des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine unter massivem Druck Washingtons verhindert, das von Anfang an ein Feind der Pipeline war, und zwar sowohl aus strategischen Gründen (im Wesentlichen, um jegliche Verbindung zwischen Deutschland und Russland zu unterbrechen) als auch aus kommerziellen Gründen (um amerikanisches Gas an den alten Kontinent zu verkaufen).
Als der Krieg im Februar ausbrach, wetteiferten die EU und die USA darum, ihre Hilfe für Kiew zu beschleunigen. Die Waffenlieferungen stiegen ins Unermessliche und die EU-27 hat seit Anfang März nicht weniger als sechs aufeinanderfolgende Sanktionspakete geschnürt. Im Mittelpunkt dieser Vergeltungsmaßnahmen: die Einschränkung oder gar Einstellung von fossilen Brennstofflieferungen aus Russland. Zunächst wurde ein Kohleboykott beschlossen. Dann ging es im sechsten Paket darum, die Öleinfuhren zu unterbinden. Nicht ohne Schwierigkeiten: Der Europäische Rat brachte am 30. und 31. Mai die Streitigkeiten zwischen den 27 Mitgliedsstaaten in dieser Frage ans Licht. Insbesondere Ungarn setzte durch, dass es weiterhin auf Öl aus Moskau zählen darf; auch seinen Nachbarn wurden Ausnahmen gewährt.
Bis zum Ende des Frühjahrs bestanden die aggressivsten Mitgliedsstaaten (Polen, die baltischen Staaten u. a.) sogar darauf, immer weiter zu gehen und russisches Gas zu verbieten. Doch Wladimir Putin trat diesen Bestrebungen entgegen. Bei jedem weiteren europäischen Schritt, der die EU de facto zum Mitakteur des Konflikts machte, ergriff Moskau Gegenmaßnahmen.
Bereits am 27. April stellte der russische Gaslieferant Gazprom seine Lieferungen an Polen und Bulgarien ein. Am 21. Mai wurde Finnland - neuer NATO-Kandidat - der Hahn zugedreht. Zehn Tage später versiegten die Ströme in die Niederlande und nach Dänemark. Brüssel gab vor, empört zu sein, dass Moskau "Energie als Waffe einsetzt". Genau das, was die EU seit März selbst tut ...
Im Juni waren auch Frankreich, Italien und Deutschland sowie anschließend die Slowakei, Tschechien und Österreich betroffen. Für Frankreich machte das russische Gas nur 17 Prozent der gesamten Importe aus. Für Italien lag diese Quote hingegen bei 40 Prozent. Deutschland war zu Beginn des Jahres zu 55 Prozent von russischem Gas abhängig. Dieser Wert ist mittlerweile auf 35 Prozent gesunken und Berlin arbeitet daran, ihn durch Rationierung und Finanzierung von gasintensiven Industrien weiter zu senken. Ein deutscher Hausbesitzerverband empfahl für diesen Winter, die Heizung nachts auf maximal 16 Grad und tagsüber auf 18 Grad zu stellen. Die Kampagne für "Sparsamkeit" ist in vollem Gange und wird durch Öko-Argumente ergänzt.
Nur, dass der deutsche Vizekanzler, der für Wirtschaft und Klima zuständig ist, angekündigt hat, Kohlekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, um Gas zu sparen, damit dieses für diesen Winter gespeichert werden kann, passt nicht zu dieser Argumentation.
Würde Moskau den Gashahn ganz zudrehen, so würde die russische Wirtschaft, die zwar durch die europäischen Strafen erschüttert und geschwächt ist, nicht zusammenbrechen, zumal die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung trotz des geringeren Volumens aufgrund der hohen Preise nicht sinken. Darüber hinaus richtet Russland seine Absatzmärkte außerhalb der westlichen Länder neu aus.
Andererseits könnten die Volkswirtschaften der EU, die zwischen rationierten fossilen Brennstoffen und steigenden Preisen eingeklemmt sind und bereits durch die Post-COVID-Phase unter Spannung stehen, ernsthaft abrutschen. Vor allem Deutschland könnte eine spektakuläre Talfahrt erleben, mit den entsprechenden Auswirkungen auf andere Staaten.
Bereits im Frühjahr plädierte Brüssel dafür, den Verbrauch zu senken und nach alternativen Lieferanten zu suchen, darunter die USA, aber auch Katar - eine Perspektive, die in jedem Fall physisch begrenzt ist. "Wir sind lieber von mehreren Diktatoren am Golf abhängig als von einem in Russland", sagte ein deutscher Politiker vor einiger Zeit. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihrerseits inszenierte am 18. Juli ihre Unterzeichnung eines Abkommens mit Aserbaidschan, einem Land, dessen diktatorisches Regime Brüssel einst geißelte.
In der Brüsseler Ankündigung vom 20. Juli wurde als Ziel vorgeschlagen, den Gasverbrauch zwischen August 2022 und März 2023 um 15 Prozent zu senken. Zusammen mit anderen Maßnahmen könnte dies dazu beitragen, den Winter zu überstehen ... wenn dieser mild ausfällt (es lebe die Erderwärmung!). In der ersten Phase wäre die Senkung freiwillig. Danach würde sie im Bedarfsfall verhängt werden.
Schon an dem Tag, an dem die Ankündigung gemacht wurde, erklärte Spanien seinen Widerstand gegen diese Perspektive, und bald darauf folgten Portugal, Griechenland und Polen. Dies verspricht sehr ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsstaaten in naher Zukunft. Das gilt umso mehr, als einige Hauptstädte Berlin für dessen jahrzehntelangen energiepolitischen Verbindungen zu Moskau zur Rechenschaft ziehen könnten.
Vor allem aber geben viele Eurokraten zu, dass sie nun befürchten, dass die angebliche "europäische Solidarität" untergraben werden könnte, ähnlich wie beim Wettbewerb, der unlängst beim Wettlauf um Impfstoffe oder Masken tobte – nur zehnmal schlimmer, da Energie eine Frage von Leben und Tod ist.
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