von Dagmar Henn
Am Rande des Treffens der G20-Außenminister in Indonesien gab es ein längeres Gespräch zwischen US-Außenminister Antony Blinken und dem chinesischen Außenminister Wang Yi. Es dauerte fünf Stunden; die Global Times berechnete daraus, unter Einbeziehung der Übersetzungen, einen realen Dialog von drei Stunden, ein vergleichsweise langes Gespräch also.
Es gibt bisher keine offizielle Zusammenfassung dieses Gesprächs von chinesischer Seite, aber es gibt eine offizielle Übersetzung der Rede Wang Yis auf dem G20-Treffen; werfen wir also zuerst einen Blick auf einige grundsätzliche Stellen aus dieser Rede.
"Auf der Welt gibt es nur ein internationales System mit den Vereinten Nationen in seiner Mitte. Es gibt nur eine internationale Ordnung, d.h. die internationale Ordnung, die vom Völkerrecht gestützt wird. Anderen Regeln aufzuzwingen, die von einem bestimmten Land oder einer Gruppe gemacht werden, ist das Gegenteil von Multilateralismus."
Es ist klar, worauf sich diese Aussage bezieht, auf die "regelbasierte Weltordnung", mit der die USA und ihre Komplizen das Völkerrecht ersetzen wollen. Die Position Chinas zu diesen Versuchen ist klar und wurde von Wang Yi nur ein weiteres Mal bestätigt. Er kommentierte auch die Bestrebungen des westlichen Blocks, eine pazifische Allianz gegen China zu schmieden: "Versuche eines gewissen Landes, seine eigene Sicherheit über die anderer zu stellen, militärische Blöcke zu stärken, einen ideologischen Eisernen Vorhang zu schaffen oder gar zu drohen, die Umgebung anderer nach den eigenen Maßstäben zu formen, wird nur Konflikt und Konfrontation schaffen und die internationale Gemeinschaft spalten."
Dann kommentierte er die US-amerikanische Handelspolitik: "Wirtschaftspolitik, die auf der Verarmung des Nachbarn beruht, die einen kleinen Hof mit hohen Zäunen errichtet, und die Schaffung geschlossener und ausschließender kleiner Zirkel, das alles widerspricht der Tendenz der Zeit. Jene, die versuchen, andere zu isolieren, werden sich selbst isolieren."
Und zuletzt noch ein kleiner Pfeil gegen die US-Notenbank: "Wirtschaften, die wichtigere Reservewährungen herausgeben, sollten angemessen ihrer Verantwortung nachkommen, negative Folgewirkungen ihrer Geldpolitik andernorts zu verhindern." Aus dem Diplomatischen übersetzt heißt das, China sieht die augenblickliche globale Inflation als Folge der US-Gelddruckerei. Wenn man betrachtet, welche Folgen diese Inflation zeitigt, durchaus ein scharfer Vorwurf.
Aber diese Rede war nur die Wiedergabe des offiziellen chinesischen Standpunkts, der übrigens auch bezogen auf die NATO eindeutig ist. So erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, auf der Pressekonferenz des Ministeriums am 08.07. deutlich: "Die NATO ist als Kriegsmaschine bekannt. Die Geschichte der NATO ist voller geschaffener Konflikte und Kriege. (...) Die NATO muss ihr kriegerisches Verhalten aufgeben und aufhören, in Europa, Asien und dem Pazifik und der Welt Unruhe zu stiften."
Was ist nun in dem Gespräch zwischen Wang und Blinken geschehen? Bisher gibt es darüber nur die Berichterstattung der Global Times. Diese Zeitung, die im Verlag der Parteizeitung der KPCh erscheint, ist oft das Sprachrohr, über das Aussagen in ein für westliche Ohren verständliches Format übersetzt werden – etwas lauter und deutlicher, als es aus dem diplomatischen Apparat zu hören ist.
"Während des Treffens wies Wang darauf hin, dass die USA unter schwerer Sinophobie litten und dass die China-Politik der USA, wenn sich an dieser Lage nichts änderte, in einer Sackgasse enden würde. Er stellte ebenfalls fest, dass die USA ihren gemachten Zusagen auf vielen Feldern nicht nachgekommen seien.
Wang betonte, dass der beste Weg, um den chinesisch-amerikanischen Beziehungen aus ihrer momentanen Not herauszuhelfen, darin bestünde, die Übereinkunft, die die beiden Staatschefs getroffen hätten, umzusetzen und dass die USA die Zusagen von US-Präsident Joe Biden konkret erfüllen müssten, einschließlich der Zusage, keinen neuen Kalten Krieg mit China anzustreben; nicht darauf abzuzielen, Chinas System zu ändern; mit der Wiederbelebung ihrer Bündnisse nicht gegen China zu zielen; die "Unabhängigkeit Taiwans" nicht zu unterstützen, und keinen Konflikt mit China anzustreben."
Bei diesen Zusagen bezieht er sich auf ein Videogespräch zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi und US-Präsident Biden im November 2021. Nun wissen wir alle, dass schöne Reden gestern und gegenteilige Handlungen heute für westliche Politik typisch sind; alle Handlungen der USA seither deuten darauf hin, dass diese Zusagen nie ernst gemeint waren. Aber Wang Yi meint seine Aussagen ernst.
Mehr noch: "Am Samstag überreichte Wang den USA vier Listen – eine Liste, wo die USA ihre falschen auf China bezogenen politischen Maßnahmen, Aussagen und Handlungen korrigieren sollten, eine, die Chinas entscheidende Bedenken in wichtigen Fragen benennt, eine bezogen auf US-Gesetze mit China-Bezug und eine weitere, die mögliche Gebiete der Zusammenarbeit in acht verschiedenen Feldern benennt, in der Hoffnung, dass die USA diese Themen ernst nehmen mögen."
Die Global Times zitiert zur Bewertung dieses Austauschs einen Forscher von der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften in Peking, Lü Xiang, mit den Worten, das sei eine Warnung an die USA "in der ernstesten Sprache." Die zwei Seiten steuerten auf eine Konfrontation zu, und "entweder die angespannten Beziehungen zwischen China und den USA verbessern sich, oder beide Seiten stehen enormen Risiken gegenüber."
Man kann das auch anders formulieren, denn dieses kleine Detail der übergebenen Listen erinnert an einen anderen Moment, der gar nicht so lang zurückliegt. Im Dezember vergangenen Jahres übergab Russland ähnliche Listen. Der einzige sichtbare Unterschied zwischen der russischen und der chinesischen Übergabe ist der, dass – zumindest der Öffentlichkeit gegenüber – die chinesischen nicht mit einem Datum versehen sind. Aber man täusche sich nicht, das war die Übergabe eines chinesischen Ultimatums.
Deutlich ausgesprochen hat das der Chefkommentator der Global Times, Hu Xijin, der zusammengefasst sagte, die USA könnten China entgegenkommen oder nicht; aber wenn sie Konfrontation wollten, könnten sie Konfrontation haben, China wäre bereit, sich Taiwan mit militärischen Mitteln zurückzuholen.
Natürlich pflegt der Westen auch bezogen auf China Fantasien über einen Regimewechsel, nach dem man das Land wieder nach Herzenslust ausplündern könne. Doch wie im Falle Russlands ist die reale Stimmung in der Bevölkerung wohl genau entgegengesetzt. Die Beijing-Rundschau veröffentlichte jüngst eine Umfrage unter jüngeren Chinesen, die belegt, dass das Ansehen des Westens in den letzten Jahren massiv gefallen ist. Während vor fünf Jahren noch 37,2 Prozent der Befragten erklärten, sie würden zum Westen aufschauen, sind es jetzt nur noch 8,1 Prozent. 48,3 Prozent sehen den Westen als gleichwertig. Was die Beijing-Rundschau nicht beziffert, ist ein unbekannter Anteil, der China als dem Westen überlegen sieht. Über die Hälfte bezeichnete China als Weltmacht.
Diese Umfrage gibt einen Einblick, wie die jüngere Generation Chinas auf eine Konfrontation mit den USA reagieren würde. Es würden sich ähnliche Verhältnisse ergeben wie in Russland, wo die Regierung im Vergleich zur Stimmung gemäßigt agiert, wenn nicht der Druck von unten in China noch deutlich stärker wird. Das könnte der Grund sein, warum das chinesische Ultimatum zumindest kein sichtbares Datum trägt. Aber alle Anzeichen, einschließlich der Tatsache, dass die Übergabe dieser Listen nach dem BRICS-Treffen erfolgte, deuten darauf hin, dass damit in der globalen Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten der nächste große Spieler seinen Eröffnungszug gemacht hat.
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