von Susan Bonath
In Sachen Energieversorgung und allem, was daran hängt, steuert die Bundesregierung politisch und ökonomisch offenbar bewusst ein Worst-Case-Szenario an. Mindestens für einen Teil der Bevölkerung könnte es im kommenden Winter dann kalt und dunkel werden, entweder, weil sich viele Heizung und Strom finanziell nicht mehr leisten können, oder weil, auch dank des Sanktionsmarathons gegen Russland, das Gas nicht reicht. Natürlich werden die Ärmsten am schlimmsten betroffen sein.
Ihnen hatte die Bundesregierung finanzielle Unterstützung versprochen. Doch nicht nur, dass die angekündigten Zuschüsse in Form von Kinderbonus, Heizkosten- und Energiepauschale nur ein kläglicher Tropfen auf den heißen Stein sind, der die steigenden Preise kaum auffangen können wird: Die Entlastungspakete sind ein bürokratisches Monster. Teilweise ist noch immer nicht klar, wie und wann sie wirklich ausgezahlt werden sollen, mehr noch: Von der Energiepauschale profitieren gerade viele Ärmere wohl erst im kommenden Jahr.
Klägliche Zuschüsse, unklare Termine
Ein einmaliger Bonus auf das Kindergeld von 100 Euro soll ab sofort fließen, gestaffelt nach der Endziffer der Kindergeldnummer. Er soll nicht, wie bei anderen Leistungen üblich, auf die Grundsicherung angerechnet werden. Die letzten Zahlungen sollen die Familienkassen dem Plan zufolge Mitte Juli veranlassen. Wer Arbeitslosengeld I bekommt, soll Ende dieses Monats ebenfalls einmalig 100 Euro obendrauf erhalten, für Bezieher von Hartz IV und Sozialhilfe gibt es 200 Euro. Eltern, die auf Hartz IV angewiesen sind, verspricht die Bundesregierung ab sofort 20 Euro zusätzlich pro Kind und Monat.
Wann der Heizkostenzuschuss bei Beziehern von Wohngeld, BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe, die nicht mehr bei den Eltern leben, ankommen wird, steht noch nicht genau fest. Alleinstehende Wohngeld-Berechtigte sollen 270 Euro erhalten, für jede weitere Person im Haushalt sind demnach 70 Euro eingeplant. Studenten, die auf BAföG angewiesen sind, müssen mit 230 Euro auskommen, genauso wie allein lebende Azubis, die bedürftig sind. Laut Bundesregierung sollen die Summen irgendwann im Sommer automatisch auf das Konto überwiesen werden.
Regeln sollen das die Bundesländer. Und das könnte zu erheblichen zeitlichen Verschiebungen im Bundesgebiet führen. Als einziges Land soll Rheinland-Pfalz bereits gezahlt haben, und zwar am 15. Juni, wie die Kreiszeitung berichtete.
In diesem Monat sollen Berechtigte aus Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen das Geld erhalten, Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein wollen im August nachziehen. Bis September warten müssen Bedürftige in Hamburg, Sachsen und im Saarland, in Baden-Württemberg sogar bis "spätestens" Ende Oktober. In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern steht noch kein Termin fest.
Geringverdiener müssen warten
Unklarheiten herrschen vor allem bei der sogenannten Energiepreis-Pauschale in Höhe von 300 Euro, die allen steuerpflichtig Beschäftigten, ob abhängig oder selbständig, zugehen soll. Direktauszahlungen sind nicht geplant, es soll über die Unternehmen und Finanzämter laufen. Und was die ganze Sache erschwert: Für die Pauschale selbst sollen zwar keine Sozialabgaben, also Beiträge für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung fällig werden, aber Lohn- oder Einkommenssteuer.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) erklärt dazu, Stichtag sei der 1. September. Wann der Arbeitgeber dies weitergibt, steht auf einem anderen Blatt. Und es gibt Ausnahmen: Beschäftigte, die so wenig verdienen, dass das Unternehmen für sie keine Lohnsteuer-Anmeldungen abgeben muss, gehen vorerst leer aus, ebenso jene, die nur für kurze Zeit als Aushilfe jobben. Für sie, die Ärmsten also, gilt: Warten bis zur Abgabe der Einkommensteuererklärung im kommenden Jahr.
Für die Soloselbständigen ist es kaum anders: Wer vierteljährlich eine Einkommensteuer-Voranmeldung abgibt, kann den Betrag von der fälligen Steuervorauszahlung abziehen, heißt es. Das trifft aber nicht für die meisten Kleinunternehmer zu, also all jene, die von der Umsatzsteuerpflicht befreit sind, weil ihr Jahresumsatz geringer als 22.000 Euro ist. Auch sie müssen sich bis zur Einkommensteuererklärung nächstes Jahr gedulden.
So bleiben ausgerechnet die Ärmsten vorerst auf den erwartbaren wachsenden Ausgaben sitzen und landen möglicherweise in einer Schuldenspirale. Denn schon jetzt trifft es viele, bereits letztes Jahr sind die Heizkosten massiv gestiegen. Der Deutsche Mieterbund spricht von einer Erhöhung um drei bis 44 Prozent, je nach Heizungsart, von 2020 bis 2021.
Dschungel aus Kleinstzuschüssen
Auch die Strompreise schießen seit Längerem in die Höhe. Die Bundesregierung will mit einer befristeten Aussetzung der sogenannten EEG-Umlage bis Jahresende gegensteuern. Der zu erwartende Effekt dürfte, auch ob des kurzen Zeitraums von sechs Monaten, allerdings gering sein.
Hinzu kommt eine Minierhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags. Das ist der Teil des Jahreseinkommens aus abhängiger oder selbständiger Arbeit, der nicht versteuert wird. Dieser ist nun rückwirkend vom 1. Januar 2022 von 9.984 auf 10.347 Euro gestiegen. Demnach sind nun 862 statt wie bisher 832 Euro des Monatseinkommens steuerfrei – immer noch überraschend wenig angesichts der Preisentwicklung.
Für Beschäftigte, die weit zur Arbeit fahren müssen, schlägt hier zudem die sogenannte Pendlerpauschale zu Buche, die allerdings in der Vergangenheit kräftig gekürzt wurde. Weiterhin erst ab dem 21. Kilometer der Entfernung vom Wohn- und Arbeitsort können sie nun 38 statt 30 Cent pro Kilometer geltend machen. Beträgt die täglich zurückgelegte, einfache Strecke beispielsweise 50 Kilometer, erhöht dies ihren jährlichen steuerfreien Einkommensanteil auf ungefähr 12.000 Euro.
Insgesamt hat der Gesetzgeber damit ein kleinteiliges bürokratisches Monster für klägliche Hilfen geschaffen, dessen Umsetzung offensichtlich schlecht durchdacht ist. Es gleicht einem Dschungel aus Kleinstzuschüssen, der viel Verwirrung stiften dürfte. Und: Die Zuwendungen sind vermutlich schon jetzt von der Inflation verschlungen worden.
Mehr Armut in Corona-Deutschland
Erst jüngst hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen neuen Armutsbericht vorgestellt, wonach die Armut von 2019 bis 2021 um fast fünf Prozent gestiegen ist. Demnach lebten 2021 etwa 13,8 Millionen Menschen in Deutschland (16,6 Prozent) unter der Armutsgrenze, das waren und 600.000 mehr als 2019. Der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Ulrich Schneider, stellte dem Pandemie-Management der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis aus:
"Die Befunde sind erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie schlagen inzwischen voll durch. Noch nie wurde auf Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen, und noch nie hat sich die Armut in Deutschland so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie."
Mit Blick auf die gegenwärtigen realkapitalistischen Bedingungen ist zu erwarten, dass die Armut in Deutschland weiter wachsen wird. Eines kann man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen: Sollte die Bundesregierung mit ihrer abenteuerlichen Sanktions- und Kriegspolitik weiter fortfahren, wird es richtig teuer. Und dies wird nicht nur Heizung und Strom betreffen. Dann werden definitiv nicht zuerst die hoch bezahlten Parlamentarier im Dunkeln und Kalten sitzen.
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