Von Scott Ritter
Die NATO hat dieser Tage in Madrid ihr jährliches Gipfeltreffen abgehalten. Das einstige transatlantische Verteidigungsbündnis hat sich in den letzten drei Jahrzehnten vom Beschützer Westeuropas zum globalen Polizisten gewandelt und versucht, militärisch eine sogenannte "werte- und regelbasierte Haltung" zur Geltung zu bringen.
Dem ersten Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, wird bekanntlich die Bemerkung zugeschrieben, dass die Aufgabe des Bündnisses darin bestehe, "die Russen draußen, die Deutschen unten und die Amerikaner drinnen zu halten". Kurz gesagt, die NATO diente als Schutzwall gegen eine physische Expansion der Sowjetunion von dem Brückenkopf aus, den sie am Ende des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa errichtet hatte. Ebenso verhinderte die Gründung der NATO den Abschluss eines Vertrags zwischen Deutschland und der Sowjetunion, der die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht hätte. Und schließlich erforderte die Existenz der NATO, dass die USA eine erhebliche und dauerhafte Militärpräsenz in Europa beibehielten, was dazu beitrug, dass die USA mit ihrer traditionellen Tendenz zum Isolationismus brachen.
Auf dem Madrider Gipfel hat nun die NATO ihre Mission radikal neu definiert und ein neues Mantra angestimmt, das zusammengefasst besagt, "die Russen unten, die Amerikaner drinnen und die Chinesen draußen zu halten". Es ist eine aggressive – sogar feindselige – Haltung, die darauf basiert, die westliche, das heißt die amerikanische Vormachtstellung aufrechtzuerhalten. Diese Mission soll durch die Verkündung und die Verteidigung einer sogenannten "regelbasierten internationalen Ordnung" erfüllt werden, die nur in den Köpfen ihrer Schöpfer existiert, die in diesem Fall die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in Europa sind. Die neu verabschiedete Mission stellt auch einen radikalen Bruch mit der bisherigen Praxis dar, mit der stets versucht wurde, die NATO auf den vier Grundsäulen ihrer transatlantischen Daseinsberechtigung zu definieren, indem man nun beabsichtigt, die Einflusssphäre des Bündnisses bis in den Pazifikraum auszudehnen.
Der Wachhund ist offenbar zum Kampfhund umerzogen worden
Wenn eine Organisation in Bezug auf ihre Kernaufgabe und ihren Zweck eine so radikale Transformation durchmacht, diktiert die Logik, dass es einen Grund – oder Gründe – gibt, die ausreichen, um die mit der Aktion verbundenen Konsequenzen zu rechtfertigen. Es scheint drei solcher Gründe zu geben.
An erster Stelle steht die Tatsache, dass Russland sich weigert, die Forderung der NATO zu akzeptieren, als Junior-"Partner" zu existieren, dessen Souveränität dem kollektiven Willen Europas nach dem Kalten Krieg untergeordnet werden muss. Russlands Präsident Wladimir Putin hat deutlich gemacht, dass Russland sich als Großmacht betrachtet und erwartet, als solche behandelt zu werden – insbesondere in Fragen des sogenannten "nahen Auslands", der ehemaligen Sowjetrepubliken, wie der Ukraine und Georgien. Der Fortbestand der Verbindungen dieser Länder zu Russland ist für Moskau von existenzieller Natur.
Obwohl die NATO Russland als "Partner" bezeichnet, war es ihr auf der anderen Seite nie ernst damit, vertrauenswürdig die Hand der Freundschaft zu reichen. Die NATO zog stattdessen ein mittlerweile dreißigjähriges Expansionsprogramm durch, das mündliche Versprechen an die sowjetischen Staatsführung verletzte und Russland geschwächt zurückließ, das von den selbsternannten "Siegern" des Kalten Krieges nicht mehr ernst genommen wurde. Als Russland damit begann dagegenzuhalten, ein Prozess, der mit Putins legendärer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 seinen Anfang nahm, ging die NATO in eine aggressivere Haltung über, versprach Georgien und der Ukraine eine mögliche Mitgliedschaft in der Allianz und unterstützte 2014 einen gewaltsamen Regierungsumsturz in der Ukraine, der eine Reihe von Ereignissen auslöste, die in der laufenden Militäroperation Russlands in der Ukraine gipfelten.
In seiner Rede auf dem NATO-Gipfel beendete Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der Organisation, jede Illusion darüber, dass das transatlantische Bündnis ein unbeteiligter Zuschauer bei allen Ereignissen gewesen sei, die zu Russlands militärischer Intervention in der Ukraine führten. Stolz hielt Stoltenberg fest, dass sich die NATO seit 2014 auf den Kampf gegen Russland vorbereitet habe – also seit dem US-gesteuerten Regierungsumsturz in der Ukraine. Und tatsächlich begann die NATO bereits im Jahr 2015, das ukrainische Militär nach NATO-Standards auszubilden.
Dies tat es jedoch nicht, um die Selbstverteidigung der Ukraine zu stärken, sondern um ethnische Russen im Donbass zu bekämpfen. Offenbar war die NATO nie an einer friedlichen Lösung der Krise interessiert, die ausbrach, als ukrainische Nationalisten begannen, die russischsprachige Mehrheit in der Region zu terrorisieren.
Zwei Mitglieder der NATO, Frankreich und Deutschland, halfen zudem mit, einen betrügerischen Friedensprozess am Leben zu erhalten – das Minsk-2-Abkommen. Der ehemalige ukrainische Präsident und Vorgänger von Wladimir Selenskij, Petro Poroschenko, gab kürzlich in einem Gespräch zu, dass dieses Abkommen lediglich zum Vorwand diente, der benutzt wurde, um Zeit zu gewinnen, damit die NATO das ukrainische Militär ausbilden und ausrüsten konnte – mit dem Ziel, die Kontrolle über den Donbass und die Krim gewaltsam an sich zu reißen.
Was der Madrider Gipfel tatsächlich bewirkte, war, jede Illusion zu beseitigen, dass die NATO es ernst damit meint, friedlich mit einer mächtigen, souveränen russischen Nation zu koexistieren. Ein ernsthaft defensives Bündnis hätte ein solches Ergebnis bereitwillig angenommen. Aber die NATO, das ist jetzt klar, ist alles andere als ein defensives Bündnis.
Die NATO wurde als Komponente der amerikanischen globalen Machtprojektion entlarvt, die zusätzliche militärische und politische Unterstützung für ein amerikanisches Imperium bietet, das durch die "regelbasierte internationale Ordnung" definiert wird, die auf eine anhaltende militärische und wirtschaftliche Vormachtstellung der USA aufbaut.
Die Vereinigten Staaten an der Spitze zu halten, erweist sich jedoch als Brücke, die wohl zu weit entfernt liegt, vor allem, weil das amerikanische Imperium selbst an seinen eigenen Fundamenten bröckelt. Wirtschaftlich kämpfen die USA darum, den sogenannten "amerikanischen Traum" aufrechtzuerhalten und politisch darum, das beschädigte Versprechen einer Demokratie am Leben zu erhalten, die genau das Vorbild unterwandert, das die USA im Ausland fördern wollen.
Das Ausmaß, in dem die USA heute mit einem Mindestmaß an Glaubwürdigkeit in der internationalen Arena funktionieren, wird allein durch das Ausmaß der "Gutgläubigkeit" des Rests der Welt in das goldene Kalb bestimmt, als das sich die "regelbasierte internationale Ordnung" darstellt.
Während die USA sowohl die NATO als auch ihren wirtschaftlichen Doppelgänger, die G7, dazu bringen konnten, aktiv ihre "regelbasierte internationale Ordnung" zu fördern, haben sich Russland und China zusammengeschlossen, um eine alternative Weltanschauung zu formen: Eine auf internationalem Recht basierte Ordnung, die auf den in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Prinzipien basiert.
Die G7 erklärten, dass das BRICS-Wirtschaftsforum, das sich aus Nationen zusammensetzt, die eher an einer "rechtsbasierten" Weltordnung und nicht an einer von den USA dominierten "regelbasierten" Weltordnung ausgerichtet sind, die größte Bedrohung für die Stellung der G7 auf der Weltbühne darstellt. Zudem hat auch die NATO erklärt, dass die russische und chinesische Infragestellung der "regelbasierten internationalen Ordnung" eine große Bedrohung für die Grundwerte der NATO darstellt, mit der sie die Gegenmaßnahme einer Ausweitung der NATO bis in den Pazifikraum rechtfertigt.
Kurz gesagt, die NATO – zusammen mit den G7 – erklärt den Prinzipien des Völkerrechts, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, den Krieg. Auf dem Madrider Gipfel hat die NATO deutlich gemacht, dass sie bereit ist, Blut zu vergießen, um ein Vermächtnis zu verteidigen, dessen Legitimität nur in der kollektiven Vorstellungskraft ihrer Mitglieder existiert – wenn auch nicht bei allen.
Das Ziel des Rests der Weltgemeinschaft muss nun sein, den Schaden, den diese Bestie namens NATO anzurichten im Begriff ist, zu minimieren und einen Weg finden, diese zu entsorgen, bevor sie der Weltgemeinschaft noch mehr Schaden zufügen kann.
Übersetzt aus dem Englischen
Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie und Autor von "SCORPION KING: America's Suicidal Embrace of Nuclear Weapons from FDR to Trump". Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Man kann ihm auf Telegram folgen.
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