Wie der Westen vergeblich versucht, seine Probleme auf Russlands Kosten zu lösen

Die Berücksichtigung von Ursache und Wirkung wären bei Betrachtung europäischer Argumentationslinien eine mehr als angebrachte Notwendigkeit. Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, stößt jedoch in das momentan bevorzugte Empörungs-Horn und verpasst damit die Chance der dringend benötigten Glaubwürdigkeit.

von Anastasia Popowa

Die Rede von EU-Ratschef Charles Michel vor dem UN-Sicherheitsrat war ziemlich deprimierend. Wie tief die europäischen Politiker nur gesunken sind! Ich sehe ja ein, der ehemalige belgische Premierminister ist äußerlich kaum vom ukrainischen Verteidigungsminister Alexei Resnikow zu unterscheiden. Das ist aber noch lange kein Grund, sich zu verhalten wie allerlei ukrainische Beamte, schon gar nicht auf der UN-Plattform. Wie kann jemand so gedankenlos unbegründete historische Parolen von sich geben und sich gleichzeitig für einen seriösen Europapolitiker halten? Aber vielleicht hat sich die Definition eines Politikers inzwischen geändert ...

Möglicherweise ist ein Politiker heute eine Person, die sich wie ein Clown benimmt, nur noch grinst, nie auf direkt gestellte Fragen antwortet, Unsinn redet, ohne Angst zu haben, dafür mit ihrem Ruf geradestehen zu müssen. Gepfiffen auf die Reputation, man wurde schließlich nicht gewählt, sondern einfach aus einem Pool der geschlossenen Gesellschaft als Häuptling des Gelabers in den Sandkasten gesetzt, in dem nicht jeder mit einem einverstanden ist. Und honoriert wird das mit einem Betrag von 34.149 Euro pro Monat.

Weshalb nicht eine Reihe beleidigender Sätze von einem Blatt Papier ablesen? "Der Kreml führt Angriffe auf Getreidespeicher durch und plündert Getreide in der Ukraine, während er anderen die Schuld gibt. Das ist Feigheit, das ist Propaganda. Schlicht und einfach: Propaganda!" Und wie nennt sich das, was Sie tun, Herr Charles Michel? Kläffen und Lügen? Sich dafür verantworten musste der Sprecher des UN-Generalsekretärs Stéphane Dujarric. "Wir haben diese Berichte in den Medien gesehen und mit unseren Kollegen vom Welternährungsprogramm gesprochen. Sie haben keine Möglichkeit, diese Behauptungen zu bestätigen." Weil man nicht etwas bestätigen kann, was nicht existent ist. Und überhaupt, warum sind die Europäer so besorgt um Getreide? Warum haben sie es so eilig, alles aus der Ukraine herauszuholen? Um sich selbst ernähren zu können! Um nicht mehr zu bezahlen. Wie steht es mit der Fürsorge für die Ukrainer und all dem?

Es wird reichlich Getreide auf der Welt geben, lauten die Prognosen. Die Frage ist nur, wie es verteilt wird und wer es bekommt. Charles Michel brüllte am Tisch der UNO, die EU habe keine Sanktionen gegen Getreidetransporteure aus Russland verhängt. Die bösen Russen selbst wollten ihren Weizen nicht verkaufen und setzten damit die ganze Welt dem Risiko einer Hungersnot und Nahrungsmittelkrise aus. Moment mal, und wer hat den Zahlungsverkehr eingeschränkt, wer hat die Logistik auf den Kopf gestellt und wer hat die Banken von SWIFT abgekoppelt? Wir? Oder Europa? Warum also geben sie uns die Schuld für ihre Unfähigkeit, normal Handel zu treiben? Sie stellen Forderungen, wir müssten ihnen und dem Rest der Welt denselben Dünger zur Verfügung stellen.

Man bietet ihnen einen Kompromiss an: Aufhebung der Sanktionen gegen Lieferung von Stickstoff und Phosphaten. Als Reaktion darauf folgt ein Aufschrei über die Arroganz Russlands. Wir werden also als billiger, klagloser Lieferant von Ressourcen für den Herrn gesehen, der bei schlechter Laune einen ungehorsamen Sklaven mit einem Sanktionsstock bestrafen kann? So sieht es also aus? Bildet sich Europa nicht ein bisschen zu viel ein, was die angelsächsische Welt nun zu ihrem Vorteil nutzt?

Wie viele Worte wurden darüber verloren, dass Pipelines, Erdöl und Erdgas die politischen Waffen Russlands sind, mit denen es die Welt erpresst? Doch wie ein Kollege von mir schreibt: "Russland hat, wie auch die UdSSR, Europa nie aus politischem Druck den Gashahn zugedreht – nicht während des Kalten Krieges und auch jetzt nicht. Außer wenn die Zahlungen gemäß den Verträgen nicht geleistet werden. Dafür bemüht sich Brüssel nun intensiv, Druck auf Russland auszuüben, vor allem mit Hilfe von Energieressourcen. Das heißt, jahrelang haben die westlichen Gegner der russischen Energieressourcen ihre eigene Logik des Handelns einfach auf Moskau projiziert. Das ist nichts Neues." Sie selbst haben sich jetzt vom Erdöl abgewandt, mühsam, stöhnend, schmerzhaft, aber sie haben es selbst getan. Und konnten es doch nicht bis zum Ende durchziehen.

Für Ungarn und die Slowakei wurden Ausnahmeregelungen getroffen, ebenso für Bulgarien und Kroatien. Rohöl wird für weitere sechs Monate, Erdölprodukte für weitere acht Monate verwendet. Keine Einigung gab es auch zum Verbot des Einsatzes europäischer Tanker für den Transport von russischem Erdöl in Drittländer.

Mit Brimborium kündigten sie das sechste Paket an, quälten sich eine Einigung ab und beugten sich dem Gelächter Viktor Orbáns. Und was ist das Ergebnis?

Bloomberg wundert sich darüber, wie Unternehmen jetzt russisches Erdöl umladen, nicht in Häfen, sondern mitten im Atlantik von Tanker zu Tanker, 300 Meilen von der portugiesischen Insel Madeira entfernt. Der Habenichts hat es faustdick hinter den Ohren. Oder man holt sich in Indien den Treibstoff, der nicht aus Russland stammt. So hat das Land seine Käufe aus Russland von 90.000 Barrel auf 600.000 Barrel pro Tag stark erhöht – man mische dieses Erdöl mit dem Erdöl aus dem Nahen Osten in einem Tanker, und niemand weiß noch etwas damit anzufangen.

Hier versuchten die Europäer auch mit ihren Belehrungen einzugreifen, indem sie behaupteten, dass Delhi mit seinen Käufen, die sich verneunfacht haben, die militärische Spezialoperation in der Ukraine finanziert. Der Außenminister Indiens wies die Europäer auf einer Sicherheitskonferenz in Bratislava zurecht, indem er bemerkte, dass ihre Probleme nicht die Probleme der ganzen Welt seien und sie weiterhin russisches Erdgas kaufen. Die Inder haben die populistische Heuchelei Brüssels ebenfalls satt.

Die Polen betreiben nun aktive Lobbyarbeit für ein Gasembargo im Rahmen des siebten Sanktionspakets. Hermann Alexander Beyeler, ein Schweizer Geschäftsmann, machte eine sehr interessante Aussage zu diesem Thema: "Bestimmte EU-Länder können ihren Verzicht auf russisches Erdgas ankündigen, den Vertrag mit Gazprom kündigen und gleichzeitig dasselbe russische Gas vom Nachbarland im Reverse-Modus kaufen, aber nur zu einem höheren Preis. Es ist unwahrscheinlich, dass ihre Wähler diesen Schritt begrüßen werden. Zurzeit vollzieht Russland eine kluge und weitsichtige wirtschaftliche Verlagerung nach Asien. Unter diesen Umständen wird meiner Meinung nach im Osten ein neuer Wirtschaftsraum entstehen, der alles Bisherige in den Schatten stellt.

Die Südländer (insbesondere die den Sanktionen eine Absage erteilten und ehemaligen Opfer der US-Machtpolitik) werden den Dollar aufgeben und sich Russland, China und Indien anschließen. Die Amerikaner und Kanadier wiederum werden für sich selbst Sorge tragen und die EU weiterhin als Brückenkopf nutzen, doch diesmal gegen die neu entstandene Machtkonzentration. Sollten die europäischen Politiker die Sanktionspolitik fortsetzen, werden ihre Volkswirtschaften geschwächt und mit schweren sozialen Unruhen konfrontiert. In einigen Jahren wird nicht Russland isoliert, sondern die EU ruiniert sein, weil die Energiewende hin zu neuen erneuerbaren Energien weiterhin riesige Summen verschlingen wird, ohne eine wirklich echte Alternative zu Kohlenstoffquellen zu werden."

Die gesamte EU-Wirtschaft basierte früher auf billigen Arbeitskräften (in China) und billigen Rohstoffen (in Russland). Das sagte die stellvertretende Leiterin der Europäischen Kommission Margrethe Vestager. Wenn die Ressourcen knapp wurden, schaltete man die Selbstverschuldung ein, und die Staatsverschuldung stieg sofort an: In Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU, liegt sie jetzt bei 120 Prozent des BIP. Die Welt hat sich verändert, das bisherige System funktioniert nicht länger, jetzt brauchen sie einen Reset, den sie auf grünen Schienen durchzuführen planten, indem sie Waren aus dem Rest der Welt mit einer Kohlenwasserstoffsteuer belegen.

So war es vor der COVID-19-Pandemie. Die steigenden Preise für alle Güter haben diesen Plan sinnlos gemacht, doch wegen der unglaublichen Trägheit ist es schwer, diese schwerfällige europäische Bürokratiemaschine zu stoppen, die bereits lange vor der Spezialoperation Milliarden von Euro in die Energiewende gesteckt hat.

Die Kosten für alle Komponenten zum Aufbau von Windturbinen, Sonnenkollektoren und Elektroautos steigen jetzt zusammen mit der allgemein grassierenden Inflation. Die Umsetzung dieses Programms in die Praxis ist nicht nur teuer, sondern unerschwinglich. Und dafür haben Generationen von europäischen Bürgern zu zahlen, vielleicht sogar auf Kosten des Verschwindens der Mittelschicht. Wie verkauft man den Menschen diese Idee? Wie lässt sich das erklären? Idealerweise hätten die bösen Russen die Öl-, Gas- und Kohleversorgung Europas selbst unterbrechen sollen. Doch wir entschieden uns dagegen, sie wirtschaftlich zu strangulieren. So ist die Europäische Union gezwungen, ihre eigenen Sanktionen zu verhängen und ihre eigenen Bürger davon zu überzeugen, dass Moskau die Schuld an der Inflation, den steigenden Gas- und Strompreisen, dem allgemeinen Absinken des Lebensstandards und den künftigen Problemen der Hungermigration trägt. Daher die totale Kontrolle der europäischen Medien, das Verbot des russischen Standpunkts, die einseitige Berichterstattung über die Geschehnisse und all das Gejammer von Charles Michel vor der UNO. Sie versuchen, ihre Probleme auf unsere Kosten zu lösen. Vergeblich.

Übersetzt aus dem Russischen.

Anastasia Popowa ist Chefin des europäischen Büros der staatlichen russischen Fernsehgesellschaft WGTRK.

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