Von Anton Gentzen
Der Stadtrat in Leipzig tagte diese Woche gleich an zwei Tagen hintereinander: am Mittwoch und am Donnerstag. Die Zeit musste man sich nehmen, denn außer Bebauungsplänen und Schultoiletten hatten sich die Kommunalpolitiker diesmal auch Fragen von globaler Tragweite zu widmen.
Zunächst war ein Antrag des Migrantenbeirates der Stadt zu behandeln: Unter dem Titel Koloniale Vergangenheit aufarbeiten und rassistische Stereotype auch in der Gegenwart beenden forderte er die Stadt auf, dem Leipziger Zoo zukünftig folkloristische Veranstaltungen mit Namen "wie etwa Hakuna Matata, die asiatischen Sommernächte und El Dorado" zu verbieten.
Der rassistische König der Löwen
Besonders gestört fühlte sich der Migrantenbeirat durch die traditionellen "Hakuna Matata"-Abende im Zoo. Zitat aus dem Antrag:
"Aktuelles Beispiel dafür sind die 'Hakuna Matata' Abende, bei denen Gäst:innen – laut Bewerbung der Abendveranstaltung auf der Webseite – von 'erfahrenen Zoolotsen sicher durch die Safari' geführt werden. Die Gäst:innen sollen 'Afrika live erleben' und die 'kulinarische und kulturelle Vielfalt' genießen, die der Zoo mit Begriffen und Narrativen wie 'Wildnis', 'Fremdheit', 'exotisch', 'traditionell' und 'faszinierend' bewirbt. Durch die verwendete Form der Rhetorik, Bildsprache und Darstellung dieser Abende werden Klischees über Afrika, Asien, sowie Süd- und Mittelamerika reproduziert und ganze Kontinente auf essentialisierende Merkmale reduziert."
Übersetzt in allgemein verständliches Deutsch: Die Beschäftigung mit einer fremden Kultur, Natur und Küche ist immer dann rassistisch und "Erbe des Kolonialismus", wenn sie nicht sofort und auf der Stelle, in den 90 Minuten, die eine Veranstaltung dauert, ein vollständiges Studium aller Nuancen, Widersprüche, Facetten, Gegensätze und regionalen Besonderheiten beinhaltet. Wie der Einbringer des Antrags es formulierte: "In Afrika leben 50 Nationen".
Ergebnis der Abstimmung am Mittwoch: Der Antrag wurde mit großer Mehrheit der Grünen, der SPD und der Linken unverändert beschlossen. Noch nicht beantragt und beschlossen, aber vermutlich nur eine Frage der Zeit ist das Verbot von Disney-Trickfilmen wie "König der Löwen" oder "Madagaskar" in den Leipziger Kinos.
Die kommunale Außenpolitik eines Burkhard Jung
Eine weitere Provinzposse stand ebenfalls am Mittwoch auf der Tagesordnung des Stadtrates: die Aufkündigung der "protokollarischen Zusammenarbeit" mit dem in Leipzig ansässigen Generalkonsulat der Russischen Föderation. Dass der Leipziger Stadtrat und Leipzigs seit 2006 amtierender Oberbürgermeister Burkhard Jung sich zu Höherem als nur den schnöden Belangen der Stadt berufen fühlen, wissen die Leipziger Bürger nicht erst seit gestern. Die "kommunale Außenpolitik" nimmt für Kommunalpolitiker der "weltoffenen Messestadt" (die seit drei Jahren keine Buchmesse mehr veranstaltet hat und die alle anderen wichtigen Messen wie die Automesse oder die Games Convention schon vor Jahren verlassen haben) traditionell einen hohen Stellenwert ein.
Zuletzt hatte sich Jung, nachdem die Kontakte zur Partnerstadt Kiew seit 2014 auf Eis lagen, wiederholt und gern im Glanz des Kiewer Bürgermeisters und früheren Boxweltmeisters Vitali Klitschko gesonnt. Warnungen aus der Bürgerschaft, dass die moderne Ukraine alles andere als demokratisch und freiheitlich ist, dass Klitschko persönlich den Neonazismus in seinem Land befördert, etwa indem er offene Rechtsradikale im kommunalen Wachdienst beschäftigt und Straßen in Kiew nach Hitlers Schergen und SS-Leuten benennt, wies Jung stets mit einem lapidaren "ich zweifele nicht daran, dass Klitschko europäischen Werten verpflichtet ist" zurück.
Beim Thema Städtepartnerschaften wollte Burkhard Jung in der Vergangenheit übrigens hoch hinaus: Eine Partnerstadt in Russland von geringerer Größe als Moskau kam in besseren Zeiten nicht in Frage, obwohl Bürgerinitiativen sich um die Kontaktaufnahme zu der bisher "partnerlosen" Stadt Saratow bemüht hatten. Doch Jung genoss es, sich neben dem Oberbürgermeister der russischen Hauptstadt Sobjanin abzulichten. Und das noch vor gar nicht all so langer Zeit.
Nach Beginn des Krieges mit der Ukraine wollte man nun aber "mit der Ukraine stehen". Klitschko wurde schon mal in eine Sitzung des Stadtrates per Livestream zugeschaltet und durfte unter tosendem Applaus der Stadträte Leipzigs Waffenlieferungen fordern.
Von beleidigten Leberwürsten und diplomatischer Zurückhaltung
Nun hat Leipzig neben dem allgemein um sich greifenden Hissen ukrainischer Fahnen und Solidaritätsbannern sowie dem Brüllen der Parolen ukrainischer Hitler-Kollaborateure bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit eine Möglichkeit, Russland "ans Bein zu pinkeln", die andere Städte nicht haben: Leipzig ist traditionell Sitz des für Sachsen und Thüringen zuständigen russischen (zwischendurch sowjetischen) Generalkonsulats.
Darüber war man bislang stolz im nach der Wende mit überregional bedeutenden Institutionen nicht mehr reich gesegneten Stadt. Burkhard Jung selbst pflegte es bislang, den Einladungen des russischen Konsuls zu Empfängen, etwa am 8. oder 9. Mai, Folge zu leisten und steckte sich auch nach Beginn des Bürgerkriegs im ukrainischen Donbass gern das schwarz-orange gestreifte Gardeband (auch Sankt-Georgs-Band), das russische Symbol des Antifaschismus, an.
Seitdem der Sozialdemokrat (Jung ist auch einer) Scholz aber die "Zeitenwende" verkündet hat und sich damit brüstet, dass deutsche Waffen erstmals seit Hitlers Kanzlerschaft wieder russische Soldaten töten, ist alles anders. Vor der Abstimmung über die Aufkündigung der "protokollarischen Zusammenarbeit" gab Jung einem örtlichen Presseerzeugnis ein Interview. Er habe, so Jung, am 25. Februar (am 24. Februar hatte die russische Intervention in der Ukraine begonnen) den russischen Generalkonsul aufgesucht und "auf ganzer Linie eine menschliche Enttäuschung erlebt":
"Ich habe einen Generalkonsul kennengelernt, der eins zu eins, schäumend, nicht diplomatisch zurückgenommen, die Position von seinem Präsidenten übernommen und vertreten hat – und zwar: offensiv, massiv, bis in die letzte Verästelung."
Dass es in Leipzig Stadträte gab, die ihm dasselbe "offensiv, massiv, bis in die letzte Verästelung" seit 2014 fünf Jahre lang erklärt haben und es allein an der mangelnden Lern- und Verständnisbereitschaft Jungs liegt, dass dieser bis heute nicht das Geringste über die Vorgänge und Zustände in der Ukraine verstanden hat, ist dem Oberbürgermeister offensichtlich nicht bewusst. Wer da wessen Position wann übernommen hat, ist noch die große Frage.
Immerhin war Generalkonsul Dronow diplomatisch zurückhaltend genug, Jung ob dessen "menschlicher Enttäuschung" nicht, zumindest nicht öffentlich, eine "beleidigte Leberwurst" genannt zu haben. Ein hochnäsiger Besserwisser war Jung schon immer.
Der aufgekündigte Antifaschismus
So war es dann die eigene Fraktion des Sozialdemokraten, die den Antrag mit dem Titel Beendigung der protokollarischen Zusammenarbeit mit dem russischen Generalkonsulat und Stärkung des kulturellen und friedlichen Austauschs mit russischen und ukrainischen Menschen in Leipzig im Stadtrat einbrachte.
Gefordert wurde darin unter anderem, "bis auf Weiteres die konsularische Vertretung der Russischen Föderation für Sachsen und Thüringen in Leipzig nicht zu städtischen Veranstaltungen" einzuladen.
Dies wurde dann am Mittwoch mit Unterstützung von SPD, CDU, den Grünen und der FDP beschlossen.
Die "protokollarische Zusammenarbeit" mit dem russischen Volk hatten die Stadt Leipzig und ihr Oberbürgermeister indes schon vor der Abstimmung aufgekündigt: Am 8. Mai marschierte die städtische Delegation, die an diesem Tag traditionell Blumen und Kränze an den Gräbern unterschiedlicher Gruppen von Opfern des Hitlerfaschismus auf dem Leipziger Ostfriedhof niederlegt, demonstrativ an den Gräbern der hier bestatteten Rotarmisten und dem Sowjetischen Denkmal vorbei.
Irgendwann tauchte der städtische Kranz dann doch am Denkmal für die gefallenen Sowjetsoldaten auf. Der Affront wird jedoch vielen aus Russland, Weißrussland, Tadschikistan, Kasachstan (und ja, auch aus der Ukraine) stammenden Bürgern Leipzigs trotzdem in Erinnerung bleiben, erst recht nach der beleidigenden und von rassistischen Klischees getragenen Rechtfertigung dieser Aktion durch den linken Shootingstar Marcus Böhme auf Twitter.
Da kann Leipzig die 50.000 Euro, die es für den Dialog mit der Zivilgesellschaft ausgeben will, ganz für den Dialog mit den Ukrainern ausgeben. Oder sie sich sonst wohin stecken.
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