Ein Kommentar von Igor Malzew
Uns hat sich hier ein gewisses Problem abgezeichnet: Finnland wird rasch in die NATO hineingezerrt. Also ist es buchstäblich nur eine Frage weniger Tagen – zack, schon ist es Mitglied. Um ehrlich zu sein, ist allerdings nicht ganz klar: Ist das nun Russlands Problem – oder aber Finnlands? Denn es liegt nicht in der politischen Tradition dieses Landes, seine politischen Prioritäten so abrupt und umfassend zu ändern – vom Gleichgewicht der Kräfte in der Region ganz zu schweigen, die doch seit dem Jahre 1945 ganz als Insel der Stabilität und Besonnenheit gilt. Es liegt auf der Hand, dass die allumfassenden Beziehungen Finnlands zu Russland in den letzten zwei Jahren durch pandemiebedingte Maßnahmen wie allerlei Lockdowns sehr stark angeschlagen sind. Aber wie Sie verstehen, sind COVID-19 und die NATO dann doch schon zwei etwas verschiedene Sachen.
Gute Beziehungen zu Russland – langjährige Grundlage für Finnlands Wohlstand
Man kann lange Zeit und immer wieder daran erinnern, dass der Schlüssel zu Finnlands schneller und erfolgreicher Entwicklung in vielerlei Hinsicht in seinen vernünftigen Beziehungen zu Russland lag. Mit gutem Zugang zu Energie und Mineralien und sogar zu Holz. Ganz zu schweigen von Investitionen auf verschiedenen Ebenen, vor allem im privaten Bereich. Übrigens: Ich frage mich, wie es so um die Hartwall Arena steht.
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Und nicht nur das ist im Jahre 2022 innerhalb eines einzigen Monats zusammengebrochen – sondern auch der internationale Gütertransport, auch aus Finnlands Sicht, der Verkehr aus China über Russland. Auch eine so große Fluggesellschaft wie Finnair fehlt nun im russischen Luftraum. Und so weiter. Jetzt ist auch noch von der NATO die Rede, von einer Organisation, die Russland offiziell als einen Feindstaat einstuft. Und dann noch: Nicht einmal bloß über den NATO-Dienstweg, sondern zum Beispiel über den der EU schreibt eine Madame von der Leyen vor wie für ein Methodenblatt: "Russland als Bedrohung für die Weltordnung betrachten". (Wo sie die "Ordnung" auf dieser unserer Welt erspäht hat, erschließt sich nicht, doch jedenfalls ist die Richtung des Gedankens ziemlich klar.) Und die junge, hippe und trendige gendergerechte finnische Regierung ist für solche Anweisungen und Wunschanregungen durchaus empfänglich.
Friedensvertrag: Wort gegeben – Wort wieder genommen?
Das Problem dieser Leute ist, dass sie zwar die neuen ungeschriebenen Gesetze der EU kennen – aber dafür mitnichten ihre eigene Geschichte. Und ebenso wenig scheint das offizielle Helsinki auch viele Völkerrechtsdokumente zu kennen – die dadurch aber keineswegs widerrufen wurden.
Insbesondere das ganze NATO-Vorhaben steht ja doch in gewisser Weise im Widerspruch zu einem bestimmten Dokument, das da den Titel "Der Friedensvertrag mit Finnland. Paris, 10. Februar 1947" trägt. Damals legten Politiker, die den Krieg (im Falle Finnlands sogar zwei Kriege hintereinander) überlebt hatten, den Grundstein für eine künftige friedliche Nachbarschaft zum wachsenden Wohlstand und die Entwicklung beider Länder. Und so ist es denn auch so gar kein Zufall, dass dort Sachen drinstehen, die auch heute noch recht aktuell anmuten. Hier ist zum Beispiel Artikel 13:
"Das Halten von land-, see- und luftgestützter Waffen sowie der Befestigungsanlagen wird streng bis auf ein solches Maß begrenzt, dass es inneren Aufgaben und der örtlichen Verteidigung der Grenzen gerecht wird."
Das bedeutet eine Landstreitkraft von 34.000 Mann und 4.500 Seeleute bei der Kriegsmarine; und für die Luftfahrt bedeutet dies 60 Flugzeuge, darunter aber keine Bomber.
Und Artikel 19 erst! Es ist fast, als sei er eigens im Hinblick auf die heute wohl bevorstehende Mitgliedschaft des Landes in der NATO geschrieben worden. Darin heißt es:
"Finnland darf kein militärisches Material und keine militärische Ausrüstung deutschen Ursprungs oder deutscher Bauart beschaffen oder herstellen und keine Techniker, einschließlich des militärischen und zivilen Luftfahrtpersonals, aus dem Kreis von Personen beschäftigen oder ausbilden, die deutsche Staatsangehörige sind oder waren."
Oh ja, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass die NATO einen so starken Panzer wie den Leopard 2A7 im Arsenal hat, der ja gerade aus Deutschland stammt, dann wird es immer interessanter. Oder wird man etwa andere Panzer nach Finnland liefern? Und überhaupt gibt es in der NATO eine ganze Menge deutsches Material …
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"Das Problem liegt darin, dass Finnland seine militärischen Beschränkungen im Rahmen dieses Vertrags im Jahre 1990 einseitig aufgehoben hat – unter Ausnutzung der Schwäche der Staatsmacht in Russland. Alle davon. Mit Ausnahme des Teils, wo es ans Nukleare geht."
Aber genau das ist es, was Russland am meisten beunruhigt – die faktische Abschaffung der atomwaffenfreien Zone in der Ostsee. Die NATO ist ein nuklear bewaffnetes Bündnis. (Auch werden im Rahmen der NATO-Luftpatrouillen namens Air Policing routinemäßig nuklearwaffenfähige Flugzeuge eingesetzt, dann existiert der Mechanismus der nuklearen Teilhabe, die als Raketenabwehr getarnten landgestützten Abschussrampen für nuklearwaffenfähige Tomahawk-Marschflugkörper und dergleichen mehr. Anm. d. Red.) Als Reaktion darauf wird Russland seine baltische Flotte aufrüsten und taktische Nuklearwaffen an die finnischen Grenzen heranschieben müssen, die als angemessene Antwort auf die zunehmende nukleare Bedrohung dienen könnten.
Dabei schrieben doch kluge Leute in Artikel 17 klipp und klar nieder:
"Finnland darf nicht besitzen, herstellen oder experimentieren mit oder an: Jegliche Arten nuklearer Bewaffnung …"
Eine Situation, in der sich Atomwaffen von NATO-Partnern (USA, Frankreich, Vereinigtes Königreich) auf finnischem Staatsgebiet wiederfinden könnten, wird kaum damit abgetan werden können, dass diese "doch keine finnischen Waffen" seien.
Natürlich sind heute alle gerade mit der Ukraine beschäftigt. Aber man würde gerne verstehen, ob Russland im Rahmen seiner diplomatischen Arbeit mit den Finnen diesen deutlich machen konnte oder kann, dass es gerade um die Überreste des Friedensvertrags von 1947 geht, oder auch all die Risiken, die der ganzen Region durch die übereilte Entscheidung seines nordischen Nachbarn entstehen.
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Übersetzt aus dem Russischen.
Igor Malzew ist ein russischer Journalist und Schriftsteller, war und ist teils noch immer Kolumnist, politischer Kommentator und Beobachter für zahlreiche russische Blätter, stellvertretender Chefredakteur der Iswestija, erster Chefredakteur der Medwed, Chefredakteur und Gründer des Automobilressorts beim Kommersant. Er ist regelmäßiger Kolumnist beim russischen Zweig von RT.