"Es wird Nacht über Deutschland, aber ich will mich dieser Dunkelheit nicht beugen" – Ein Abschied

Alles, was ich künftig schreibe, wird nicht mehr auf deutschem Boden geschrieben. Um mit Worten für ein Deutschland einzustehen, das den Völkern wie sich selbst ein Segen, kein Fluch ist, scheint es abermals geboten, zu gehen.

von Dagmar Henn

"Und an den Ufern sah ich die Städte blühn,Die Edlen, wo der Fleiß in der Werkstatt schweigt, Die Wissenschaft,

wo deine Sonne
Milde dem Künstler zum Ernste leuchtet."

Die Melodie dieses Liedes geht mir seit Tagen im Kopf herum. Hanns Eisler hat diese Verse Friedrich Hölderlins im Exil vertont, 1942, als die Niederlage des Hitlerfaschismus erst zu erahnen und zu erhoffen war, und die wenigen Minuten dieses Stücks sind die dichteste Zusammenfassung von Exil, die ich kenne. Der Kommunist Eisler blickt aus der Ferne auf eine Heimat, die durch die braunen Horden verwüstet wird, und schafft einen Gesang, der mit der Zeile beginnt: "Oh heilig Herz der Völker, oh Vaterland."

Vor über 30 Jahren habe ich Deutschland schon einmal verlassen; damals sollte es ein Aufbruch in eine lebendigere Welt sein; ich folgte einem Bild, das ich aus den Romanen von Jorge Amado hatte, und ging nach Brasilien. Ein Jahr war ich dort, wurde schwanger, meine Tochter wurde geboren, dann war ich, dem Wunsch ihres Vaters folgend, wieder zurück in Deutschland. Und während ich dort, in Salvador da Bahia, verblüfft feststellte, welche Dinge mir plötzlich fehlten (Käsekuchen und Sauerteigbrot, das bayerische, fest, feinporig und mit vielen Gewürzen), kehrte ich doch unwillig zurück und versuchte, so lange wie möglich am anderen Land festzuhalten. Es lebt sich nicht einfach mit diesem Deutschsein.

Wenn ich jetzt gehe, ist es eine andere Art von Aufbruch. Jene, bei der man sich zuvor fragt: Ist es eine Kapitulation? Bei der man sich vorab schon Sorgen macht um die, die zurückbleiben. Ein Aufbruch, der von dem Wunsch geprägt ist, nützlich bleiben zu können.

Das mit dem Nützlichsein stammt von Bertolt Brecht, ein moralischer Grundsatz, unter dem Hölderlins schweigender Fleiß mitschwingt, sehr deutsch. Den ganzen Brecht gibt es nicht digital, er kann nicht mitfliegen, das wird mir fehlen. Gerade weil er so für dieses verlorene Deutschland steht.

Wenn ich die blau-gelben Fahnen sehe, vor deren Anblick mir graut, und die hysterischen Gefühle wahrnehme, mit denen dieses Land gerade auf Krieg getrimmt wird, wenn dieses Personal vor meinem inneren Auge vorbeispaziert, das die Berliner Bühne bevölkert, denke ich, ihnen ist das fremd, das Nützlichsein. Sie zögern nicht, um darüber nachzudenken, geschweige denn, dass es ihnen eine Maxime wäre. Sie schaden, statt zu nützen. Das Nützliche ist ihnen zu einfach, zu nüchtern, und, schlimmer noch, das Nützliche kann man abzählen und nachrechnen, gebaute Wohnungen zum Beispiel. Oder, wie Brecht es gesagt hätte, die Suppe im Topf.

Es ist nicht so, dass man für das sorgt, was man liebt. Man liebt das, wofür man sorgt. Vaterlandsliebe kann nur politisch sein; aber die deutsche Politik ist nicht mehr politisch. Zwischen oberflächlicher Emotion und Leerfloskeln verschwindet das Faktische; das, was wahr ist, bleibt unausgesprochen.

Als diese Bundesregierung den Sanktionen zustimmte, bei denen nur der Dümmste nicht begreifen konnte, dass sie dieses, unser Land im günstigsten Fall schwer schädigen, im schlimmsten zugrunde richten, gab es keinen Sturm der Entrüstung. Der Verrat wurde nicht Verrat genannt. Das Land, das einmal für seine genaue Sprache, für seine scharfen Definitionen bekannt war, hat nicht einmal mehr Worte, um das richtig zu benennen, was geschieht.

Wenn ich zusammenfassen müsste, was an diesem Deutschland schätzenswert ist, dann ist das eine Geste. Ein Tischler, der ein letztes Mal mit der Hand über die blanke, glatte Fläche eines neuen Tisches streicht. Ein Maurer, der mit einem kurzen Zögern den letzten Stein setzt. Eine Schneiderin, die den letzten Faden eines Kleidungsstücks durchtrennt und es vor sich hält, um die fertige Arbeit zu betrachten. Stolz auf das, was man tut, und Stolz darauf, es gut getan zu haben, aber ein nüchterner, fast schamhafter Stolz.

Wenn man die Stadt Berlin betrachtet, kann man das nicht finden. Der Zustand der Straßen ist so beschämend wie die Schlafplätze der Obdachlosen oder die Bahnhöfe der U-Bahn, und es gibt hektische Aktivität, die lautstark verkündet wird, der aber jeder Anspruch, etwas gut getan haben zu wollen, abgeht. Aber Berlin ist nur die Essenz eines vernachlässigten Landes. So wie das Ahrtal, Symptom und Prognose in einem.

In den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gab es eine große Debatte um die "Sekundärtugenden" – Pünktlichkeit, Genauigkeit, Loyalität. Sie wurden verworfen, weil sie für die großen Menschheitsverbrechen der Nazis nützlich waren. Dabei war es nicht ein Zuviel an Sekundärtugenden, sondern ein Zuwenig an Bildung und Verstand, was verwerflich war. Ein Zuwenig an persönlicher Verantwortung. Ja, Letzteres allem anderen voraus, denn es ist die Preisgabe dieser persönlichen Verantwortung, die Menschen zu willigen Werkzeugen des Verbrechens macht.

Man kann das sehen, wenn man sich die Fackelmärsche für Stepan Bandera in der Ukraine ansieht. Das dauert nur 30 Sekunden. Man muss nur hören, wie die Menge die Parolen ruft. Es gibt immer einen Vorbrüller, und alle brüllen nach, und die Art, wie sie brüllen, zeigt, dass sie ihr eigenes Denken, Fühlen, Sein abgeschaltet und untergeordnet haben, diese Abschaltung geradezu zelebrieren.

Etwas ähnliches passiert gerade in Deutschland. Es hat sich vorbereitet seit 2014, als die zaghafte Friedensbewegung, die sich zum Donbasskrieg gebildet hatte, mit dem Querfront-Vorwurf unter Feuer genommen wurde. Die ganze Corona-Politik lässt sich jetzt tatsächlich als Bestandteil dieser Entwicklung erkennen. Glaube, was dir gesagt wird, dann bist du ein guter Mensch. Glaubst du nicht, erfinden wir hundert kleine Schritte, dir das Leben unendlich zu erschweren.

Auch die Belohnung für diese Preisgabe der Verantwortung ist jene, die den Ukronazis gereicht wird. Wer sich das Etikett des Guten verdient hat, darf mit Hass und Verachtung auf all jene blicken, die nicht gut sind, und bekommt noch bestätigt, dass sein Hass keiner ist, sondern Teil des Guten. Denn es wird immer wieder formuliert: Hass und Hetze, das sind die anderen. Die Ungeimpften, die Putinversteher, die Querdenker.

Wäre das alles, es wäre noch kein Grund zu gehen. Ich bin in Bayern aufgewachsen, in München, und habe schon mit zwölf kommunistische Flugblätter verteilt; das verschafft ein ziemlich dickes Fell.

Dass mich gerade dieses dicke Fell über einige Tatsachen hinweggetäuscht hat, erkannte ich erst im Zusammenhang mit dem Putsch in der Ukraine. Einige Wochen vor Odessa gab es eine Anti-Maidan-Demonstration in Saporoschje, die von Maidan-Anhängern eingekesselt und über Stunden hinweg mit allen möglichen Dingen beworfen wurde. Ich sah auch diesen Tag im Stream. Es war eine Stimmung, die schon Gewalt mit einschloss, aber gerade noch vor Mord zurückschreckte. Besonders aufgefallen ist mir eine Frau mittleren Alters, gut bürgerlich zurechtgemacht, die in diesem äußeren Ring stand und ihre Parolen rief, und ihr war dabei deutlich anzusehen, wie sie diesen Moment der Überlegenheit genoss. Der Kommentar, der nebenher im Stream lief und den ich Abschnitt für Abschnitt durch den Übersetzer schaufelte, um überhaupt verstehen zu können, was da geschah, war voller Empörung. "Das ist Faschismus."

Ich stutzte. Denn diese Frau in ihrer bösartigen Arroganz entsprach genau dem, was ich von denen kannte, die mir damals beim Flugblattverteilen an den Kopf geworfen hatten, ich gehörte in ein Lager oder an die Wand gestellt und Ähnliches mehr. Diejenigen, die so reagiert hatten, waren in der Regel zwischen 60 und 70. Aber erst, als ich diese Reaktionen auf diesen Moment in Saporoschje gelesen und darüber nachgedacht hatte, wurde mir klar, dass jene Bösartigen Jahrzehnte davor in München nicht einfach nur fanatische Antikommunisten waren, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Nazis. Täter, deren Mordwünsche der Schatten vergangener Morde waren, so wie diese Reaktionen in Saporoschje die Ankündigung kommender.

Ich habe schon genug darüber geschrieben, wie das Massaker von Odessa der Moment wurde, an dem sich die Welten trennten. Was damit und danach passierte, das Ausmaß der blanken Lüge in Medien und Politik, überraschte mich dennoch. So wie der feste Wille, den Faschismus in der Ukraine zu übersehen, der bis tief in die Reihen jener reichte, die sich als links definieren, und inzwischen noch tiefer reicht. Ich trieb mich auf russischen Blogs herum und versuchte, mich mit automatischen Übersetzungen in dieser fremden Welt zurechtzufinden und zu überprüfen, ob meine Wahrnehmung des ukrainischen Geschehens stimmte. Was ich las, erinnerte sehr an deutsche Berichte aus den Jahren 1933 und 1934. Selbst die Videos, wie Anhänger des Rechten Sektors die Sitzungen von Kommunalparlamenten stürmten, wirkten wie Aufnahmen der SA.

Wenn es etwas gibt, wozu die deutsche Geschichte verpflichtet, dann ist es, dem Nazismus entgegenzutreten. Das war schon vor acht Jahren nicht simpel, denn die Formulierung "gegen rechts" hatte bereits jede wirkliche Analyse des Faschismus ersetzt und machte völlig blind dafür, dass der Unterschied zwischen Konservativen und Faschisten im Kampf gegen den Faschismus der zwischen möglichen Bündnispartnern und Feinden ist. Das zeigt die Geschichte des deutschen Widerstands und auch die Geschichte des Nationalkomitees Freies Deutschland, das noch während des Krieges die Vorarbeiten für eine vom Nazismus befreite Gesellschaft begann.

Ein Grund, warum die deutsche Linke so blind für den wirklichen Verlauf der ukrainischen Frontlinie und so bereit ist, sich vor den gänzlich falschen Karren spannen zu lassen, ist die völlige Unkenntnis dieser Geschichte. Es lebt sich bequemer damit, die Existenz der Nation zu verleugnen, als sich auf das beständige Ringen darum einzulassen. Denn das erfordert einen politischen Einsatz, der nicht flüchtig von Empörung und Moden bestimmt wird, sondern Zähigkeit, Lernwillen und Opferbereitschaft voraussetzt.

Das "Rechts", gegen das man sein will, wird sehr oberflächlich definiert, ohne Betrachtung realer Interessen, und es wird nicht einmal tatsächlich dagegen gekämpft, was den Willen, zu überzeugen, mit einschlösse, sondern nur ausgegrenzt. Dabei ist es immer die aktuelle politische Mode, die die Linie vorgibt; sei es Klima, sei es Migration, sei es die Frage von Krieg und Frieden. So billig ist wirklicher Antifaschismus nicht zu haben. Da geht es tatsächlich gegen die Negation des Menschlichen, und um dagegen zu bestehen, muss man sich der eigenen Menschlichkeit gewiss sein.

Diese Maßstäbe des Menschlichen sind verloren gegangen in Deutschland. Das, was augenblicklich gegen Russland vorgetragen wird, wäre nicht möglich, wenn man sich der Tatsache bewusst wäre, dass der größte Sieg der Roten Armee darin bestand, keine Rache geübt zu haben. Für über tausend zerstörte Städte. Für vier Jahre erbitterten Kampfes. Für die Abermillionen Opfer der deutschen Besatzung. Es ist dieser Sieg, diese verschwiegene Tatsache, die den Triumph der Roten Armee im wahrsten Sinne zu einem Sieg der Menschheit gemacht hatte und die gleichzeitig dazu führt, dass jede Schmälerung dieser Leistung zugleich eine Abkehr von der Menschlichkeit selbst ist.

Aber zurück in die hiesige Gegenwart. Selbst der Wahn und die Kriegstreiberei in den Medien dieses Landes und diese vielen hysterisch Eingenordeten wären eher eine Frage des Ertragenkönnens. Die Erosion des Rechts ist es, die letztlich entscheidet, an welchem Punkt sich das Land befindet.

Der demokratische Zustand eines bürgerlichen Staates verschwindet nicht in einem Schritt. Er bröckelt. Die tragenden Mauern werden Stück für Stück schwächer, bis der Rest des Gebäudes auf einen Schlag zusammenbricht. Der Weg zu Adolf Hitler hatte über Heinrich Brüning und Karl Zörgiebel geführt.

Als im letzten Jahr das Bundesverfassungsgericht die Corona-Maßnahmen für rechtens erklärte, war das einer der größeren Brocken. Der Raum für abweichende Meinungen wird stetig kleiner. Er war in der Bundesrepublik nie besonders groß, aber wenn man betrachtet, was alles zu sagen inzwischen verboten ist, was alles nicht mehr gezeigt werden darf, welche schlichten Meinungen Arbeit und Karriere kosten können, ist fast nichts mehr davon übrig.

Das Tempo erhöht sich immer weiter. Wenn die taz, die einmal als Gegenprojekt zur Konzernpresse gegründet worden war, einen faschistischen Text druckt, weil die Autorin gegen Putin ist, zeigt das, wie tief der Verfall vorgedrungen ist. Am 9. Mai am sowjetischen Ehrenmal die sowjetische Fahne zu verbieten, das ist nicht einfach nur eine Verzerrung der Geschichte. Es ist eine Entscheidung in der Gegenwart, die anhand eines historischen Musters getroffen wird. So war es 2014 in der Ukraine. Die Geschichte kann Vorbilder liefern, aber die Entscheidung bezieht sich immer auf das Heute und trägt in ihm ihre Früchte.

Sich an die Seite von Asow-Kämpfern zu stellen ist nichts anderes, als Franco zu unterstützen oder kolumbianische Todesschwadronen. Solche Dinge hat der Westen all die Jahrzehnte über getan. Er tat es meist im Verborgenen, gegen die offizielle Erzählung von Demokratie und Rechtsstaat. Jetzt aber wird eine aktive Zustimmung gefordert; die NATO mitsamt ihren braunen Handlangern ist Staatsdoktrin, auf die ein Schwur verlangt wird, und es werden die passenden Gesetze geschneidert, um jeden Widerstand zu unterbinden. Unter der Überschrift Corona konnten wir bereits verfolgen, wie das funktioniert; nie gab es so viele Demonstrationsverbote.

Es sind die Maßnahmen des staatlichen Apparats, die den Unterschied machen zwischen Sympathie für faschistische Positionen und einer faschistischen Herrschaft. Auf der Ebene der EU wie auf der deutschen werden abweichende, vor allem gegen die NATO gerichtete Positionen nicht nur mit vielfachen Methoden an Veröffentlichung und Verbreitung gehindert, es zeichnet sich ab, dass sie unter Strafe gestellt werden sollen. In Österreich existiert bereits ein Gesetz, das das Teilen der Inhalte von RT mit Strafgeldern belegt. Das Verbot des Buchstaben Z in Deutschland geht in eine ähnliche Richtung. Wenn schon solche Kleinigkeiten zu Strafverfahren führen, was bedeutet das dann für die Verfasser von Texten wie dem meinen?

Die Verwendung des Buchstabens Z wird "Befürwortung eines Angriffskriegs" genannt. Diese Nutzung dieses Paragrafen ist der Endpunkt einer kompletten Verleugnung seines eigentlichen Ursprungs. Denn es war der Nürnberger Gerichtshof gewesen, der den Angriffskrieg zum ultimativen völkerrechtlichen Verbrechen erklärt hatte. Den Angriffskrieg Hitlerdeutschlands, unter anderem gegen die Sowjetunion. Diese Paragrafen zielten nicht auf Meinungen, sondern auf Handlungen und insbesondere auf jene Menschen, die solche Handlungen tatsächlich vornehmen können.

Als die Bundesrepublik Belgrad bombardierte, war das ein Angriffskrieg. Einer der strafrechtlich relevanten Befürworter hieß Joschka Fischer und war deutscher Außenminister. Schon damals war aber das deutsche Rechtssystem so weit auf den Hund gekommen und die Friedensbewegung so schwach, dass die Klage wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen die damalige Bundesregierung scheiterte. Die Begründung des Verfassungsgerichts lautete, nur die Vorbereitung, nicht die Führung eines Angriffskriegs sei strafbar …

Jetzt wird ein Paragraf, der sich auf Regierungshandeln bezieht, auf Meinungsäußerungen angewandt. Die Verwischung der Grenze zwischen Meinung und Handlung ist allerdings ein Merkmal, das die Nazijustiz ausgezeichnet hatte. Roland Freislers Volksgerichtshof hatte für Meinungen Todesurteile verhängt. Dass nun eine Rechtsfolge der Nürnberger Prozesse genutzt wird, um sich den Praktiken der dort ebenfalls verurteilten faschistischen Justiz anzunähern, zeigt, wo eine Verdrehung der Geschichte endet.

Es wird Nacht über Deutschland, aber ich will und werde mich dieser Dunkelheit nicht beugen. Doch meine Waffe ist das Wort; und hier wird versucht werden, sie mir und meinesgleichen aus der Hand zu nehmen. Andere widerstehen mit anderen Mitteln und treffen andere Entscheidungen, und ihre Aufgabe ist gewiss nicht leichter. Ich werde das Land verlassen.

Wenn ich darüber nachdenke, wie sich all jene gefühlt hatten, die damals gegangen waren, Brecht, Eisler, Therese Giehse, Thomas Mann, Oskar Maria Graf, Anna Seghers, Kurt Tucholsky, was in ihnen vorgegangen war angesichts eines Landes, das plötzlich mit Hakenkreuzfahnen gespickt gewesen war, frage ich mich, ob es dieselbe Mischung aus Unwirklichkeit und Ekel war, mit der ich heute dieses Blau-Gelb sehe. Mit der ich diese kriegslüsternen Zeilen der Tagespresse lese. Ob sie auch diese zwei Stimmen hörten, die eine, die sagt: "Es ist noch nicht so schlimm", und die andere, die zum Aufbruch drängt. Wie schwer es auf den Schultern lag, neben der eigenen Haut die Ehre des Landes zu bewahren.

Ich hoffe, dass ich ein Stück des anderen Deutschland retten kann, so wie sie es retten konnten. Den Käsekuchen und das Brot kann ich mir inzwischen selber backen. Wenn ich durch Moskauer Straßen gehe statt durch Münchner oder Berliner, liegt mein Weg wieder über jenen der Vergangenheit, anders und doch gleich. Vielleicht gibt es auch den dritten Berührungspunkt einer Rückkehr und eines Neuanfangs.

"O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
Allduldend, gleich der schweigenden Mutter Erd,
Und allverkannt, wenn schon aus deiner
Tiefe die Fremden ihr Bestes haben!"

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