Ein Kommentar von Dagmar Henn
Vor den Veranstaltungen zum 8. und 9. Mai waren die Berliner Behörden sehr fleißig und strickten eine lange Liste mit Verboten. Russische und sowjetische Fahnen, die Buchstaben Z und V sowie die Fahnen von Donezk und Lugansk sollten nicht gezeigt werden dürfen – mit der Begründung, damit billige man einen Angriffskrieg; vorsichtshalber dann aber zumindest auch nicht die ukrainische, weil wohl klar war, dass sonst Auseinandersetzungen garantiert wären.
Und dann passieren so Sachen ... wie, dass die Straße zum Treptower Ehrenmal gesperrt wird, als längst noch nicht alle dort waren, die mit dem russischen Botschafter Kränze niederlegen wollten. Sodass der Kranz des Vereins Friedensbrücke e.V. mitsamt seinen Trägern mit einer ganzen Stunde Verspätung eintraf, als die offizielle Delegation das Ehrenmal bereits wieder verlassen hatte.
Aber immerhin, durch die Eingangskontrollen ging der Kranz noch – auch mit den beiden Fähnchen, die drin steckten; schließlich konnte der Kranz nichts für die Straßensperrung. Nur war sich auch die Polizei nicht ganz einig und später rupfte dann doch noch ein Beamter den Schmuck vom Kranz. Einem anderen Teilnehmer wurde sogar eine schlichte rote Fahne abgenommen. Die klassische Fahne der Arbeiterbewegung scheint den Berliner Ordnungshütern inzwischen auch nicht mehr vertraut zu sein.
Die Verbote waren ja auch nicht ganz einfach. Bei einer Gruppe Singender entspann sich etwa ein Dialog darüber, welche Lieder als Marsch und damit als "Kriegslied" zu gelten hätten und welche nicht. "Das ist kein Marsch, das ist ein Dreivierteltakt", rief einer der Sänger in die Debatte. Dem hatte die Polizei nichts entgegenzusetzen. Erkannt hat sie das Stück jedenfalls nicht.
Als die Vorsitzende des Vereins im Laufe des Nachmittags, um einige Fotos zu machen, nur kurz eine Fahne der Donezker Volksrepublik entfaltete, waren die Ordnungshüter allerdings sofort zur Stelle. Und wieder waren sie uneins: Einer murmelte etwas von "Straftat", ein anderer von Auflagenverstoß, was nur eine Ordnungswidrigkeit wäre. Jedenfalls führten sie die Besitzerin der Fahne ab, nahmen ihre Personalien auf und beschlagnahmten den verdächtigen Gegenstand.
Übrigens saßen nach Aussagen von Zeugen währenddessen mehrere Personen unbehelligt in ukrainische Fahnen gehüllt in einem anderen Bereich des Ehrenmals, obwohl auch das Zeigen dieser Fahnen ja untersagt worden war.
Jetzt wartet die Delinquentin auf Post. Genauer darauf, ob das nun als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat klassifiziert wird. Im letzteren Fall würde sie sich nämlich schon auf die vielen Beweisanträge freuen, die sie stellen könnte, um zu belegen, dass die Volksrepublik Donezk gar keinen Angriffskrieg führen kann, weil sie sich nur gegen Angriffe zur Wehr setzt, deren Opfer sie seit acht Jahren ist. Dank der Tätigkeit des Vereins in humanitärer Hilfe für den Donbass besitzt sie reichhaltiges Material, um das zu belegen, und kann sogar aus persönlicher Erfahrung bezeugen, dass Schulen und Wohngebiete gezielt beschossen wurden.
Der Berliner Presse jedenfalls war das Vorgehen der Polizei nicht genug auf Krawall gebürstet. Die hatte sich schon im Vorfeld über das Verbot ukrainischer Fahnen mokiert und fand nun, die Verbote seien gegenüber sowjetischen und russischen Fahnen nicht entschlossen genug durchgesetzt worden. Die Berliner Zeitung empört sich darüber, dass "russische Militärlieder im Treptower Park gespielt und gesungen wurden". Ihnen wäre es sichtlich lieber gewesen, die Polizei hätte unter Einsatz körperlicher Gewalt über den Gräbern sowjetischer Soldaten den Weg für die blaugelben Fahnen ihrer einstigen Feinde freigemacht (blaugelb war auch das Abzeichen der SS-Division Galizien).
So aber blieb zumindest ein Rest der an diesem Tag angebrachten Feier übrig, die Würde der einstigen Befreier wurde ein Stück weit gewahrt, ebenso war eine kleine Atempause vom beständigen proukrainischen Kriegsgetrommel gewährt.
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