von Pierre Lévy
Am 3. Mai wurde der "Welttag der Pressefreiheit" begangen. Der Chefdiplomat der EU, Josep Borrell, ließ sich diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen und verurteilte in fast seiner gesamten Erklärung "die russischen Kräfte, (die) die Journalisten und Akteure der Zivilgesellschaft festhalten, entführen und ins Visier nehmen, um die Welt daran zu hindern, die Wahrheit zu hören".
Die Europäische Kommission erinnerte daran, dass sie sich als Vorkämpferin für die Verteidigung der Medienfreiheit betrachte. Die französische EU-Ratspräsidentschaft heckt ihrerseits Maßnahmen aus, die "finanzielle, rechtliche und professionelle Unterstützung" fördern und die Aufnahme "unabhängiger Journalisten und anderer Medien im Exil, insbesondere aus der Ukraine, Weißrussland und der Russischen Föderation, die in der Europäischen Union Zuflucht gefunden haben", ermöglichen sollen.
Paris schlägt auch Mechanismen zur Einführung von "Kriterien und Standards" für guten Journalismus vor, die es unter anderem ermöglichen würden, Werbung auf Online-Medien zu lenken, die diese Kriterien einhalten.
Üble Gesellen werden anmerken, dass doch Kommission und Rat für die Entscheidung verantwortlich waren, die Ausstrahlung der Sender RT und Sputnik am 2. März zu "suspendieren". Aber damit hat es hier nichts zu tun: Es ging darum, eine einseitige Propaganda daran zu hindern, unsere Gesellschaften tief zu destabilisieren…
Die Kommission hat im Übrigen gerade daran erinnert, dass sie gegenüber Medien, die Lust hätten, sich zu Komplizen Moskaus zu machen, besonders wachsam bleibt: Aus diesem Grund wurden die "Anti-Umgehungs-"Maßnahmen eingeführt.
Und in diesem Rahmen wurde der italienische Sender Rete 4 (Mediaset-Gruppe) zur Ordnung gerufen. Dieser Mainstream-Kanal hatte die Frechheit besessen, am 1. Mai ein Interview mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow auszustrahlen. Dies war sicherlich eine von Moskau erfolgreich ausgeheckte Verschwörung, denn eine Vizepräsidentin des Europaparlaments, die Italienerin Pina Picierno, forderte, dass "geklärt werden muss, was passiert ist".
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" – die gerade am 3. Mai ihren Jahresbericht über die Pressefreiheit in der Welt veröffentlicht hat und nicht zimperlich mit Russland umgeht – missbilligte die Verbannung von RT und Sputnik und erinnerte daran, dass es "keinen angemessenen Rechtsrahmen" für ein solches Verbot gebe.
Norwegen – das nicht Mitglied der EU ist – vertrat seinerseits die Ansicht, dass die beiden russischen öffentlichen Medien "keine Bedrohung für die grundlegenden Interessen der Gesellschaft darstellen".
Oslo sollte sich in Acht nehmen: Mit einer solch ikonoklastischen Bemerkung könnte dem Land ein EU-Embargo für seine Kohlenwasserstoffexporte auferlegt werden, das dem von Brüssel gegen Russland verhängten Embargo ähnelt.
Das würde zwar den Zugang der EU-Länder zu Gas und Öl (von denen Norwegen ein sehr großer Lieferant ist) noch ein wenig komplizierter machen. Aber kein Problem: Es gibt ja noch Katar, ein Emirat, das Robert Habeck kürzlich besucht hat, um nach neuen Gas-Verträgen Ausschau zu halten. Endlich ein Lieferant, dessen Ruf in Sachen Menschenrechte tadellos und dessen Respekt für die Pressefreiheit über jeden Verdacht erhaben ist!
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