von Gert Ewen Ungar
Am 21. April wurde die Leiterin der russischen Zentralbank Elwira Nabiullina von der Staatsduma wiedergewählt. Zuvor hatte sie ihren Rechenschaftsbericht präsentiert. In einem Beitrag vom 29. April porträtiert die Tagesschau die Chefin der russischen Zentralbank in gewohnt einseitiger, manipulativer Weise. Nabiullina leite ein Himmelfahrtskommando und dürfe darüber hinaus Wladimir Putin nicht verärgern, lässt die Tagesschau ihre Leser einleitend wissen. Die deutschen Nachrichten zu Russland sind eine Aneinanderreihung von Stereotypen und Klischees, die mit den tatsächlichen Vorgängen in Russland wenig zu tun haben. Diese sehen nämlich so aus:
In ihrer Rede vor der russischen Staatsduma ging die Zentralbankchefin auf die Ausgangssituation vor Verhängung der massiven Sanktionen ein, legte dar, welche geldpolitischen Maßnahmen zur Abfederung ergriffen worden waren, und gab einen Ausblick. Gegen Ende ihrer Rede stellte sie den Umbau der russischen Wirtschaft in den Mittelpunkt. Deutlich wird darüber hinaus die enge Abstimmung zwischen Regierung und Zentralbank. Die geldpolitischen Maßnahmen werden vom Gesetzgeber mit wirtschafts- und sozialpolitischen Programmen begleitet.
Nabiullina skizziert die Ausgangslage zu Beginn der umfassenden Sanktionen. Diese ist in grundlegender Weise anders als die der EU, des Euro-Währungsraums und auch Deutschlands. Während der COVID-19-Pandemie ist die russische Wirtschaft um 3,9 Prozent eingebrochen. Dieser Einbruch wurde im Jahr 2021 durch ein Wachstum von 4,7 Prozent jedoch wieder aufgeholt. Die russische Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr so stark wie seit 15 Jahren nicht.
Anders sieht es im Euroraum und in Deutschland aus. Deutschland konnte im vergangenen Jahr nicht auf das Vorkrisenniveau zurückkehren, und auch der Euroraum verblieb nach einem Einbruch um 6,6 Prozent im Pandemie-Jahr mit einem Wachstum von 5,3 Prozent unterhalb seines Niveaus von 2019. Im Euroraum deuten zahlreiche Indikatoren zudem auf eine strukturelle Schwäche hin, die durch die Einschränkungen in der COVID-19-Pandemie und jetzt durch das Sanktionsregime noch verstärkt wird. Der Anteil der EU an der Weltwirtschaft geht jedenfalls seit Jahren stetig zurück.
Und während im Euroraum die Arbeitslosigkeit mit über sieben Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit mit 14 Prozent anhaltend hoch bleiben, verzeichnete die russische Wirtschaft ein historisches Minimum. Sie lag Ende 2021 unter fünf Prozent – landesweit.
Das Wachstum der Kreditvergabe deutete die Zentralbankchefin als hohe Investitionsdynamik. Auch hier sieht es in der Eurozone und in Deutschland anders aus. In der Eurozone hält man Sparen für die höchste Tugend und verzögert deshalb notwendige Investitionen. Man ruht sich aus und zehrt von der Substanz.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch der niedrige Schuldenstand der Russischen Föderation. Dennoch gibt es trotz der sehr niedrigen Auslandsschulden Russlands den Versuch, Russland in einen technischen Bankrott zu treiben. Bisher konnte das abgewendet werden.
Zu Beginn der Sanktionen hatte sich die russische Zentralbank kurzzeitig gezwungen gesehen, den Leitzins auf 20 Prozent anzuheben und Kapitalverkehrskontrollen einzuführen. Inzwischen konnte der Leitzins allerdings wieder gesenkt werden.
Nabiullina betont die Wichtigkeit der Diversifizierung der russischen Reserven und beschreibt das Projekt der Entdollarisierung und die Loslösung vom Euro. Seit 2014 stehe das Land unter zunehmendem Sanktionsdruck. Russland kaufte daher vermehrt Gold, und der Anteil des chinesischen Yuan an den Reserven stieg von null auf 17 Prozent, während der Bestand an Dollar stark gesenkt werden konnte. Der Westen erwies sich als unzuverlässiger Partner, der Dollar ist für Russland alles andere als ein sicherer Hafen. Mit dem Einfrieren russischer Devisen erreichten USA und EU vor allem eines: Sie diskreditierten ihre eigenen Währungen.
Zu Beginn der Sanktionen war das zentrale Ziel die Stabilisierung des russischen Bankenmarktes. Dazu gab es eine Vielzahl von Maßnahmen. Die russische Alternative zum Zahlungssystem SWIFT konnte sich in Russland inzwischen vollständig etablieren. Es gibt ein Moratorium für die Rückzahlung von Krediten sowie Maßnahmen zur Stabilisierung kleiner und mittlerer Unternehmen.
Insgesamt ist Russland in einer anderen Situation als die EU. Die wirtschaftlichen Kennzahlen waren zu Beginn des Sanktionsregimes besser. Russland reagiert mit wirtschaftspolitischer Vernunft und unternimmt alles, die russische Wirtschaft und den russischen Bankenmarkt zu stabilisieren, während die EU in einer Art wütender Raserei bereit ist, die eigenen Wirtschaft und den eigenen Wohlstand zu opfern.
Aber es gibt noch einen zentralen Unterschied: Russland ist wichtiger Rohstofflieferant und Lieferant von Vorprodukten. Insbesondere Deutschland, aber auch die EU sind von Russland direkt abhängig. Russische Kohlenwasserstoffe lassen sich nicht einfach ersetzen. Die Vorstellung, die unter anderem der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck offenkundig hat, der globale Energiemarkt funktioniere wie ein Supermarkt, in dem man als Verbraucher aus unterschiedlichen Marken ein Produkt für sich auswählen kann, ist falsch. Russischer Kohlenwasserstoff ist auf dem Weltmarkt nicht zu ersetzen. Man kann sicherlich unter großer Kraftanstrengung und mit enormen Umstellungskosten verbunden den Markt einmal auf den Kopf stellen und die Verteilung neu organisieren. Das führte allerdings nicht dazu, dass Russland über seine Energieträger keine Einnahmen mehr generiert. Es zahlte nur künftig jemand anders.
Energieversorgung wird für uns dadurch teurer, die EU und Deutschland verlieren mit diesem Schritt an Wettbewerbsfähigkeit. Die Umstellung ist zudem zeitaufwändig. Die von Habeck aktuell gemeldete Senkung der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas geht eher auf Verschleierungstaktiken zurück, mit denen versteckt wird, wo die Energieträger tatsächlich herstammen, als mit einer echten Abkehr von russischem Öl und Gas. Man belügt sich selbst. Es gibt keine Alternativen zu russischer Energie.
In Katar nahm man den Bittsteller-Besuch von Habeck übrigens verwundert zur Kenntnis. Schließlich liegt eine betriebsfertige Pipeline in der Ostsee, die lediglich aus ideologischen Gründen nicht ans Netz geht. Diese deutsche Idiotie wird sich absehbar im Gaspreis der Importe aus Katar niederschlagen. Wer als Bittsteller kommt, zahlt mehr.
Mit wohl der klügste Schritt der russischen Geldpolitik war die Abkehr von Euro zur Bezahlung von russischem Gas. Die Länder der EU müssen künftig ihre Gasrechnungen in Rubel begleichen. Dazu eröffnen sie ein Konto bei der Gazprombank, die nicht sanktioniert wurde. Zahlungen darauf erfolgen in Euro, werden dann aber zum tagesaktuellen Kurs in Rubel umgerechnet. Seitdem hat sich der Kurs des Rubel stabilisiert. Der Rubel notiert aktuell fester als vor Kriegsbeginn.
Die EU wird ohne russisches Gas nicht auskommen können. Sie manövrierte sich in eine Verliererposition. Die EU verlor sogar so weit den Kontakt zur Realität, dass sie weiterhin auf Gaslieferung zu den alten Bedingungen besteht. Das heißt, Russland soll faktisch Gas zum Nulltarif liefern, denn die Bezahlung erfolgte dann auf die gesperrten Konten. Das ist natürlich völlig absurd.
Insgesamt sieht es für den Moment so aus, als hätte Russland einige Schlachten im Wirtschaftskrieg für sich entscheiden können. Natürlich wird auch die russische Wirtschaft einbrechen. Vermutlich aber kommt sie auch dieses Mal besser durch die Krise als Deutschland und die EU, zumal die EU und Deutschland kaum Maßnahmen ergreifen, die den Rückstoß der Sanktionen auf die eigene Wirtschaft abfedern. Die EU hat sich überschätzt.
Für die Zukunft stellt Nabiullina den Umbau der russischen Wirtschaft in Aussicht. Die Importabhängigkeit vom Westen soll weiter verringert, Alternativen zu westlichen Importen sollen gefunden werden. Staatliche Förderprogramme lösen eine Art Gründerzeitboom in Russland aus. Es scheint, als könne die russische Wirtschaft auch in dieser Sanktionsrunde mehr Nutzen als Schaden aus den Sanktionen ziehen. Der Westen aber wird seine Position auf dem russischen Markt dauerhaft verlieren. Vor diesem Hintergrund wirken die westlichen Sanktionen insgesamt wenig durchdacht und selbstzerstörerisch.
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