Ein Kommentar von Andrei Suschenzow
In der Gemeinschaft der politischen Analysten im Westen wird der derzeitige beispiellose wirtschaftliche Druck auf Russland als nicht umkehrbar bezeichnet und als erfolgreicher Prozess dargestellt. In den Vereinigten Staaten ist man sich jedoch im Klaren, dass der Einsatz in diesem Spiel von vergleichbarer Bedeutung ist wie der von Russland und vielleicht sogar noch höher angesetzt sein könnte.
Letzten Endes steht jetzt das Schicksal des Dollars als wichtigste Reservewährung der Welt auf dem Spiel, und zudem wurde mit den Sanktionen die grundlegende Logik der Weltwirtschaft infrage gestellt. In diesem Rahmen tauschten die wichtigsten Produzenten von Ressourcen und Gütern, namentlich Russland und China, ihre physischen Waren gegen grüne Banknoten und stapelten sie in westlichen Banken, in dem Glauben, dass sie jederzeit Zugriff darauf haben würden.
Jetzt aber stellt sich für viele nach außenpolitischer Unabhängigkeit strebende Länder die Frage: Wo genau und in welcher Form sollen die Gewinne und Überschüsse ihrer Ressourcen gelagert werden? Macht es überhaupt noch Sinn, dies in Form von im Westen gehaltenen US-Staatsanleihen zu tun? Oder ist es sinnvoller, Ressourcen gegen Ressourcen einzutauschen, über die souveräne Staaten frei verfügen können, unabhängig davon, wer was von ihrer jeweiligen Außenpolitik hält?
Diese Frage ist zu einem zentralen Punkt für das Weltwirtschaftssystem geworden. Indem das Einfrieren russischer Gold- und Devisenreserven eingeleitet wurde, lösten die Amerikaner eine Kettenreaktion aus Zweifel an der globalen Grundlage der Weltwirtschaft und an der Sicherheit der finanziellen Vermögenswerte der Länder auf ausländischen Märkten aus.
Es liegt im Interesse des Westens, den globalen Charakter der Finanzmärkte zumindest teilweise aufrechtzuerhalten. Dazu ist es notwendig, nicht nur bei Staaten wie Russland und China, sondern auch bei anderen Staaten, die Schulden westlicher Staaten halten, das Interesse aufrechtzuerhalten, diese im Ausland zu lagern. Die USA erlauben es nicht, Russlands eingefrorene Gelder zur Zahlung für Auslandsschulden zu verwenden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Gelder in Zukunft wieder freigegeben werden. Dieser Schritt kann jedoch von einer Vielzahl von Bedingungen begleitet werden, die beide Seiten stellen können.
Während sich beispielsweise die Wiederbelebung des Atomabkommens mit Iran abzeichnet, beginnen die Amerikaner und Briten, Teheran sehr zuvorkommende Bedingungen anzubieten. So konnten beispielsweise die Iraner mit den Briten eine Entschädigung für Panzer aushandeln, die sie in den 1970er Jahren zwar bezahlt, aber nicht geliefert bekommen haben.
Unter amerikanischen Analysten wird auch die Idee herumgereicht, dass die USA für Russland keine aussichtslose Situation schaffen sollten, in der Moskau keine andere Wahl hat, als sich ausschließlich China zuzuwenden. Zugegebenermaßen sind solche Stimmen noch in der Minderheit – Amerikas Elite befürwortet, gerade in der aktuellen akuten Phase der Krise, mehrheitlich die wirtschaftliche Strangulation Russlands. Tatsächlich herrscht heute im Westen die illusorische Vorstellung vor, dass Sanktionswellen die russische Gesellschaft erschüttern und damit die Unterstützung für die russische Regierung untergraben wird.
Langfristig wird das Ziel, die russisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen zu torpedieren und damit die Stabilität der Weltwirtschaftsordnung zu untergraben, für die US-Regierung wichtiger. Aus diesem Grund wird die Aufhebung eines Teils der Sanktionen gegen Russland unvermeidlich. Es gibt klare Beispiele für diese Art von Aktivitäten – die Vereinigten Staaten versuchen, die Beziehungen zu Venezuela und Iran wiederzubeleben, um die Folgen der Energiekrise auf den Weltmärkten einzudämmen.
Es zeichnet sich in jedem Fall ab, dass die Weltwirtschaft in Zukunft nicht dieselbe sein wird. Als Folge der aktuellen Krise werden zwangsläufig neue globale Wirtschaftsstrukturen entstehen. Sie werden nicht so stark voneinander abhängig sein wie bisher, aber dennoch einen optimalen wirtschaftlichen Austausch unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung aller Beteiligten ermöglichen.
Das Szenario einer kompletten europäischen Ablehnung russischer Energieressourcen ist als unwahrscheinlich anzusehen. Es gibt nirgends auf der Welt eine solche Menge an überschüssigem Gas, das das russische ersetzten könnte, und es ist unmöglich, die Produktion aus anderen Quellen so rasch zu erhöhen, wie es die weltweite Nachfrage verlangt. Und der Verbrauch im Westen wächst nicht so schnell wie jener in Indien, China und Afrika.
NATO-Staaten könnten zwar mit alternativen Energielieferanten experimentieren, aber die Kosten dafür würden mindestens doppelt so hoch sein wie derzeit. Und in drei Jahren wird es schwierig werden, den deutschen Wählern zu erklären, warum sie doppelt so viel für Gas bezahlen müssen, nachdem die Ukraine-Krise zu dem Zeitpunkt bereits drei Jahre zurückliegen wird.
Bislang haben unsere "Partner" im Westen nur kurzzeitig und theatralisch ihre Bereitschaft bewiesen, das zu opfern, was kassiert werden kann. In etwa so, als würde man für ein oder zwei Wochen die Flagge einer Nation auf seinem Profilbild in den sozialen Medien setzen. Die Realität deutet jedoch darauf hin, dass eine bestimmte Form des gegenseitig akzeptablen wirtschaftlichen Austauschs im Energiesektor wieder aufgenommen wird, vor allem, um den wirtschaftlichen Druck auf die europäischen Wähler zu lindern. Auch hier gilt: Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Die Risiken des Entstehens alternativer internationaler Wirtschaftsstrukturen und die Unmöglichkeit, die Präsenz Russlands in der europäischen Wirtschaft auszuhebeln, deuten darauf hin, dass die Sanktionen des Westens über kurz oder lang zumindest teilweise aufgehoben werden. Dies gilt für die Bereiche Energie und Ernährung, im Bereich der Produktions- und Lieferketten und beim Handel mit russischen Waren und natürlichen Ressourcen, die unbedingt benötigt werden. In Zukunft werden auch die Verkehrsverbindungen, einschließlich der Luftfahrt, wieder normalisiert. Dies ist für alle europäischen Länder, einschließlich Russland, wirtschaftlich machbar und wird als Ausgangspunkt für einen neuen "kalten" Frieden auf dem europäischen Kontinent dienen.
Dieser Artikel wurde vom Waldai-Klub veröffentlicht.
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