Kommentar von Igor Malzew
Jetzt sprechen wir einmal über – man könnte sagen – "ethnische" Phobien. Also mich würde einfach mal interessieren, warum es in Russland etwa keine nennenswerte "Polonophobie", keine "Ukrophobie", ja nicht einmal Phobie gegen "die Amerikaner", also gegen US-Amerikaner, gibt. Fragt man einen x-beliebigen Passanten auf der Straße und bekommt darauf zu hören "Amerika nervt", dann meint der Befragte damit im Regelfall die US-Führungsriege und ganz sicher nicht den unbekannten Cowboy aus Utah oder einen metrosexuellen IT-Spezialisten aus Kalifornien.
Ich will hier nicht einmal auf allzu emotional gefärbte Brandmale der Geschichte zurückgreifen – und doch lag aus irgendeinem Grund Babi Jar ausgerechnet auf dem Gebiet der heutigen Ukraine –, was jetzt gewisse Phobien unter den Nachbarvölkern betrifft. Auch "die Polen" haben sich diesbezüglich mit leider etwas zweifelhaftem Ruhm bekleckert – sowohl vor als auch während des Zweiten Weltkriegs. Und ungefähr die gleichen Leute bieten jetzt ein anschauliches Beispiel – dieses Mal explizit für Russophobie – im 21. Jahrhundert, acht Jahrzehnte nach Auschwitz. Sprich, es ist ihnen also eigentlich egal, wen genau sie da hassen – heute sind es eben "die Russen" –, und sie genieren sich nicht einmal ob der zahlreichen historischen Parallelen. Das heißt, zwar zeigen die Russen selbst keine nennenswerte Ethnophobie, dagegen aber zum Beispiel einige Polen (und ebenso Ukrainer) sogar sehr krass. Und nicht nur sie.
Ich muss gestehen: Als ich zum ersten Mal gehört habe, was der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki über den Anstieg der Russophobie in Polen am 30sten März bei einer Pressekonferenz so von sich gab, meinte (oder hoffte?) ich, der schämt sich wohl einfach für seine Landsleute.
Aber das war leider zu vertrauensselig gedacht: Dieser Premierminister eines europäischen, ja eines EU-Mitgliedslandes fand darin doch tatsächlich einen Grund für nationalen Stolz. Er behauptet, sein Land könne "den Standard" für die Russophobie setzen, die in Europa zunehmend zum Mainstream werde. "So ist die Realität", hat's geheißen. Also, wie meinen?..
Es gibt also tatsächlich Leute in landesväterlicher Verantwortung auf der Ebene einer ganzen Nation, die ehrlichen Stolz für ihre Russophobie empfinden. Und schon das riecht bereits sehr bedenklich nach einem schwerwiegenden psychischen Problem.
Doch das Interessanteste daran ist, dass ihn danach niemand aus der "zivilisierten", "demokratischen" und stets "auf Toleranz bedachten" Führung der Europäischen Union dafür zurechtstutzt. In Brüssel sieht darin niemand ein Problem, also weder Chauvinismus noch Rassismus noch Aufstachelung zum ethnischen Hass. Nichts, null, nada – als sei alles auf dieser Welt somit in göttlicher Ordnung.
Aber worüber reden wir hier eigentlich? Diese Welle, die auf Betreiben der lokalen Presse und der politischen Führung von Westen her über ganz Europa schwappt, ist Teil einer bewussten Kampagne. Warum also sollte von der Leyen gegen diese Kampagne auftreten? Das ist die Ausgeburt dieser "europäischen" Politik der EU schlechthin.
Es geht um staatliche Sanktionen nicht nur gegen den "bösen Putin", sondern gegen ein ganzes Volk. "Wir werden die russische Wirtschaft ruinieren", so in etwa drückt die tief im Inneren gänzlich pazifistische Umweltaktivistin Annalena Baerbock, zufällig derzeit Bundesaußenministerin, das aus. Das heißt, sie denken nicht allein in Begriffen wie "böser Putin", sondern sie sagen es offen und meinen es ehrlich: "Die ganze russische Nation ist widerlich, und wir werden sie niederreißen." Aber, wie der russische Volksmund sagt, "dafür ist euer Niederreiß-Organ noch zu klein".
In einem der Gosse noch am ehesten geziemenden Vollrausch von Hass (nur für das Protokoll sei nochmals betont: Hass rein aus ethnischen Beweggründen), der dort Straßen wie Kneipen, ebenso Universitäten und Banken erfasst hat, in solch wütendem Hass wird das Gehirn bekanntlich vernebelt – und solche Politiker begreifen am Ende die Konsequenzen ihres eigenen Handelns nicht mehr.
Ist das etwa staatliche Planung, etwa auf dem Niveau eines Lehrbuchs der politischen Ökonomie? Davon haben sie noch nie gehört. Sie haben einfach ihre eigene Propaganda auf sich wirken lassen und sind nun auch selbst davon überzeugt, dass Russland eine Staat gewordene Zapfsäule ist, errichtet zu dem einzigen Zweck, sie selbst unter mühseliger Umgehung ihrer eigenen Sanktionen artig weiter mit Energieträgern zu füttern. Es scheint, als glichen kausale Ursache-Wirkungs-Beziehungen für diese Führungskräfte einem Hexenwerk.
Und dann erst kommen plötzlich noch Einzelheiten, Feinheiten darüber zum Vorschein, was es mit diesem bloßen "Zapfsäulistan" noch so alles auf sich hat. Da stellt sich doch zum Beispiel ganz plötzlich heraus, dass all die drastischen Sanktionen gegen ein staatliches Subjekt verhängt wurden, das die restliche Welt mit Unmengen Weizen für Brot beliefert, mit Uran ... bis hin zu seltenen Elementen ausgerechnet unverzichtbar für die Herstellung von Mikrochips, deren Einfuhr nach Russland man soeben schon mal vorsorglich verboten hatte. Solche Leute verstehen also entweder überhaupt nicht, wie die Welt und ihre wirtschaftlichen Verflechtungen aufgebaut sind – oder sie verfügen über unbekannte und unglaubliche Vorräte, eventuell von Rohstoffen, mit Sicherheit aber an beispielloser Dreistigkeit.
Wir wissen doch alle sehr wohl, dass der ehemalige US-Botschafter in Russland Michael McFaul nun Erdöl und Erdgas von Russland fordert – die der Westen irgendwann später vielleicht auch bezahlen würde, wenn Russland sich aus Sicht des Westens dann endlich anständig verhält. Er hat es nichts vorgeschlagen, sondern einfach wirklich gefordert. Und so einfach läuft all das im Westen. Dann aber sind sie überrascht, wenn ihr Bumerang, statt zuerst die erhoffte Beute zu treffen, ganz unerwartet zurücktrudelt – und gar nicht in ihren Händen landet, sondern schnurstracks im Knie oder an ihrem Hinterkopf.
Und was hat das nun alles mit der Russophobie zu tun, auf die Mateusz Morawiecki so stolz ist? Ganz einfach. Diese uralte Geschichte zeigt ein weiteres Mal: Sobald in einem Land womöglich noch selbst verschuldet wirtschaftliche oder politische Probleme aufkeimen, muss man die Aufmerksamkeit der Bürger schleunigst auf die Suche nach einem Feind lenken. Und diese Suche ist zweckmäßigerweise nach ethnischen Gesichtspunkten zu führen. Europa hat das alles schon einmal erlebt. Und wir sollten alle wissen und begreifen, wie das endet.
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Übersetzt aus dem Russischen.
Igor Malzew ist ein russischer Journalist und Schriftsteller, war und ist teils noch immer Kolumnist, politischer Kommentator und Beobachter für zahlreiche russische Blätter, stellvertretender Chefredakteur der Iswestija, erster Chefredakteur der Medwed, Chefredakteur und Gründer des Automobilressorts beim Kommersant. Er ist regelmäßiger Kolumnist beim russischen Zweig von RT.