"Außen Ministerin, innen Mutter": Ein Spiegel-Reporter, Baerbock und das Tätscheln von Kinderköpfen

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock besucht ukrainische Flüchtlinge in Moldawien und der "Spiegel" gerät in Verzückung. Hintergründe stören da nur. Schließlich ist das Mitgefühl das Tor zur Kriegswilligkeit, da darf man am Pathos nicht sparen.

von Dagmar Henn

Kinderköpfe tätscheln kommt immer gut. In Deutschland war das zwar ein paar Jahrzehnte aus der Mode geraten, weil die exzessive Nutzung blond-blauäugiger Kinder irgendwie mit Weltkrieg und Massenmord verknüpft war, aber im Moment werden ohnehin gerade allerlei politische Relikte recycelt, warum also nicht das Tätscheln.

Der zuständige Spiegel-Reporter, der Außenministerin Annalena Baerbock auf ihrem Flug nach Moldawien begleiten durfte, kriegt sich jedenfalls fast nicht mehr ein vor Bewunderung. "Außen Ministerin, innen Mutter", jubelt er schon in der Überschrift. Zugegeben, meine Assoziation zu Baerbock ist eher "außen grün, innen braun", aber ich bin ja auch kein Kerl und finde Verstand anziehender als ein hübsches Gesicht.

Baerbock flog also nach Moldawien und lieferte einen Presseauftritt mit dem moldawischen Außenminister und einen weiteren an der moldawisch-ukrainischen Grenze. Moldawien gehört gerade mal wieder zu den Guten, weil die letzten Wahlen 2020 eine "pro-europäische" Regierung hervorgebracht haben. Trotz eines in diesem Jahr gestellten Antrags auf Aufnahme in die EU ist Umfragen zu Folge dennoch eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Orientierung nach Osten, nicht nach Westen.

Übrigens hatte die moldauische Sowjetrepublik, deren Nachfolgestaat Moldawien ist, vor dem Zweiten Weltkrieg, so wie die Westukraine, einen bedeutenden Anteil jüdischer Bevölkerung. In der heutigen Hauptstadt Chisinau bildete sie sogar die größte Bevölkerungsgruppe. Die Naziwehrmacht und ihre rumänischen Verbündeten ließen davon nichts übrig. Falls der Bericht des Spiegel den Besuch vollständig wiedergibt, war das für Baerbock aber nicht einmal Anlass für einen hastigen Kranzabwurf.

Das würde auch ein wenig mit dem Objekt ihrer Zuwendung kollidieren. Schließlich flog sie nach Chisinau, um die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge publikumswirksam zu verwerten, und diese Aufnahme selbst dient schließlich vor allem dazu, die deutsche Bevölkerung zu bedingungslosen Unterstützern der Kiewer Truppen zu machen. Die sich wiederum bekanntlich auf so etwas wie das Bataillon Nachtigall beziehen, das einst im Verbund mit der Naziwehrmacht die jüdische Bevölkerung von Lwow massakriert hat.

Der Spiegel-Reporter erwähnt solche Details nicht, auch nicht, dass Moldawien, wie später dann die Ukraine, durch die politische Ausrichtung auf Rumänien bei einer weitaus gemischteren Bevölkerung erst einmal einen Bürgerkrieg erlebte, bei dem sich Transnistrien abspaltete. Das war bereits 1992; eine Entwicklung, aus der man durchaus Lehren für die Ukraine hätte ziehen können.

Nein, er erzählt eine Geschichte, wie man sie eigentlich eher in der Gelben Presse erwarten würde, jenen obskuren Blättern, die sich auf Klatsch aus europäischen Königshäusern konzentrieren, zur Hälfte aus Bildern bestehen und vor allem von älteren Damen mit Dauerwelle konsumiert werden.

"Sie hört gar nicht mehr auf, sie ist neugierig, sie will alles wissen. (…) Dabei löchert sie den Chef der moldauischen Grenzpolizei mit unzähligen Fragen, es sind praktische Fragen, lebensnahe, keine politischen."

Komisch. Ist Politik nicht die Aufgabe einer Außenministerin? Gut, man kann sich ernstlich fragen, inwiefern Baerbock eine deutsche Außenministerin ist, schließlich hieße das, deutsche Interessen zu vertreten, was sie spätestens seit Nord Stream 2 nachweislich nicht tut, aber wenn sie keine Politik betreibt, was tut sie dann? Sie menschelt. Behauptet zumindest der Reporter Christoph Schult.

Klar, kann man machen, wenn man jeden Hintergrund ausblendet. Immerhin hat Baerbock zur jetzigen Lage persönlich beigetragen, mit ihrer Ignoranz bezüglich der Minsker Vereinbarungen und ihrer bedingungslosen Unterstützung der dubiosen Kiewer Macht. Hätte die deutsche Außenpolitik sich tatsächlich für einen Frieden im Donbass eingesetzt, es gäbe heute keine Flüchtlinge an der ukrainischen Grenze. Aber Baerbock absolviert einen PR-Termin, ohne die mindesten Gewissensbisse, und Schult erwartet von ihr auch keine.

"Wie viele Geflüchtete kommen pro Tag?", fragt sie laut Schult, "wie lange müssen die Flüchtlinge warten?", und "kommen viele Verwundete?" Harmlose Fragen, harmlose Antworten. Interessant ist, wie die Antwort auf die letzte Frage lautet: "Nicht in den vergangenen Tagen, aber es kommen jetzt verstärkt Menschen aus Mariupol." Und der Spiegel-Reporter fügt dann hinzu. "Mariupol, das ist die Stadt in der Ukraine, die mit am stärksten von den Russen attackiert wird." "Baerbock fragt, als wäre sie eine Reporterin.", schließt Schult diesen Dialog ab.

Wirklich interessant ist eigentlich, dass Mariupol bei der Frage nach Verwundeten erwähnt wird. Wenn man die Berichte aus Mariupol kennt, die besagen, dass die Nazitruppen von Asow niemanden aus der Stadt lassen; wenn man die Videos gesehen hat, auf denen sie Flüchtende erschießen, dann versteht man den Zusammenhang zwischen Mariupol und Verwundeten. Schult übersieht ihn. Er wundert sich noch nicht einmal, sondern erklärt sich das schlicht mit "den Russen." Was noch nicht einmal genau ist, denn ein Teil der Truppen, die Mariupol eingekreist haben, kommt aus der Volksrepublik Donezk, zu der Mariupol eigentlich gehört – auch dort hatten die Einwohner mit großer Mehrheit am 11. Mai 2014 für die Unabhängigkeit gestimmt.

Schult ist wirklich mit ganzem Herzen dabei, und es schlägt für Annalena. Sie müsse Informationen sammeln, um sie ins Kabinett und zu den G7 mitzunehmen. "Denn die Grünen-Politikerin hatte in den vergangenen Tagen nicht immer das Gefühl, dass sich alle Partner im Westen darüber klar sind, wie dramatisch sich die Lage der Flüchtlinge aus der Ukraine entwickelt."

Nicht, dass er auf die Idee kommt, wirklich etwas zu lösen. Die Antwort ist doch eigentlich ganz simpel. Die Anerkennung, dass die Krim russisch ist, und dass es die Donbassrepubliken nun einmal gibt, das ist doch nichts als eine Anerkennung der Wirklichkeit. Eine neutrale Ukraine wäre, sollte man annehmen, einem Krieg dort ebenfalls vorzuziehen. Und will man wirklich diese Nazibataillone? Bis vor kurzem hätte ich eigentlich erwartet, dass die Antwort der deutschen Außenpolitik darauf lautet: zumindest nicht hier in Deutschland.

Aber seit die große Solidaritätswelle in blau-gelb losgetreten wurde, bin ich mir da nicht mehr sicher. Baerbock hat jedenfalls keine Scheu, mit entsprechenden Truppen aufzutreten. Das 36. separate Marinebataillon, mit dem sie vor Wochen durch den Ort Schirokino spazierte, kooperiert seit Jahren mit Asow, bei der Besetzung dieses Ortes ebenso wie jetzt gerade in Mariupol. Was ein wenig damit zu tun hat, dass es aus jenen Angehörigen der ukrainischen Marine auf der Krim gebildet wurde, die 2014 nicht in die russische Marine gewechselt sind.

Nun, augenblicklich hält sich das Risiko noch in Grenzen, weil die ukrainischen Grenzer keine Männer zwischen 18 und 60 ausreisen lassen. Eigenartig, dass weder Baerbock noch Schult das an dieser Stelle erwähnen. Vielleicht, weil sich dann herausstellen würde, dass viele dieser Männer sich nicht wirklich begeistert für Selenskij in einen Krieg schicken lassen? Zuviel störende Information, weg damit.

Also, Baerbock ringt um Platz für ukrainische Flüchtlinge in Deutschland, und verkündet in Chisinau stolz, man werde 2.500 von ihnen nach Deutschland holen. Schließlich habe das kleine Moldawien bereits 300.000 Flüchtlinge aufgenommen.

Vor wenigen Tagen wurde uns noch erklärt, es käme mindestens eine Million aus der Ukraine nach Deutschland. Bisher sind es aber nur etwas über 100.000, und das trotz kostenloser Zugfahrkarten aus Polen. Irgendwie wollen sie wohl nicht so recht. Was entfernt damit zu tun haben könnte, dass sich Menschen, die vor einem Krieg flüchten, vor den Kriegshandlungen selbst, genau so verhalten – sie gehen in das Nachbarland und warten, bis die Kämpfe vorbei sind. Um danach wieder zurückzukehren.

Das passt aber nicht ins deutsche Narrativ. Schließlich kann ein Blinder mit Krückstock erkennen, dass von dem ganzen mühsam aufgebauten Banderastan nach dem Ende des russischen Militäreinsatzes nicht mehr viel übrig sein wird. Deshalb sollten alle Ukrainer, die das Land verlassen, den Drang verspüren, weiter nach Westen zu flüchten, wo sie weiter ihre Nazikollaborateure verehren können. Sie tun es aber nicht. Sie wollen in Grenznähe bleiben, um dann, wenn keine gefährlichen Dinge mehr durch die Luft fliegen, in eine entbanderisierte Ukraine zurückzukehren.

"Baerbock schwebt eine Art Luftbrücke vor." So etwas gab es schon einmal; das trug den Namen "Operation Paperclip". Unter dieser Bezeichnung wurde die Umsiedlung von Nazikollaborateuren in die USA und nach Kanada betrieben, die 1945 erst einmal in Süddeutschland untergekommen waren. Operation Paperclip sorgte dafür, dass viele dieser Leute tief in die Strukturen der CIA integriert wurden und hat mit dazu beigetragen, dass ihre menschenfeindliche Ideologie in der ehemaligen ukrainischen Sowjetrepublik ab 1992 verbreitet wurde.

Pscht, soviel historische Überlegungen stören nur das Bild einer humanitär engagierten Außenministerin, die sich voll reinhängt für die armen Flüchtlinge; hier geht es schließlich um eine "Frau und Mutter, die offen und authentisch ihr Mitgefühl für die vielen flüchtenden Frauen und Kinder zeigt." Ups. Da ist es ja doch, Frauen und Kinder. Und warum keine Frage?

"Baerbock läuft auf eine Frau zu, deren schwarzer Kombi gerade abgefertigt wird." So sehr drängen sie ihre Gefühle. Sie läuft. Man sieht förmlich, wie ihr die Pressemeute hinterher hechelt...

Die Frau will mit ihren Kindern zu Verwandten nach Polen und dann nach Portugal. "Ich bewundere das sehr", sagt Baerbock daraufhin, laut Schult. Ich frage mich, was sie daran bewundert; normalerweise fliehen Menschen, weil sie dazu gezwungen sind, weil der Ort, an dem sie sich aufgehalten haben, gefährlich wurde. Und einem Zwang zu folgen, ist nicht bewunderungswürdig. Aber vielleicht denkt Baerbock, die Frau sei alleine mit den Kindern losgefahren. Was nicht sein muss, womöglich war der Mann bis vor kurzem noch bei ihr. Oder ist es bald wieder, weil er sich über die grüne Grenze schleicht, um der Einberufung zu entgehen. Wäre spannend, das zu wissen, aber weder Baerbock noch Schult fragen danach. Das ist bei Hofberichterstattung nicht üblich. Stattdessen wird Baerbock mit einer Erwähnung ihrer eigenen zwei Kinder zitiert, die Ukrainerin darf in Tränen ausbrechen und der ganze geopolitische Kladderadatsch wird durch gefühliges Beieinander von Muttertieren ersetzt.

Und noch zwei weitere Anekdoten erzählt Schult, um seine reisende Prinzessin sympathisch erscheinen zu lassen. Vormittags, bei einem Besuch in einem Flüchtlingslager in Chisinau, hat sie sich doch glatt auf einen der kleinen Stühle gesetzt, um die kleinen Geschenke zu verteilen, die sie mitgebracht hatte. Sie "redet mit den Kindern, als würde sie mit ihren eigenen Töchtern spielen". Wir sind immer noch im Royalties-Programm, diesmal Geschmacksrichtung Princess Diana. Später an der Grenze hebt sie sogar eine Gummispinne auf, die einem Jungen heruntergefallen war.

Nun, PR-Auftritte kann sie. Und mit einem Gegenüber wie Schult funktionieren sie auch problemlos. Denn er merkt gar nicht, dass er, indem er Baerbock dafür lobt, sich zu diesen armen Flüchtlingskindern zu setzen, eine Hierarchie herstellt, in der Baerbock etwas Besseres ist. Eben eine Prinzessin auf Reisen, die sich freundlich vorübergehend einmal unters Volk begibt. Scholt stört sich nicht daran, weil er die subtile Variante Herrenmensch, die Baerbock verkörpert, für völlig normal hält. Er macht es sogar explizit Heiko Maas zum Vorwurf, dass er "bei solchen Begegnungen immer etwas gefremdelt" habe. Das allerdings ist eine normale menschliche Reaktion; die scheinbare Nähe, dieses rein auf Medienwirksamkeit ausgerichtete Verhalten, das muss man erlernen.

Nur, so sehr sich Schult in seiner Verehrung dieser PR-Gestalt Baerbock überschlägt, wirkliche Humanität würde sich in einer anderen Politik äußern. Dieser transatlantischen Politdarstellerin gehen in Wirklichkeit sowohl die ukrainischen wie die deutschen Menschen gottweißwo vorbei. Das Elend, das sie mit angerichtet hat, versetzt sie eher in einen Höhenflug, weil es ihr die Möglichkeit verschafft, sich auch noch vor den Kameras huldvoll den Opfern ihrer Politik zuzuwenden.

"Du hast deine Spinne verloren.", sagt Baerbock zu dem Jungen an der ukrainischen Grenze, dem sie sein Spielzeug zurückgibt, und Schult findet das ganz toll. Dieser Junge wird, wie viele andere ukrainische und russische Jungen und Mädchen, womöglich seinen Vater verlieren, in einem Krieg, an dem der Westen jahrelang gebaut und auf den Baerbock den Schlussstein gesetzt hat. Aber das ist für den Spiegel kein Thema.

Mehr zum Thema - Wir weigern uns, Feinde zu sein