"Schwurbel-BKK": Brandbrief entfacht Glaubenskrieg um Krankenkasse und ihre Daten

Ziehen die Corona-Vakzine erheblich mehr Nebenwirkungen nach sich, als bekannt ist? Eine Analyse von elf Millionen Patienten-Daten lässt diesen Verdacht zu, den der BKK-ProVita-Vorstand diese Woche äußerte. Doch sein Warnschreiben an das zuständige Bundesinstitut sorgt vor allem für eins: moralische Entrüstung.

von Susan Bonath

In Deutschland tobt ein harter medialer Meinungskampf um offizielle politische Erzählungen. Sein Markenzeichen sind schlichte Schubladen – gut oder böse. Wer dem vorgegebenen Meinungstenor widerspricht, wird moralisch niedergemacht; an sachlichen oder tiefgründigen Argumenten mangelt es fast immer. Und der Kampf wird zusehends bizarrer.

So findet sich neuerdings sogar eine Betriebskrankenkasse in der Kaste der Unberührbaren wieder: Ein Ärzteverband stempelte die BKK ProVita kurzerhand zur "Schwurbel-BKK" ab – und prompt geisterte der Begriff zum Beispiel durch Sachsen-Anhalts magere Tageszeitungslandschaft.

Was die BKK-Daten aussagen und was nicht

Was ist passiert? Bei der BKK ProVita unter dem Dachverband der BKK war aufgefallen, dass ziemlich viele Arztbesuche ihrer Versicherten mit dem internationalen Diagnose-Code für Impfnebenwirkungen abgerechnet wurden. Andreas Schöfbeck vom Vorstand der BKK ProVita veranlasste daraufhin eine Überprüfung der anonymisierten Abrechnungsdaten aller rund elf Millionen Versicherten der BKK-Betriebskrankenkassen.

Schöfbecks Daten-Analyse ergab Erstaunliches: Allein in den ersten siebeneinhalb Monaten des Jahres 2021 rechneten Ärzte insgesamt fast 250.000 Arztbesuche mit einer ICD-Codierung für Impfnebenwirkungen ab. Davon war in knapp 170.000 Fällen der Code T88.1 (Sonstige Komplikationen nach Impfung) angegeben. Weitere gut 77.000 Arztbesuche waren mit U12.9 für "unerwünschte Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen – nicht näher bezeichnet" codiert. Dieser Schlüssel existiert erst seit April 2021. Weitere rund 2.700 Arztbesuche fielen unter T88.0 (Infektion nach Impfung) oder Y59.9 (Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung von Impfstoffen oder biologisch aktiven Substanzen).

Nun gab es Nebenwirkungen durch Impfstoffe schon immer, doch hielten diese sich in Grenzen. Für die beiden Vorjahre registrierte Schöfbeck zwischen 2.600 und knapp 4.000 Patienten pro Quartal mit derart codierten Komplikationen. So ermittelte er zunächst die Anzahl der betroffenen Patienten, die hinter diesen Arztbesuchen stehen – rund 224.000 – und zog einen Mittelwert der Vorjahre für siebeneinhalb Monate – etwa 8.000 Fälle – ab.

Fazit: Von Januar bis Mitte August 2021 ließen sich rund 216.000 mehr BKK-Mitglieder als in den Vorjahren behandeln, bei denen der Arzt eine Impfnebenwirkung feststellte. Das ist immerhin ein Anstieg um das 27-fache gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019 und 2020. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr und die bundesdeutsche Bevölkerung komme man auf bis zu drei Millionen Patienten, die wegen einer unerwünschten Reaktion durch COVID-19-Vakzine einen Arzt aufgesucht haben.

Das für die Sicherheitsüberwachung von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verzeichnete hingegen für das Gesamtjahr 2021 bundesweit "nur" rund 244.600 gemeldete Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, darunter knapp 30.000 schwerwiegende und 2.255 Todesfälle.

Das war Grund genug für Schöfbeck, ein deutliches Alarmsignal für die COVID-19-Impfstoffe zu erkennen und dies – so möchte man es für die Pflicht eines Krankenkassenvorstands halten – dem PEI in einem Warnbrief mitzuteilen. Seine Mutmaßung beruht auch auf einer weiteren Erkenntnis: Mittels des passiven Meldesystems würden viele Fälle nicht übermittelt. Frühere Studien gehen davon aus, dass nur ein bis zehn Prozent von Arzneimittelnebenwirkungen gemeldet werden. Ein Grund dafür kann Schöfbeck zufolge sein, dass Ärzten der Arbeitsaufwand für diese Meldungen nicht vergütet wird.

Wer ist hier der Schwurbler?

Die Welt brachte nun die Analyse samt Anschreiben des BKK-ProVita-Vorstands in die politische Debatte ein. Statt sachlicher Begutachtung folgte jedoch: moralische Entrüstung.

Der Virchowbund, ein vergleichsweise kleiner Verband niedergelassener Ärzte, griff für seinen Gegenschlag in die Kiste bekannter Etikettierungen: Die BKK ProVita betreibe "undifferenzierte Schwurbelei". Sein Argument: Die BKK ProVita vermische zwei völlig unterschiedliche Dinge. Krankenkassen zählten nämlich jede Nebenwirkung, auch eine leichte Schwellung an der Einstichstelle oder erhöhte Temperatur durch die Immunantwort. Manche Reaktion sei aber normal und müsse nicht gemeldet werden.

Richtig ist: Die reine Analyse der Codierungen lässt keine genaue Betrachtung der Einzelfälle zu. Wahr ist aber auch: Den Patienten sei es, wie Schöfbeck in dem Schreiben erklärt, immerhin so schlecht gegangen, dass sie ihren Arzt aufsuchten. Setzt man voraus, dass die Patienten vor ihrer Impfung adäquat aufgeklärt wurden, wozu Ärzte verpflichtet sind, ist kaum anzunehmen, dass es im Anschluss Massenanstürme auf Arztpraxen wegen jeder "leichten Schwellung an der Einstichstelle" gegeben haben könnte.

Der Ärzteverband schimpfte indes weiter: Man könne Verdachtsfälle nicht mit bestätigten Nebenwirkungen gleichsetzen, wie es der BKK-ProVita-Vorstand praktiziert habe. Doch der Vorwurf hat einen Haken: Richtig ist, dass das PEI die Meldefälle einfach deshalb als Verdachtsfälle führt, weil für eine Meldung der Verdacht genügt. Auch Betroffene oder Angehörige können mutmaßliche Nebenwirkungen dort anzeigen. Eine ärztliche Diagnose ist dafür nicht notwendig. Bei den BKK-Daten gibt es diese allerdings.

Der Virchowbund diskrediert damit – vielleicht unbemerkt – seine eigene Klientel. Zweifelt er doch die Fähigkeit von Ärzten an, ordentliche Diagnosen zu stellen. Und mal ehrlich: Was sollen Betroffene denn unternehmen, um zweifelsfrei zu klären, ob ihre Thrombosen, Herzmuskelentzündungen oder auch Schmerzen an der Einstichstelle tatsächlich von der Impfung verursacht wurden? Soll nun in jedem dieser Fälle ein teures rechtsmedizinisches Gutachterverfahren stattfinden, um den kausalen Zusammenhang seines Leidens mit der Impfung gerichtsfest zu beweisen?

Augen zu und durch

Kurzum: Der Verband führt als Hauptargument an, nicht zu wissen, wie viele leichte Impfreaktionen unter den Fällen gewesen sein könnten. Darum müsse das nicht untersucht werden und es sei auch kein Alarmsignal – und die alarmierende gesetzliche Krankenkasse ein "Schwurblerverein". Der Virchowbund fordert also Untätigkeit statt gezielter Untersuchungen und begründet dies mit Nichtwissen. Anders ausgedrückt: Wo niemand nachschaut, gibt es auch kein Problem – Augen zu und durch.

Dabei könnte man hier vermutlich recht einfach zu sicheren Erkenntnissen gelangen. So werden Impfschäden in der Regel als Nebendiagnose erfasst. Die Hauptdiagnose soll das Krankheitsbild sein, also beispielsweise eine Herzrhythmusstörung oder eben besagte "leichte Schwellung". Warum überprüfen also nicht einfach alle Krankenkassen ihre Daten, um die genauen Behandlungsgründe zu ermitteln?

Eine von vielen möglichen Antworten lautet: Es ist politisch nicht erwünscht. Immerhin fordern weite Teile der Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eine allgemeine Impfpflicht. Jene als "einrichtungsbezogene Nachweispflicht" umschriebene Impfpflicht im Gesundheitswesen ist ja schon beschlossene Sache und greift bereits ab Mitte März. Die Verfechter derselben stützen sich auf zwei Behauptungen: Die Impfstoffe seien wirksam und sicher. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) twitterte sogar: Sie seien "nebenwirkungsfrei". Allein – die Zahlen widersprechen.

Mehr Krankentage nach Impfung als mit Corona

Apropos: Aus den BKK-Daten lassen sich noch weitere Schlussfolgerungen ableiten. So kann man den Fällen, die als Impfnebenwirkungen abgerechnet wurden, die ärztlich behandelten COVID-19-Fälle gegenüberstellen. Letztere sind mit dem Code U07.1 für "Coronavirus nachgewiesen" versehen. Und der Vergleich fördert Erstaunliches zutage: Während die BKK von Januar bis Mitte August 2021 rund 198.000 Arztbesuche wegen COVID-19 verzeichnet, finden sich dem gegenüber besagte 250.000 Arztbesuche mit diagnostizierten Impfnebenwirkungen – das ist ein Mehr von stattlichen 25 Prozent.

Ähnlich verhält es sich mit den Arbeitsunfähigkeitstagen – jenen Tagen also, an denen Patienten krankgeschrieben werden mussten. Für positiv Getestete ergeben die BKK-Daten insgesamt rund 374.500 Krankentage, für Patienten mit Impfnebenwirkungen 383.200 Krankentage, also ganze 8.700 Tage Arbeitsausfall mehr. Das Argument, dass Corona für hohe Arbeitsausfälle sorgt, die durch die Impfungen verhindert werden müssten, führt die Politik immerhin auch für die Durchsetzung ihrer Impfpflicht-Ambitionen ins Feld.

Nur werfen diese Zahlen eine Frage auf: Könnte es sein, dass man hier sinnbildlich den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will? Warum sollten solche Zusammenhänge, die die Daten nun einmal ergeben, nicht näher untersucht werden? Und wer jetzt wieder spekuliert, dass erst ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung bewiesen werden müsste: Das ist erstens nicht so einfach und zweitens erfassen die Ärzte, Kliniken und sämtliche Behörden seit zwei Jahren nach den gleichen Kriterien die Zahl der Corona-Fälle: Wer mit positivem Test im Krankenhaus liegt, gilt auch dann als COVID-19-Patient, wenn er völlig symptomfrei wegen einer Hüft-OP dort liegt. Und so selten soll das gar nicht vorkommen.

Reaktion: PEI will Studie vorbereiten

Eines hat der mediale Wirbel um die BKK-Daten trotz diskreditierender Töne aber doch bewirkt: Das PEI will offenbar zur Tat schreiten. Auf Anfrage der Autorin erklärte es am Donnerstag, es habe nun – 14 Monate nach der bedingten Zulassung des ersten Vakzins der Konzerne Pfizer und BioNTech – damit begonnen, eine Studie zur Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe zu planen.

Diese Studie werde "auch vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt und gefördert". Damit wolle man unter anderem die Daten der Krankenkassen auswerten. "Die Studie soll zeitnah gestartet werden", beteuerte PEI-Sprecherin Susanne Stöcker gegenüber der Autorin. Zugleich beklagte sie: Die Angaben in dem BKK-ProVita-Schreiben seien "allgemein und unspezifisch".

Die Reaktion des PEI auf das Schreiben vom 21. Februar wurde vermutlich durch medialen Druck beschleunigt. So hatte BKK-ProVita-Vorstand Schöfbeck seine Datenanalyse als so wichtig für die Gesundheit der Bevölkerung eingestuft, dass er eine Reaktion bis zum Abend des 22. Februar erbat, die aber ausblieb. Noch am Donnerstag, einen Tag nach dem Welt-Bericht vom 23. Februar, erklärte Schöfbeck gegenüber der Autorin, bisher sei noch keine Reaktion eingetroffen – weder vom PEI noch von anderen angeschriebenen Kammern und Verbänden. Erst Stunden später folgte dann eine offizielle Stellungnahme gegenüber der Presse.

Spiegel erklärt BKK zur "Institution non grata"

Dennoch fällt eines auf: In den steuerfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien unter ARD und ZDF kam der brisante Brief der BKK ProVita jedenfalls bis Freitagmittag nicht wahrnehmbar vor. Dabei sind es gerade die Tagesschau und die Heute-Nachrichten, die das Meinungsbild in der Bevölkerung zuallererst bestimmen. Berichte über Corona-Intensivstationen und regelrechte Werbeveranstaltungen im Rahmen der Impfkampagne der Bundesregierung gibt es hingegen seit vielen Monaten reichlich.

Möglicherweise schweigen ARD und ZDF auch deshalb, weil sie brisante Fragen, die die politische Impfkampagne stören könnten, lieber nicht aufgreifen und nicht in die gleiche Kerbe wie der Spiegel schlagen wollen. Das Magazin suchte sich sogleich einen Ärztevertreter, der die BKK-ProVita-Analyse – ohne eigene Untersuchung der Daten – als "kompletten Unfug" abqualifizierte und diese (immerhin gesetzliche) Krankenkasse quasi zur "Institution non grata" erklärte. So legte das Blatt seiner Leserschaft am Freitag direkt im Titel ans Herz: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie lieber nicht diese Krankenkasse."

Schweinegrippe, Corona und Sicherheitsmaßstäbe im Wandel

Vor dreieinhalb Jahren klang das beim Spiegel noch ganz anders. Im September 2018 hatte das Magazin den Pharmakonzernen, welche den Schweinegrippenimpfstoff Pandemrix produziert hatten, das Ignorieren "erheblicher Sicherheitsbedenken" vorgeworfen. Dabei stand nicht nur der Verdacht von Nebenwirkungen wie der chronischen Schlafkrankheit Narkolepsie im Raum, sondern auch Gesichtslähmungen, allergische Schocks, Gehirn- und Gefäßentzündungen – Erkrankungen, die laut PEI-Daten auch nach Corona-Impfungen bereits aufgetreten sind.

Damals legte der Spiegel jedoch völlig andere Kriterien an als heute. Das Blatt bezog sich ganz unbefangen auf Verdachtsfälle, die damals auch nicht anders ermittelt wurden als heute. "Dadurch ist zwar noch nicht bewiesen, dass die Impfung auch der Auslöser war", heißt es. Allerdings seien die Meldungen konstant geblieben, sodass sie hätten auffallen müssen. Die Rede war von rund 76 Meldungen schwerwiegender Verdachtsfälle pro einer Million Geimpfter. Bei einem anderen Impfstoff namens Arepanrix habe man hingegen weniger als acht solcher Meldungen pro einer Million Geimpfter erfasst. Eine solche Häufung hätten Konzerne und Behörden eindeutig als Sicherheitsrisiko erkennen müssen.

Glaubenskrieg statt Wahrheitssuche

Die unterschiedliche Bewertung wird anhand aktueller Zahlen deutlich. Bis Jahresende 2021 waren etwa 61 Millionen Menschen in Deutschland mindestens einmal mit einem COVID-19-Vakzin geimpft worden. Bis dahin hatte das Institut knapp 30.000 schwerwiegende Verdachtsfälle erfasst.

Das sind nicht 76 schwerwiegende Meldefälle pro einer Million Geimpfter, wie bei Pandemrix, sondern ganze 492 – also etwa 6,5-mal mehr Fälle. Doch wer dies heute als Alarmsignal begreift oder gar noch Daten liefert, die eine genauere Prüfung wert wären, wird für untragbar erklärt. Nun trifft es sogar eine gesetzliche Krankenkasse. Folgt nun etwa ein staatliches Verbot derselben? Oder reicht es, den Vorstand auszutauschen und ihn mit Personen zu besetzen, die strikt dem gehorchen, was die Politik von ihnen verlangt?

Die mediale Hysterie um die BKK und ihre Daten zeigt jedenfalls eines deutlich: Die notwendige Debatte um mögliche Sicherheitsrisiken bei den bedingt zu gelassenen Vakzinen hat längst nichts mehr mit Sachlichkeit zu tun. Sie erinnert eher an einen Glaubenskrieg. Auch bei vielen Medien. Aber wo Journalisten den Pfad der ernsthaften Wahrheitssuche verlassen, beginnt die Propaganda. Sie hat längst begonnen – nicht nur beim Thema Corona.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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