von Susan Bonath
Die ab dem 16. März geltende einrichtungsbezogene Impfpflicht wird den seit Langem vorhandenen Notstand in der Pflege weiter verschärfen. Bundesweit bis zu zehn Prozent der Beschäftigten – in einigen Regionen könnten es weit mehr sein – könnten die Gesundheitsämter dann mit einem Berufsverbot belegen, weil sie die vorgeschriebene COVID-19-Impfung mit bisher mindestens drei Dosen ablehnen. Dessen ist man sich im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unter Karl Lauterbach (SPD) wohl bewusst.
Mit einer Prämie von höchstens 550 Euro für Altenpflegekräfte, "die während der Pandemie eine herausragende Leistung erbracht haben", will das BMG das Problem nun lösen. Das geht aus einem Eckpunktepapier hervor, das der ARD vorliegt. Doch davon profitieren sollen aber nicht alle, sondern nur, wer seit dem 1. November mindestens drei Monate in der Altenpflege gearbeitet hat – und am 30. Juni noch arbeitet.
Impfdruck und Prämien-Hierarchie
Heraus fallen damit nicht nur alle Beschäftigten, die wegen Überlastung den Beruf vor dem 30. Juni gewechselt haben. Auch wer wegen fehlender vollständiger Corona-Impfung dann nicht mehr arbeiten darf, geht leer aus – unabhängig von der Arbeitsleistung während der Coronazeit. Mal ehrlich: Irgendwie erinnert das an die berühmte Gratisbratwurst für die Impfung. Ein Schelm, wer glaubt, das BMG könnte die Minisummen vor allem ausloben, um den Impfdruck zu erhöhen?
Darüber hinaus will das BMG die Prämien hierarchisch verteilen. Nur wer tatsächlich in Vollzeit Bedürftige in direktem Kontakt betreut und pflegt, soll dem Papier zufolge die komplette Summe bekommen. Wer mindestens 25 Prozent seiner Arbeitszeit in der direkten Pflege arbeitet, könnte bis zu 370 Euro erhalten. Für Auszubildende sieht das Papier 330 Euro vor, für "sonstige Beschäftigte 190 Euro und für Helfer im Freiwilligendienst noch magere 60 Euro" – immer vorausgesetzt, sie sind geimpft und noch im Dienst.
Streit: Wer bekommt was?
Nicht nur Altenpflegerinnen und -pfleger sollen laut BMG-Papier einen Bonus erhalten. Auch dem Klinikpersonal will die Bundesregierung eine kleine steuerfreie Sondervergütung gönnen. Doch wer nun wann genau begünstigt werden soll, ist offenbar noch unklar. In mehreren Medienberichten sei eine Summe von bis zu 3.000 Euro genannt worden, schreibt der Bayerische Rundfunk (BR). Doch dies sei "eher unwahrscheinlich", dämpften "Kreise der Bundesregierung" gegenüber dem Sender die Erwartung von Beschäftigten und Verbänden.
Ärzte fürchten derweil, erneut leer auszugehen. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sagte dem BR: "Wir haben uns als Ärzteschaft bei der ersten Corona-Prämie ganz bewusst zurückgehalten und gesagt, jetzt ist die Pflege mal dran." Bei der zweiten Corona-Prämie habe man sich "schon sehr geärgert, dass die Ärzte nicht berücksichtigt wurden", so Johna. Sie ergänzte: "Ein drittes Mal werden wir das nicht hinnehmen." Schließlich, so die Gewerkschaftschefin, seien Ärzte auch einer hohen Belastung ausgesetzt und trügen die Hauptverantwortung. Und der Hausärzteverband will die medizinischen Angestellten in den Praxen nicht leer ausgehen lassen.
Das liegt wohl daran, dass die Bundesregierung knausert. Geplant hat sie eine Gesamtsumme von einer Milliarde Euro, das Volumen ist also begrenzt. Je mehr ein Stück vom Kuchen abbekommen, desto kleiner wird es. Pflegeratspräsidentin Christine Vogler sah im Gespräch mit dem Rundfunksender "die Gefahr von ungerechter Verteilung". Dies könne zu einer Spaltung unter den Beschäftigten führen, kritisierte sie.
Statt Boni fordert Vogler daher höhere Löhne, konkret Einstiegsgehälter ab 4.000 Euro brutto aufwärts. Auch eine vollständige oder teilweise Freistellung von der Lohnsteuer könne ihrer Ansicht nach die Mangelsituation in der Pflege verbessern. Die beklagte: Die Gesetze seien "halbherzig und nicht zu Ende gedacht".
Versorgungslücken? Fragt doch eure Nachbarn
Halbherzig war wohl auch das bisherige "Bemühen" der Bundesregierung darum, die Situation in den Pflegeheimen, Kliniken und ambulanten Diensten zu verbessern. Der Mangelzustand war schon lange vor Corona Diskussionsthema gewesen, Berichte über miserable Zustände in Heimen oder gesperrte Betten in Krankenhäusern beinahe an der Tagesordnung.
Unbestritten ist, dass die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht – das BMG sprach gegenüber der Autorin nunmehr von einer "einrichtungsbezogenen Impf-Nachweispflicht" – die Mängel drastisch verschärfen könnte. Beispielsweise der Verwaltungsleiter einer Pflegeeinrichtung in Neubrandenburg warnte gegenüber dem NDR vor drastischen Versorgungslücken. Schon jetzt habe er Probleme bei der Personalplanung. In einigen Bereichen seien bis zu 30 Prozent des Personals nicht geimpft. Diese ließen sich wohl nicht mehr überzeugen, glaubt er – mutmaßlich auch durch ein paar Hunderter nicht.
Versorgungslücken – welch ein verniedlichender Begriff angesichts von Bedürftigen, die man vielleicht sich selbst überlassen wird – hin oder her: Das ist kein Thema für Bundesgesundheitsminister Lauterbach. Mehrfach betonte er in den Medien, die Corona-Impfpflicht im Gesundheitswesen werde umgesetzt. Betroffene könnten im Notfall ihre (ungeimpften?) Nachbarn fragen und mit Geld von der Pflegekasse für Hilfe bezahlen, hieß es sogar. Fraglich bleibt in jedem Fall: Was schadet den viel genannten "vulnerablen Gruppen" am Ende mehr: nicht geimpftes oder nicht vorhandenes Pflegepersonal?
Karlsruhe: Mögliche Schäden müsst ihr hinnehmen – oder gehen
Geplatzt war Anfang Februar auch die Hoffnung einiger auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das hatte dem Ansinnen in einer Eilentscheidung kein Ende gesetzt. Das höchste Gericht führte aus, dass selbst schwerwiegende Impfnebenwirkungen im Einzelfall geringer wögen, als der Schutzfaktor durch die Impfung für Bedürftige. Den Schutzfaktor selbst allerdings bezifferte es nicht. Das Robert Koch-Institut (RKI) bezeichnet ihn ebenfalls als unbekannt. Die Ausführungen des BVerfG berühren dabei höchst ethische Fragen. So schreibt es wörtlich:
"Im Einzelfall können auch schwerwiegende Impfnebenwirkungen eintreten, die im extremen Ausnahmefall auch tödlich sein können. Eine erfolgte Impfung ist auch im Falle eines Erfolgs der Verfassungsbeschwerde irreversibel. Allerdings verlangt das Gesetz den Betroffenen nicht unausweichlich ab, sich impfen zu lassen. Für jene, die eine Impfung vermeiden wollen."
Betroffene könnten schließlich, so das Gericht, die Pflege verlassen und sich einen anderen Job suchen. Mit anderen Worten: Wer das, wenn auch geringe, Risiko schwerer bis sogar tödlicher Nebenwirkungen nicht auf sich nehmen will, soll doch bitte sehr seinen Beruf aufgeben. Und zwar mit einem sich abzeichnenden sprichwörtlichen Tritt der Bundesregierung: Egal, wie viele COVID-19-Patienten Betroffene gesund gepflegt haben mögen – ein Dankeschön, für das sie sich was kaufen können, gibt's für sie nicht. Geklatscht wurde gestern, heute wird geimpft.
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