Von Dr. Karin Kneissl
Am Rande der Olympischen Winterspiele kam es zu einem Gespräch zwischen dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und seinem argentinischen Kollegen Alberto Fernandez. Gegenstand war die Unterzeichnung eines Memorandums, das nun auch dieses lateinamerikanische Land in die "Belt and Road Initiative" (BRI) einbindet, im Deutschen besser bekannt als "Neue Seidenstraße". China baut damit seinen Einfluss auf dem lateinamerikanischen Kontinent weiter aus. Mehrere chinesische Behörden haben in den vergangenen Wochen zudem ihre Unterstützung für das Recht auf Selbstbestimmung Argentiniens auf jene Inselgruppe kundgetan, die rund 1.500 km vom Festland entfernt im Südatlantik liegt.
Die Rolle der Inseln und das Seerecht
Auf die Proklamation der Botschaft der Volksrepublik China in Großbritannien reagierte die britische Regierung entrüstet. Im Jahr 1982 führten London und Buenos Aires einen Krieg um die Inseln, auf denen einst schottische Auswanderer mit Viehzucht begannen. Der Krieg endete mit einem Sieg Großbritanniens, den Premierministerin Margaret Thatcher als Ergebnis ihrer Unnachgiebigkeit verbuchen konnte. Im Jahr 2003 erfolgte ein Referendum, in dem die Inselbewohner sich Großbritannien zugehörig erklärten. Hatten diese Inseln Jahrhunderte lang vor allem eine geostrategische Bedeutung, indem sie der britischen Flotte einen Stützpunkt und Versorgung boten, so hat sich meines Erachtens mit dem Inkrafttreten der UN-Seerechtskonvention aus dem Jahr 1994 und der Einrichtung der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels die geographische Bedeutung der Inseln aufgrund deren Nähe zur Antarktis nochmals erhöht.
Das Völkerrecht entwickelte sich über Jahrhunderte hinweg auf der Basis des Gewohnheitsrechts; so regelten die Staaten ihre Hoheitsbefugnisse in den Küstengewässern und ihre Rechte auf Hoher See. Territorialkonflikte um die Fischerei und die wachsende Bewirtschaftung des Meeresbodens mit dem Aufstieg der Erdöl-und Erdgasexploration machten eine umfassende Kodifizierung der Staatenpraxis erforderlich. Seit den späten 1960er-Jahren arbeiteten Völkerrechtler an einer umfassenden Neufassung des Seerechts. Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Konvention begann eine Zehnjahresfrist, binnen derer die Vertragsstaaten ihre Angaben zum Kontinentalsockel vorlegen konnten.
Das russische U-Boot in der Arktis
Erinnern Sie sich an den August 2006, als ein russisches Mini-U-Boot in arktischen Gewässern 4.000 Meter unter der Meeresoberfläche die russische Flagge hisste? Mit dieser Expedition ins Lomonossow Archipel zur Entnahme von Gesteinsproben erhoben russische Wissenschaftler unter der Leitung des Ozeanologen Arthur Tschilingarow, dem damaligen Vizepräsidenten der Duma, Ansprüche auf die geologischen Ausläufer des Archipels zwecks Fixierung des Festlandsockels. Im Ergebnis ging es um ein mögliches zusätzliches russisches Staatsgebiet von 1,2 Millionen Quadratkilometern. Dieses Gebiet war damals bereits für russische und internationale Erdölkonzerne von potenzieller Bedeutung.
Die Demarchen Russlands sind in der praktischen Umsetzung dieses UN-Seerechtsübereinkommens zu verstehen und stießen sofort auf Gegenwind aus Kanada, das seinerseits konsequent territoriale Ambitionen bis zum Nordpol verfolgt. In Washington wurde erstmals wahrgenommen, dass diese wichtige UN-Konvention konkrete territoriale Folgen entfaltete. Selbst ein US-Präsident George W. Bush, der sonst kein besonderes Interesse am Völkerrecht hatte, schaltete sich ein, um den US-Senat für eine Ratifizierung zu gewinnen. Vergeblich.
Die Antarktis der Forschung gewidmet
Der Wettlauf um den Abbau von Rohstoffen, aber auch die Erschließung neuer Transportwege in der Arktis ist seit Jahrzehnten im Gange. Im Arktischen Rat hat Russland derzeit für zwei Jahre den Vorsitz. Die Region gewinnt zunehmend an Bedeutung, die über völkerrechtliche Belange hinausgeht. Die Erschließung neuer Transportwege wie die Nordwest- und Nordost-Passage infolge eisfreier Phasen verschiebt die Handelsbeziehungen. In meinem Buch "Die Wachablöse" schrieb ich im Jahr 2017 über den im Gange befindlichen Paradigmenwechsel von einer transatlantischen zu einer pazifischen Weltordnung.
Was sich in der Arktis entwickelt, könnte analog auch in der Antarktis noch bevorstehen. Der Kontinent ist zwar durch den Antarktis-Vertrag mit einem Sonderstatus versehen, der militärische Aktivitäten und Gebietsansprüche untersagt. Doch die Dinge sind im Fluss und wie rasch internationale Verträge leider gekippt werden, wie massiv die UN-Charter verletzt wird, hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt aufs Neue gezeigt.
Der Antarktis-Vertrag definiert das gesamte Gebiet 60 bis 90 Grad südlicher Breite als Antarktis, das heißt den Kontinent, die Inseln, die Schelfeisflächen und den Ozean. Die Vertragsstaaten einigten sich auf die friedliche Nutzung der Antarktis, ein Verbot militärischer Aktivitäten und eine freie internationale Forschungszusammenarbeit. Territorialansprüche einzelner Staaten wurden eingefroren.
Wer die Inseln im Südatlantik und deren Kontinentalsockel kontrolliert, kann langfristig am Mächtekonzert und dem Wettlauf um Konzessionen, die in Zeiten knapper Rohstoffe kommen könnten, mitmischen. Der alte Konflikt rund um die Falklands beziehungsweise die Islas Malvinas schwelt schon seit Jahren. Mit der außenpolitischen Linie als "Global Britain" weltweit aktiv zu sein, weiß London um die Bedeutung solcher Inseln, wo seit dem Jahr 1833 koloniale Herrschaft ausgeübt wird. Der Ton zwischen Buenos Aires und London wird schon seit Jahren wieder kriegerischer.
Wenn China nun Argentinien den Rücken stärkt und nach dem Recht auf Selbstbestimmung ruft, dann weiß auch Peking, wie nützlich derartige gute Beziehungen zu einem lateinamerikanischen Partner im Sinne der Seidenstraßen-Doktrin sind. Selbst die Insel St. Helena, das einstige Exil des Napoleon Bonaparte gewinnt in unseren Zeiten an neuer Relevanz. Das Seevölkerrecht ist schon längst keine langweilige Disziplin mehr, sondern verschafft tiefe Einblicke in globale geopolitische Entwicklungen. Das Dossier der Falklands, der Islas Malvinas, wird daher auf der Tagesordnung bleiben.
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