Ein Kommentar von Alexander Koz
Irgendwann ergriff mich das Gefühl: Da haben wir's, jetzt geht es los, jetzt hat Selenskij doch noch beschlossen, eine Militäroperation anzuordnen. Am 17. Februar 2022 rumpelte die gesamte Kontaktlinie im Donbass los, wie man es schon lange nicht mehr gehört hatte. 120-Millimeter-Mörser, 122- und 152-Millimeter-Haubitzen, überschwere Maschinengewehre, Granatmaschinengewehre, Panzerstoßgruppen – alles schön von der OSZE erfasst ... Es war, als seien die ukrainischen Streitkräfte vollends durchgedreht.
Die Volksmilizkommandos der Republiken Donezk und Lugansk gaben auch schon Befehle, die jeweils aktiven feindlichen Feuerstellungen zu unterdrücken, deren Schüsse bereits anfingen, in Wohngebieten voller Zivilisten einzuschlagen.
Doch dann explodierte im Getöse der Kanonade ein Informationssprengsatz. Wie ein Häuserbrand nach Phosphorbeschuss breitete sich zunächst in den sozialen Medien, dann in den ukrainischen und schließlich in den westlichen Massenmedien die Nachricht aus, dass "Separatisten" einen Kindergarten in der Staniza Luganskaja beschossen hätten, einer Ortschaft unter der Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte.
Die Bilder zeigen eine breite "Bresche" in einer mächtigen, vier Ziegelsteine dicken Hauswand. Die Ziegel sind ins Gebäudeinnere eingestürzt und haben Kinderspielzeug zerdrückt. Das Bild soll natürlich eine emotionale Reaktion hervorrufen – bei unvorbereiteten Menschen. Nun gehöre ich nicht dazu, denn in den Jahren meiner Arbeit im Donbass habe ich sowohl Schulen als auch Kindergärten aufgenommen, die von ukrainischer Artillerie getroffen worden waren. Das Bild ist dann meist etwas anders. Und mag es sich von Fall zu Fall im Detail auch unterscheiden: Immer ist der Asphalt am Gebäude mit Glasscherben von zerbrochenen Fensterscheiben bedeckt und stets die Fassade mit Granatsplittern oder anderen Geschossresten der explodierten Granate übersät.
Dagegen sind hier die Fenster weitgehend intakt und wir sehen keine Splittereinschlagsspuren oder Ähnliches am Mauerwerk um die Bresche herum.
Außerdem haben Interessierte diesen Kindergarten bereits auf Landkarten gefunden und eine virtuelle Luftlinie vom Ort des Aufpralls bis zur Front gezogen. Und diese Luftlinie ist sage und schreibe acht Kilometer lang. Die gängigen Mörser schießen auf solche Entfernungen nicht, Panzer auch nicht. Natürlich könnte man über ein Machwerk der "richtigen" Rohrartillerie spekulieren. Aber dann stellt sich die Frage: Warum gab es keine Explosion? Ein Blindgänger etwa oder sollte die Granate aus anderen technischen Gründen nicht explodiert sein? Aber warum wird das Geschoss dann nicht allen vorgewiesen und gezeigt?
Also denkt, was ihr wollt. Ich würde aber eher glauben, dass man da einen ukrainischen Panzer in Direktfeuerreichweite heranfuhr und ein panzerbrechendes Treibspiegel-Wuchtgeschoss, also eines ohne jeglichen Sprengstoff, auf den Kindergarten abfeuerte, um so ein Bild der Zerstörung zu erhalten.
Wozu? Das ist dann auch schon die interessanteste Frage. Das Kiewer Regime ist es gewohnt, pünktlich zu wichtigen Gipfeltreffen und anderen internationalen Zusammenkünften seine Verhandlungsposition mit einer Eskalation an der Kontaktlinie im Konfliktgebiet zu untermauern. Am 17. Februar fand die Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Ukraine statt. Und die "Separatisten", die da angeblich Kindergärten beschießen, bildeten die perfekte Kulisse für den Auftritt der Delegation des Kiewer Regimes oder auch der USA.
Daher kann die Eskalation am 17. Februar kaum allein als Vorläufer eines Kriegs gewertet werden. Sie hatte (noch) einen anderen Zweck. Sie sollte Gegenfeuer provozieren und die Volksrepubliken Donezk und Lugansk einem Informations-Angriff aussetzen.
So war es dann auch kein Zufall: Als die Schlagzeilen in den Zeitungen zu sprechen begannen, verstummten urplötzlich und abrupt die Waffen. Auch dann, als die westlichen Journalisten am Ort des angeblichen Geschehens ankamen.
Ergänzung der Redaktion: Etwaigen Zweiflern unter unseren Lesern hilft Anton Geraschtschenko, ehemals Berater des ukrainischen Innenministers und nun Mitglied im Kollegium des ukrainischen Innenministeriums, über ihren Unglauben hinweg. Auf seiner Facebook-Präsenz wirft er den "von der Russischen Föderation kontrollierten Separatisten" vor, einen massiven Beschuss der Staniza Luganskaja durchgeführt zu haben, bei dem auch der Kindergarten in Mitleidenschaft gezogen worden sein soll.
Doch vor allem betont er, wie schnell doch die Abteilung für öffentliche Beziehungen in Selenskijs Präsidialbüro auf den Vorfall reagiert und quasi die Medien des gesamten kollektiven "demokratischen" Westens als Zeugen zusammengetrommelt habe: Kurz nach neun Uhr morgens örtlicher Zeit soll der Beschuss des Kindergartens stattgefunden haben. Anderthalb Stunden habe man zum Versammeln der ausländischen Medienvertreter benötigt, dann habe die ukrainische Nationalgarde sie in einem Flugzeug auf einen Militärflugplatz im Osten der Ukraine gebracht, von wo sie mit Militärhubschraubern unmittelbar in die Staniza Luganskaja geflogen wurden. Um 14:45 sei das Flugzeug aus Kiew abgeflogen und um 18 Uhr seien die 24 Journalisten vor Ort gewesen. Dies waren neun Stunden nach dem angeblichen Vorfall.
Die Liste der Medien, allesamt Größen der westlichen Medienlandschaft, liefert Herr Geraschtschenko wie ein Vorzeige-PR-Mitarbeiter ebenfalls mit: The New York Times, France 24, Deutsche Welle, CNN, Reuters, Associated Press, CBS News, Agence France-Presse, Radio Liberty.
Ein Schelm, wer Übles dabei denkt.
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Übersetzt aus dem Russischen.
Alexander Koz ist Konflikt- und Sonderberichterstatter im Dienst der russischen Zeitung Komsomolskaja Prawda.
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