von Susan Bonath
Bei der Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland werden zwar selten kritische Ottonormalverbraucher nach ihren Bedenken gegenüber den Vakzinen gefragt. Industrielle, wie der Vorstandschef Stefan Dräger des gleichnamigen Lübecker Konzerns für Medizin- und Sicherheitstechnik, sind aber keine Ottonormalverbraucher. So durfte Dräger, der in der Pandemie viel Geld mit Beatmungsgeräten verdiente, in der Welt seine politischen Ansichten verbreiten. Nein, für die Impfpflicht sei er nicht, sagte er. Aber die Ablehnung einer Impfung müsse automatisch als Verzicht auf eine Krankenhausbehandlung mit Corona gelten.
Wo ist die rote Linie?
Mal abgesehen davon, dass Menschen, die aus unterschiedlichen, oft nachvollziehbaren Gründen Angst vor möglichen Folgen einer Corona-Impfung haben, wahrscheinlich aufgrund der bisherigen Stimmungsmache schon jetzt auch Furcht vor einer schlechteren Behandlung in einer Klinik haben, muss eine Frage erlaubt sein: Wie weit sollen denn solche Regelungen, die auch von anderen Stellen in noch schärferer Form gefordert werden, führen? Wo wären die roten Linien, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach eigener Aussage vor einigen Monaten gern aufheben würde?
Denn Corona ist eben nicht gleich Corona. Käme also eine solche Regelung, würde dann auch ein nicht geimpfter, schwer verletzter Verunfallter abgewiesen werden, wenn sein Corona-Test nach der Einlieferung positiv ausfallen sollte? Sollen Ärzte in einem solchen Fall den ungeimpften Jugendlichen mit Blinddarmdurchbruch, die chronisch Kranke mit Nierenversagen oder den Rentner mit Herzproblemen einfach wieder nach Hause schicken und sich selbst überlassen? Ja, dass Menschen zufällig positiv getestet werden – sei es wegen eines falschen Testergebnisses oder weil sie einfach keine Symptome haben – passiert gar nicht so selten, wie die Welt vor Kurzem noch in den Bundesländern erfragt hatte.
Sollten also die Träume des Industriellen und einiger anderer, die in der Vergangenheit ähnliche Wünsche in den Medien äußerten, wahr werden: In welchen Fällen würden Ungeimpfte dann überhaupt noch in Krankenhäusern oder ambulant in Arztpraxen behandelt werden? Bereits jetzt treibt die medizinische Benachteiligung Ungeimpfter, die ja mit ihren Versicherungsbeiträgen das solidarische Gesundheitssystem mit am Leben erhalten, unrühmliche Blüten in Deutschland.
Manche Ärzte verweigern schon Behandlungen
So verweigerte eine Frankfurter Klinik einem schwer herzkranken Jungen, der in seiner Heimat wegen fehlender technischer Mittel nicht behandelt werden konnte, die Operation, weil dessen Eltern nicht geimpft waren. Darüber hatte jüngst unter anderem der Focus berichtet. Eine Greifswalder Klinik will auch keine Ungeimpften mehr operieren und wies bereits ein 15-jähriges Mädchen ab.
Einige niedergelassene Ärzte wollen keine Menschen mehr behandeln, die sich nicht impfen lassen wollen, wie hier in Niedersachsen zum Beispiel.
Von einigen Politikern, wie etwa Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) wurden Rufe nach höheren Krankenkassen-Beiträgen für Impfunwillige laut. Und eine Medizinethikern sagte ungeniert in den Medien, "dass sich die Beachtung des Impfstatus in einer überfüllten Klinik durchaus argumentieren ließe".
Begründung auf wackeligen Füßen
Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wäre das eine Aufkündigung des solidarisch, also von Gesunden und Kranken gleichermaßen finanzierten Gesundheitssystems. Das war nämlich einst so gedacht, dass junge und gesunde Menschen, die sowohl ohne als auch mit Corona eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit haben, in einer Klinik zu landen, für ältere, pflegebedürftige und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen mitbezahlen, die weitaus häufiger medizinischer Behandlung bedürfen. Und getragen wird dies vor allem von den ärmeren, denn wer genug Geld hat, kann sich teure Privatbehandlungen leisten.
Klar ist auch, dass die Begründung für all diese Ansinnen und Praktiken vor allem auf einer Theorie beruhen: Geimpfte würden sich weniger infizieren und das Virus nicht oder weniger weitergeben. Warum sonst sollten Kliniken und Ärzte die Behandlung Ungeimpfter aufgrund angeblich unsolidarischen Verhaltens ablehnen? Doch dies ist schon lange widerlegt. Um das zu wissen, muss man nicht in andere Länder schauen. Es reicht ein Blick in die Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zu den Fällen mit der inzwischen dominanten Omikronvariante.
Man könnte nun das Fass um den Grad der Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Geimpfte aufmachen. Da aber laut RKI die symptomatischen Omikronfälle vom Kind bis zum Greis in den ersten vier Januarwochen zu 67 Prozent doppelt oder dreifach Geimpfte betrafen, was nur fünf, sechs Prozentpunkte unter der Gesamtimpfquote in der Bevölkerung zu dieser Zeit lag, wäre das ein Fass ohne Boden, eine Debatte um winzige Nuancen einer offenbar geringen Wirksamkeit der Impfungen in dieser Frage.
Wohlverhalten statt Menschenwürde?
Kann eine Gesellschaft wirklich Krankenhäuser haben wollen, die nicht alle Kranken im Angesicht der grundlegenden Menschenwürde gleich behandelt, sondern die die Behandlungswürdigkeit am erwünschten Wohlverhalten der Patienten bemessen? Die vielleicht, wenn man die Spirale weiterdenkt, eines Tages keine Obdachlosen mit Infektionen, keine gestürzten Alkoholkranken oder keine unangeschnallten verunfallten Autofahrer mehr aufnehmen, weil diese selbst Schuld seien und die – in kapitalistischer Misswirtschaft kaputtgesparten – Kliniken überlasten könnten?
Die gesamte Debatte findet schon längst nicht mehr auf einer sachlichen und wertschätzenden Ebene statt. Warum wird nicht öffentlich über Impfnebenwirkungen diskutiert? Warum werden die unterschiedlichen Ängste der Menschen, die allesamt wohl berechtigte Ursachen haben, nicht gleichberechtigt behandelt? Warum werden Argumente von Kritikern als Spinnerei und Verschwörungswahn abgetan, anstatt zuzuhören und sachlich darauf einzugehen?
Und wie sollen Millionen Menschen, die seit Monaten ausgegrenzt, verhöhnt und mit immer neuen sozialen Schikanen konfrontiert werden, je wieder Vertrauen in staatliche Institutionen, Kliniken und zu Ärzten fassen? Immer neue Bestrafungsfantasien tragen sicherlich nicht dazu bei – und lösen das Problem Corona ganz sicher auch nicht.
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