von Dagmar Henn
Jedes Ding hat eine gute und eine schlechte Seite, und mit den fortgesetzten Manövern, um den TV-Kanal RT DE zum Schweigen zu bringen, ist es genauso. Deshalb sollte man diesen Punkt an allererster Stelle betonen – sie bestätigen, dass RT DE längst ein wichtiges Medium in Deutschland ist. Gemäß Medienstaatsvertrag sind nämlich Medien, die "nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten," von der Zulassungspflicht ausgenommen.
Ansonsten hat sich die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) auf dünnes Eis begeben, mit mehr als einem Bein. Das Recht der Medienanstalten etwa, Online-Angebote zu "Rundfunksendern" zu erklären, wurde bisher noch nicht höchstrichterlich überprüft, da dieser Eingriff in die Meinungsfreiheit noch zu neu ist – der Medienstaatsvertrag trat erst Ende 2020 in Kraft. Diese Erweiterung erfolgte also, als der Mainstream schon jahrelang gegen die Online-Konkurrenz mit Vorwürfen wie "Desinformation" zu Felde zog, weil die eigene Reichweite zu sinken begann.
Die gut zentralisierte deutsche Medienlandschaft, bestehend aus fünf Pressekonzernen und den von den Parteien kontrollierten öffentlich-rechtlichen Sendern, war in Unruhe geraten. Dabei war die Entwicklung dieser neuen Medienlandschaft eine unmittelbare Reaktion darauf, dass sich die Sicht des Mainstreams immer weiter verengte; dafür muss man nur betrachten, wie viele bekannte Journalisten sich inzwischen in den Online-Bereich geflüchtet haben.
Das Verbot, RT DE per App oder über Odysee zu verbreiten, ist auch insofern interessant, als sich die Frage stellt, wie die MABB dieses Verbot durchzusetzen gedenkt. Apps müssen nicht von einem Anbieter heruntergeladen werden, der einen Sitz in der EU hat, die Welt ist groß. Information ist nun einmal zu einem höchst beweglichen Gut geworden, und der Arm des deutschen Gesetzes reicht, auch wenn das Berlin missfällt, nur bis zur deutschen Grenze.
Um sich überhaupt für zuständig zu erklären, musste sich die MABB schon reichlich verrenken. Die Argumentation ist streckenweise durchaus erheiternd. "Am Standort Adlershof unterhält die Veranstalterin mindestens ein Fernsehstudio, mehrere Redaktionsbüros und weitere technische Einrichtungen für die Produktion eines Fernsehprogramms sowie – auch nach eigener Aussage – Co-Working-Spaces am Kurfürstendamm. An den Standorten arbeitet gegenwärtig mindestens eine dreistellige Zahl von Mitarbeiter:innen in allen relevanten Bereichen der Wertschöpfungskette eines Fernsehveranstalters."
Na und? Seien es hundert, seien es hundertfünfzig – das ist immer noch eine Größe, die die einer Firma zur Zulieferung von Inhalten nicht übersteigt. Und ja, natürlich benötigt ein Sender, der auch über Ereignisse in Deutschland, insbesondere die deutsche Politik berichtet, Mitarbeiter in diesem Land und zugehörige Technik. Aber selbst, wenn es neunhundert wären – angeblich müssen wir doch alle tun, was uns der SWR einflüstert, während er uns über die Schulter sieht. Also was denn nun? Ein winziger, völlig autonomer Sender in Deutschland oder Medienknechte des Kreml unter strenger Kontrolle aus Moskau?
Man sieht, die Propagandaerzählungen kollidieren miteinander, schon da. Dabei ist es völlig gebräuchlich, Studios in anderen Ländern zu haben, die Material liefern, und sie als GmbH zu führen, ist ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Glaubt die MABB wirklich, das komplette Programm von RT DE würde von den wenigen Menschen in Berlin erstellt? Einschließlich aller Dokumentationen aus Russland, die große Teile des Programms füllen? Nicht wirklich. Aber sie muss es schließlich behaupten, wenn sie zuständig sein will.
Die MABB stürzt sich auf die Stellenanzeigen, die RT DE Productions aufgegeben hat. "Redaktionsleiter/-innen, Toningenieur/-innen, Regieassistent/-innen, Bildingenieur/-innen, Moderator/-innen und Teleprompter Operator/-innen bis hin zu Personalreferent/-innen." Unfassbar. Wozu braucht man all diese Leute, wenn man Fernsehinhalte produziert? Die MABB ist wohl der Überzeugung, da genüge ein Hausmeister mit einer 16mm-Kamera mit Handkurbel. In Wirklichkeit gibt es vermutlich sogar noch Buchhalter/-innen, Computertechniker/-innen und Bürokräfte (m/w). Ist das verboten?
Weiter mit den scheinbaren Beweisen. "Die Geschäftsführerin und der Programmdirektor der Veranstalterin treten regelmäßig öffentlich als Repräsentanten des Senders auf. Sie äußern sich in den Medien in eigener Verantwortung zu der strategischen und programmlichen Ausrichtung des Senders und vermitteln in Interviews, Stellungnahmen und sonstiger öffentlicher Kommunikation, bis hin zur jüngst erfolgten Versendung von Weihnachtskarten (...), durchweg den Eindruck, als Repräsentanten des Senders verantwortlich zu handeln."
Vielleicht sollten sie bei künftigen Auftritten in den Medien immer einen hochgewachsenen durchtrainierten jungen Mann im schwarzen Anzug mit Knopf im Ohr mitbringen, damit die Bedürfnisse der MABB an staatlicher russischer Kontrolle befriedigt sind? Oder ist es den hiesigen Medien lieber, jedes Mal, wenn sie ein Statement zur Frage RT DE wollen (und es kommt vor, dass sie eines wollen), an Moskau verwiesen zu werden? Natürlich kann eine Tochtergesellschaft die Corporate Identity nutzen, sie ist ja letztlich Teil des Gesamtunternehmens. Und weil sie der hier greifbare Teil des Gesamtunternehmens ist, macht es Sinn, wenn seine Vertreter auch als "Repräsentanten des Senders" auftreten. Das ist bei gewöhnlichen Konzernen nicht anders. Der Chef von Apple Deutschland wird jederzeit öffentlich Fragen beantworten und dennoch darauf beharren, dass der Firmensitz in Irland ist.
Und da sind wir bei der nächsten Stelle, an der das Eis dünn ist. Die MABB ignoriert nämlich völlig die juristische Struktur des Gesamtunternehmens, die die Verantwortung eindeutig zuteilt. Wenn eine Firma sagt, die Verantwortung liegt bei der Muttergesellschaft, dann ist das so. Unternehmen, auch solche, deren Ziel nicht darin liegt, Gewinn zu erwirtschaften, sind in ihrer Binnengestaltung frei. Ein Konzern wie die Deutsche Telekom beispielsweise besteht in Wirklichkeit aus Dutzenden Töchtern, von denen eine die Immobilien hält und sie an die anderen vermietet und eine andere die Arbeitsverträge abschließt, was zur Folge hat, dass zufälligerweise das Gegenüber der Beschäftigten nur das Minimalkapital hat und deshalb leider, leider im Ernstfall kein Vermögen, aus dem Abfindungen zu finanzieren wären ... Alle großen Konzerne schieben Erträge von einer Tochter in die andere. Gründen Firmen, die nur die Patente halten, aber auf britischen Kanalinseln sitzen. Das ist alles legal. Mehr noch, das europäische Recht fördert solche Verschachtelungen.
Verglichen mit dem, was ein Großkonzern in Deutschland abzieht, ist die Struktur von RT DE noch nachgerade klassisch. Es gibt eine Tochter, die in Berlin Material für den Sender produziert, und der Sender selbst sitzt in Moskau. Daran ist eigentlich nichts misszuverstehen.
Es wäre überaus interessant, was die Weihnachtskartenforscher der MABB zur Struktur der Telekom sagen. Die auch Weihnachtskarten mit "Telekom" verschickt, aus sämtlichen Töchtern. Oder der von Siemens. Oder Apple. Oder andersherum, wie die Anwälte der betreffenden Konzerne es fänden, wenn die Rechtsauffassung der MABB allgemein üblich würde. Wo sie sich doch jahrzehntelang bemüht haben, alles so weit aufzuspalten und zu schachteln, dass von außen niemand mehr durchschauen kann, wer wirklich verantwortlich ist?
Dass Aufgaben delegiert werden können, das aber nichts an der Verantwortlichkeit ändert, ist der MABB ebenfalls unbekannt. Genauso wie der Grundsatz, dass man Mikromanagement vermeiden sollte. So wird aus einem Interview mit der Berliner Zeitung zitiert: "Nach einer umfassenden Überprüfung der Faktenlage erfolgt die Freigabe durch Schlussredakteure oder durch unsere Chefredakteurin Dinara." Mal abgesehen davon, dass diese Aussage sich, weil davor explizit von Artikeln die Rede ist, gar nicht auf das Fernsehprogramm RT DE bezieht, sondern auf die Online-Redaktion – die Entscheidung über einzelne Programmteile ist nicht die Entscheidung über das Programm, und Entscheidungen innerhalb einer Konzernstruktur zu delegieren ändert rein gar nichts an der rechtlichen Verantwortung. Genauso wenig wie Weihnachtskarten.
Selbst aus Sprachanforderungen in den Stellenanzeigen versucht die MABB einen Strick zu drehen. Weil Deutsch und Englisch gefordert werden, aber nicht Russisch. Mal sehen, ob ich das Geheimnis verraten darf – es gibt tatsächlich Russen, die Deutsch und Englisch sprechen. Gewissen unbestätigten Gerüchten zufolge soll das bis in höchste Staatsämter der Fall sein. Während sich die Zahl der Deutschen, die Russisch sprechen, ohne Russen zu sein, stetig verringert. Nun, wenn es um Russen geht, kann alles zum Vorwurf werden. Auch die Tatsache, dass ausgeschriebene Stellen besetzt werden. Der Russe tut eben nichts ohne finstere Hintergedanken.
Aber zurück zur rechtlichen Seite. Die MABB schafft sogar einen völlig neuen Begriff. "Vermeintliche Verträge." Also selbst vorgelegte rechtliche Dokumente gelten nicht, wenn die MABB zu einer anderen Auffassung kommt, anhand von Weihnachtskarten beispielsweise. Das ist nun geradewegs ein Anschlag auf die gesamte deutsche Rechtskultur. Sicher, die Leiterin dieser Anstalt hat während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaften höchstens ein halbes Jahr Medienrecht inhaliert. Kann ihr bitte einmal jemand erklären, wie grundlegend das Vertragsrecht in der gesamten Wirtschaft ist? Eine Missachtung von vorhandenen Verträgen, aus dem Ärmel geschüttelt, im Nebensatz. Von Vertretern einer Behörde, die ihre Zuständigkeit einem Staatsvertrag verdankt, oder sollte man sagen, einem vermeintlichen Staatsvertrag? Vielleicht lassen sich ja auch da Weihnachtskarten finden, irgendwo ...
"Pacta servanda sunt," hieß es schon im alten Rom, Verträge sind einzuhalten, und ihre Gültigkeit ist nicht eine Frage des Beliebens. Aber es ist so interessant wie aufschlussreich, wie weit die MABB hier ihr eigenes Brandenburger Landrecht schaffen muss, um das offenkundig um jeden Preis angestrebte Ziel, sich endlich diesen Russenfunk vom Leib zu schaffen, zu erreichen. Wie gesagt, es steckt auch ein Lob darin. Wenn man bereit ist, grundlegende Prinzipien im Unternehmens- wie im Vertragsrecht über Bord zu werfen, weil anders dieser unerwünschten Sicht nicht beizukommen ist, dann haben wir wohl die Finger in die richtigen Wunden gelegt.
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